Chuck Peddle, der Prozessormagier und Entwickler des 6502 (Foto via Wikimedia - siehe Bildnachweis unten)

Computerhelden (1): Chuck Peddle – der Nichterfinder des Mikroprozessors

Es wird während der Computermesse Systems in München im Jahr 1987 gewesen sein. Mein Herausgeber, Dr. Achim Becker, hatte Termine mit prominenten Computerleuten im Dutzend vereinbart, und ich begleitete ihn, um Interviews anzufertigen. Viele sind es nicht geworden, denn wenn Dr. Becker loslegte, kam kaum noch der Gesprächspartner zu Wort. Und trotzdem war es für mich spannend, die wichtigsten Helden der frühen Jahre kennenzulernen. Natürlich hatte ich dazu auch zwischen 1983 und 1988 immer Gelegenheit, und einige traf ich jedes Jahr auf der CeBIT oder der Comdex oder auf irgendeiner anderen IT-Messe. Nur Chuck Peddle begegnete ich lediglich ein einziges Mal. Und er beeindruckte mich sehr – auch weil bei ihm mein Herausgeber kaum zu Wort kam. Immer noch wird der 1937 geborene ehemaligen US-Marine fälschlicherweise als „Erfinder des Mikroprozessors“ bezeichnet. Dabei hat er bloß solche legendären Prozessoren wie den Motorola 6800 und den MOS Technology 6502 entwickelt. Letzter war es, der den preiswerten Homecomputer überhaupt erst möglich machte.

In den USA nennt man Typen wie Peddle „Mavericks„, was mit dem deutschen Wort „Einzelgänger“ nur unzureichend übersetzt ist, denn zum Maverick gehört auch ein bisschen Rebellion, ein Hauch Arroganz und nicht zuletzt eine Prise Charisma. Vielleicht lag es an seiner militärischen Vergangenheit und daran, dass er sich das Ingenieurstudium erkämpfen musste, dass dieser Chuck nie ein Herdentier wurde, sondern bis auf den heutigen Tag unabhängig geblieben. Ich fragte ihn damals – ja, das taten wir in den Achtzigern routinemäßig – nach seiner Vision der Computerei. Peddle hörten bei Fragen genau zu und ließ sich mit den Antworten Zeit. Nein, eine Vision habe er nicht. Er sei sich sicher, dass persönliche Computer Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändert haben und dass diese Veränderungen noch lange nicht am Ende angelangt waren.

Da hatte er sich schon lange vom Homecomputer verabschiedet und sich dem Computer fürs Büro zugewandt. Leider recht erfolglos. 1980 hatte er Commodore mehr oder weniger im Streit mit Jack Tramiel verlassen und zusammen mit einem ehemaligen Commodore-Investor Sirius Systems gegründet. Dort entwickelte er den Sirius 1, der sich halbwegs gut verkaufte und in vieler Hinsicht das Vorbild für den IBM PC und damit alle IBM-Kompatiblen und alle heutigen Desktop-PCs lieferte. Der Computer steckte in einer rechteckigen Kiste mit einem Schlitz für Disketten an der Vorderseite und einer separaten Tastatur. Auf den Kasten stellte man den Monitor. Der Erfolg hielt aber nur so lange an, bis IBM mit seinem PC auf den Markt kam und seine Kisten zu Tausenden an die Firmen in den USA und überall in der Welt verkaufte.

Schräger Weg zu Commodore

Der Weg zu Commodore war ohnehin ein wenig schräg. Seinen ersten Job nach dem Ingenieur-Studium an der Universität von Maine hatte er bei General Electric, wo er eher peripher mit Computertechnik zu tun hatte; sein Spezialgebiet war die Entwicklung von Time-Sharing-Systemen. Die waren in den Sechzigerjahren aufgekommen, um die Nutzung der wenigen Großrechner und Rechenzentren in den Universitäten, beim Militär und in den Großkonzernen so zu regeln, dass die gekauften Zeiten ordentlich verteilt und abgerechnet werden konnten. Mir erzählte er, dass er dieses Prinzip schon damals für absurd gehalten habe und es ihm völlig klar war, dass es irgendwann in jedem Unternehmen, ja, in jedem Büro eigene Computer geben werde. Sein nächster Arbeitgeber, die Motorola Inc. hatte sich erst spät in die Computerei bewegt und war ursprünglich eine Company, die Netzteile für batteriebetriebene Radios fertigte, und sich im Zweiten Weltkrieg auf die Themen Radar und Funk gestürzt hatte.

So war man bei der Telefonie gelandet und hatte den Ehrgeiz, die Technologie auf diesem Feld grundlegend zu modernisieren und die dafür benötigten Komponenten selbst zu entwickeln. So entstand eine Forschungsabteilung für elektronische Komponenten. Weil der Bedarf an Mikroprozessoren so um 1973 im Zuge des ersten Taschenrechner-Hypes stark gewachsen war, beschloss man die Entwicklung eines modernen Mikroprozessors. So wurde 6800 Chuck Peddles Baby. Dieses Baby geriet gut, aber Peddle war mit der Preispolitik von Motorola überhaupt nicht einverstanden. „Ich hatte den Eindruck, überteuerte Mikrorpozessoren hielten die ganze Entwicklung der Informationstechnologie auf“, sagte er mir. Er ging im Streit und landete zwangsläufig bei MOS Technology, einem noch recht jungen Ableger einer Firma für passive Bauteile, der sich auf MOS- und TTL-Komponenten für den Taschenrechnermarkt spezialisiert hatte. Hier gab man Chuck Peddle freie Hand, und er entwickelte den 6502 – praktisch im Alleingang.

