Revolution 4.0 - Daten an die Macht!

Auf dem Weg zum Digitalen Sozialismus?

Christoph Keese ist Executive Vide President der Axel Springer SE eigentlich unverdächtig, linkes Gedankengut unter die Leute zu bringen. In einem leider viel zu wenig beachteten Interview im Oktober 2014 sagte er aber wörtlich diesen bemerkenswerten Satz: „Es könnte tatsächlich sein, dass die sozialistische Planwirtschaft an der damals noch nicht vorhandenen Technologie gescheitert ist und dass eine neue Planwirtschaft unter digitalen Vorzeichen möglich wäre.“ Dabei ist es doch exakt das, was die jubilierenden Neoliberalen dem Sozialismus nach dessen Tod als real existierendes Wirtschaftssystem nachgerufen haben: Planwirtschaft geht nicht! Wer heute theoretisch oder praktisch mit der galoppierenden Digitalisierung zu tun hat, weiß: Digitale Planwirtschaft wär machbar, Frau Nachbar!

Digitalsozialismus statt Marktkapitalismus

Aber für eine Ablösung des Marktkapitalismus durch einen Digitalsozialismus spricht noch viel mehr – will man Autoren wie Richard David Precht, Slavoj Žižek und als Vordenker Jaron Lanier glauben. Basisthese des TV-bekannten Philosophen Precht ist, dass aus der Digitalen Revolution im Moment die 4. Industrielle Revolution wird. Wie wir wissen, hat jede der bislang drei industriellen Revolutionen massive politische Verwerfungen und tiefgehende Veränderungen an den Gesellschaftssystemen nach sich gezogen. Das Erkennungsmerkmal industriellen Revolutionen ist ja geradezu, dass technologischer Fortschritt das Wesen der Arbeit verändert und damit die Verhältnisse zwischen Arm und Reich, zwischen Besitzenden und Besitzlosen sowie zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen.

Richard David Precht - Philosoph und Vordenker der digitalen Revolution (Quelle: ZDF)
Richard David Precht – Philosoph und Vordenker der digitalen Revolution (Quelle: ZDF)
Das hat 1920 schon Lenin erkannt und diese Erkenntnis in ein berühmtes Zitat umgesetzt: „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.“ Ihn kopierend könnte man also sagen: „Sozialismus ist liberale Gesellschaftsordnung plus Digitalisierung.“ Tatsächlich ist ein Digitaler Sozialismus in autokratischen, undemokratischen Gesellschaftssystemen nicht vorstellbar, weil er eben mehr umfasst als nur die durch Künstliche Intelligenz gesteuerte Produktion und Verteilung von Gütern, sondern die globale Dezentralisierung von Rohstoffgewinnung, Recycling, Logistik und Konsum. Ein Nationalismus, wie ihn die rechtspopulistischen Kräfte in Europa als Banner vor sich her tragen, taugt nicht zur Digitalisierung.

Die Graswurzelbewegung zum persönlichen Computer

Das hat nicht zuletzt historische Gründe. Die Basis der Digitalen Revolution wurde mit der Demokratisierung der Informationstechnologien in den Siebzigerjahren gelegt. Dass überhaupt persönliche oder gar „Home“-Computer entstanden, war Ausdruck des intensiven Wunsches freiheitsliebender Kräfte, den Computer zu demokratisieren, die Technologie jedermann frei verfügbar zu machen. Die Idee „persönlicher Computer“ entstammt der Bewegung der Hippies an der US-amerikanischen Westküste etwa ab 1970. Der legendäre Homebrew Computer Club war nichts weniger als eine Graswurzel-Organisation, die weder die Hard-, noch die Software als Ware ansah. Wer in den Anfangstagen Programme schrieb, schenkte sie der Gemeinde. Und die ersten Bausätze für Mikrocomputer-Systeme wurden praktisch zum Selbstkostenpreis verkauft. Zwei zentrale Figuren, die von dieser Public-Domain-Bewegung profitierten, wurden später zu den beherrschenden Unternehmern der Branche: Steve Jobs mit Apple und Bill Gates mit Microsoft.

Der Homebrew Computer Club- eine Graswurzebewegung (Quelle: computerhistory.com)
Der Homebrew Computer Club- eine Graswurzebewegung (Quelle: computerhistory.com)
Aber unterhalb der voll in den wirtschaftsliberalen Kapitalismus Computer-Industrie schwelten die Bewegungen weiter, die dem Digitalen die Befreiung der Menschheit zutrauten. Besonders nachdem die nächste Generation Digitalrevoluzzer sich des zum militärisch-industriellen Komplex gehörende ARPA-Netz bemächtigt und es in einer nach außen kaum sichtbaren Revolution zum Internet gemacht hatten. Deren Protagonisten, allen voran Tim Berners-Lee, glaubten daran, dass ein solches Netz die herrschaftsfreie Kommunikation zwischen Menschen überall auf der Welt ermöglichen könne, die letztlich zum globalem Wohlstand und Frieden führen müsste. Auch dieser Kern steckt in der Digitalen Revolution: Das Ende aller fossilen Industrien, also aller Systeme, die nur auf der Basis der Ausbeutung fossiler Brennstoffe funktionieren. Elon Musk, Gründer des E-Mobil-Konzerns Tesla, stammt aus der Homecomputer-Ära, war Kriegsdienstverweigerer und einer der ersten Internetunternehmer überhaupt.