Kopf voller Ideen

Tja, und dann ging’s MOS Technology nicht so gut, und Jack Tramiel, mit Commodore einer der Könige der Taschenrechner-Szene, kaufte den Laden und mit ihm eben Chuck Peddle. Der Rest ist Geschichte. Peddle bequatschte Tramiel in die Entwicklung und den Bau eines eigenen Computers, der dann als PET („Personal Electronic Transformer“) 2001 im Sommer 1977 für Furore, aber auch Unverständnis sorgte. Die Mehrheit der Journalisten, die mit Computern so gar nichts am Hut hatte, fragte sich, wer denn einen solchen autonomen Rechner überhaupt brauchen könne und entschieden dann, der PET sei was für Spinner. Auch die Protagonisten des Pocket-Calculator-Marktes schüttelten die Köpfe und meinten, wozu man denn einen Computer brauche, wenn man einen wissenschaftlichen Taschenrechner habe. Nur der gerade nicht besonders toll laufende Markt der Büromaschinen horchte auf. Tatsächlich hatte Tramiel, der bekanntlich von der elektrischen Schreibmaschine kam, seine Company immer dieser Industrie zugehörig erachtet.

Und da waren sich die beiden ansonsten so gegensätzlichen Charaktere einig: Das vom Großrechner unabhängige Terminal, also der persönliche Computer, gehört in jedes Büro. Zwar war es nicht der PET 2001, der diese These bewies, aber schon die Nachfolgemodelle eroberten die Offices. Entsprechend dieser Philosophie hießen die dann „CBM“, was für „Commodore Business Machines“ stand und eine Kampfansage an IBM darstellte. Gegenüber dem einzigen anderen möglichen Bürcomputer der späten Siebziger, dem Apple II, hatte schon der PET 2001 den Vorteil, dass Tastatur, Massenspeicher und Monitor zum Lieferumfang gehörten. Das alles basierte auf Ideen, die Chuck Peddle ganz allein geboren hatte.

Arbeiten statt Spielen

Worin sein Streit mit Jack Tramiel bestanden hatte, erklärte mir Chuck Peddle so: „Tramiel hat mitten im Strom die Pferde gewechselt und mit dem VC20 ganz auf den Markt der Homecomputer gesetzt.“ Ja, er sei maßgeblich an der Entwicklung von VC20 und C64 beteiligt gewesen, aber eher unwillig. Er habe am Prinzip „Bürocomputer“ festhalten wollen, zumal er selbst an Homecomputern und der ganze Spielerei damit kein Interesse gehabt habe. Rein vom Geschäftsergebnis behielt Jack Tramiel mit dem C64 und später auch mit dem Atari ST Recht; langfristig aber setzte sich Peddles Vorstellung vom persönlichen Computer als Arbeitsgerät durch.

Dabei war er mit „seinem“ 6502 nicht nur an der Erfolgsgeschichte von Commodore beteiligt. Auch der Apple II, der BBC Mikro, der Atari 800 sowie deren Spielekonsolen und die ersten Geräte von Nintendo setzten auf diesen unglaublich preiswerten Mikroprozessor, der zudem extrem einfach zu programmieren war. So schuf Peddle nebenbei auch die Grundlagen für alle Bereiche des Gaming wie wir sie heute kennen.

Nach der Pleite von Sirius Systems fand Chuck Peddle im indischen Computeruntenehmer Jugi Tandon einen Freund und Partner, der ihn zum Entwicklungschef machte. Zum Zeitpunkt meines Gesprächs mit ihm war Feuer und Flamme für sein neuestes Baby, die Wechselfestplatte im eigenen Gehäuse. Das war im jahr 1987 eine beinahe verrückte Idee; Festplatten galten als empfindlich und gehörten einfach fest in den PC. Peddle hatte aber eine Art Schacht entwickelte, in den man solche ein Plattengehäuse einschieben konnte, das sich dann über eine PIN-Schnittstelle mit dem Motherboard des Rechners verband. Passend dazu hatte er den Tandon PC entwickelt, der von Hause aus zwei solcher „Bays“ besaß. Einen solchen Tandon PC habe ich gut anderthalb Jahre an meinem Arbeitsplatz benutzt – weil es dann auch Peripheriegehäuse für fremde PCs gab, funktionierte der Datenaustausch in der Redaktion eine Zeitlang durch das Hin- und Hertragen von Tandon-Wechselfestplatten.

Der weitverzweigte Konzern des Jugi Tandons durchlief über die Jahre eine ganze Reihe von Metamorphosen. Heute wirkt Chuck Peddle bei der Firma Celetron, die aus diesem Konglomerat hervorgegangen ist, hält sich aber aus der Öffentlichkeit weitestgehend heraus. Deshalb ist das folgende Interview, das er 2014 dem Scene World Magazine gab, eine absolute Rarität:

[Titelfoto: Alchetron]

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