Die jubilierenden Kapitalismus-Fans haben nach dem Ende des sowjetischen Reiches kategorisch verkündet, ohne Unternehmer liefe nichts, weil nur Unternehmer bereit sind, für die Realisierung ihrer Ideen und Visionen ins Risiko zu gehen. Gemeint ist – wie immer, wenn von den Innereien des Kapitalismus die Rede ist – das finanzielle Risiko. Wer im Jahr 2003 eine Autofabrik gründete – wie es Musk 2003 tat – musste ein extremes finanzielles Risiko eingehen, weil der Bau von Labors, Büros und Produktionsstätten sowie die Beschäftigung Hunderter Ingenieure extrem viel Kapital verschlingt. Wer aber beispielsweise 2012 einen YouTube-Kanal startete, der den Betreiber heute jährliche Millionenumsätze bringt, musste kaum mehr ausgeben als ein paar Hundert Euro für eine brauchbare Webcam oder ein Smartphone. Tatsächlich wird auch im Digitalen Sozialismus der Unternehmer eine zentrale Figur bleiben – aber einer anderen Definition folgend: Unternehmer ist, wer etwas unternimmt, weil er glaubt, es gäbe sein spezielles Angebot noch nicht.

Der digitalsozialistische Unternehmer

Dieser Typ Unternehmer existiert bereits weltweit in allen Branchen. Dessen Ziel ist es nicht mehr, Kapital zu kumulieren, sondern sich in der Entwicklung und Verteilung von Waren und/oder Dienstleistungen zu verwirklichen. Dass der Mensch nur in selbstbestimmter Arbeit ganz zum Mensch werden kann, ist eine These, die sich nicht nur in den Schriften von Marx und Engels findet, sondern unter anderem auch bei den Anthroposophen in der Nachfolge von Rudolf Steiner. Letztlich haben Milliarde junger Menschen die Zusammenhänge längst erkannt und wissen, dass fremdbestimmte Arbeit nur ein Zwang ist, dem man sich mehr oder weniger stark beugt, um die persönliche Reproduktion zu sichern. Die Vertreter der Bewegung für das Bedingungslose Grundeinkommen (BEG) sind deshalb ebenfalls in die Front derjenigen einzureihen, die diese Digitale Revolution vorantreiben. Genau wie die Protagonisten der 3D-Druck-Bewegung, die davon träumen, dass jedermann zuhause Produkte zur Eigennutzung mit geringem materiellen Einsatz herstellen kann – etwas, das ganze Industrie aushebeln könnte.

Gewusel im Repair-Café in Veitshöchheim (Quelle: Veitshöchheim-Blog)
Gewusel im Repair-Café in Veitshöchheim (Quelle: Veitshöchheim-Blog)
Bleibt noch die sogenannte „Shared Economy“, die dann das Zeugt hat, dem Konsumkapitalismus das Licht auszublasen, wenn sie aus den Händen profitgierige Leute befreit wird, wie wir sie gerade beim Fahrdienstkonzern Uber erleben. Und wenn es gelingt, sie – wie im Fall Airbnbn – in die Systeme der Wohnungsbewirtschaftung so zu integrieren, dass ihre Ausbreitung nicht zu Lasten der materiell schwächer Gestellten geht. Im Prinzip kann jeder in der Shared Economy zum Unternehmer im Sinne des Digitalen Sozialismus werden. Wer nichts besitzt, was er kostenlos oder gegen Geld verleihen kann, kann seine Begabungen und Fähigkeiten einbringen und im Tausch gegen andere Leistungen zur Verfügung stellen. Dies geschieht bereits auf breiter Front in der Bewegung der „Repair Cafés„, wo handwerklich begabte Menschen Dinge kostenlos reparieren und Leute mit zwei linken Händen immaterielle Leistungen (Geschichten erzählen, Musik machen, Wissen vermitteln etc.) liefern.

Leben statt arbeiten

Richard David Precht fordert positive Utopien zur Digitalen Revolution, damit die unvermeidbaren negativen Folgen dieser Umwälzung so gering wie möglich gehalten werden. Mit einer ganzen Reihe anderer kluger Menschen aus allen Ecken des Erdballs ist er der Ansicht, dass die Digitalisierung ein enorm hohes Potenzial hat, aus der Welt einen friedlicheren und gerechteren Ort zu machen. Aber nur, wenn Technologiefeindlichkeit, Kulturpessimismus und auch Nationalismus ein Ende finden.

Zentraler Punkt ist dabei die Frage: Wovon sollen wir leben? Beziehungsweise: Woher kommt dann noch das Geld, wenn ganze traditionelle Industrien (z.B. die Autoindustrie) wegfallen und Millionen Arbeitsplätze durch Robotor und KI-Systeme ersetzt werden? Wenn Geräte nicht weggeworfen und neu gekauft, sondern repariert werden? Wenn sich die Menschen Ersatzteile eben schnell mit dem 3D-Drucker herstellen? Zur Beruhigung: Es gibt Branchen, in denen keine Arbeitsplätze wegfallen, sondern deutlich mehr entstehen müssten: in den Bereichen Gesundheitswesen, Sozialfürsorge und Bildung. Hier können zwar auch Tätigkeiten von Maschinen oder KI-Systemen übernommen werden, aber nur zu einem kleinen Teil. Außerdem bleibt eine gewisse Basis an benötigter körperlicher Arbeit – z.B. im Bauwesen. Das Problem wird nicht anders lösbar sein als durch die Vergesellschaft der Industrien, die für die Grundversorgung zuständig sind und die Grundbedürfnisse der Menschen sichern: Wohnen, Essen, Lernen, Gesundheit, Pflege, Mobilität. So lange Unternehmen mit den Produkten und Dienstleistungen auf diesen Gebieten Profite erzielen können, wird der Übergang in einen Digitalen Sozialismus nicht möglich sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert