Es muss nicht immer eine Garage sein…

Vor einigen Wochen zerstörte Apple-Mitbegründer Steve Wozniak einen Mythos – oder stutzte ihn zumindest kräftig zurecht: Die Garage, in der Apple angeblich gegründet wurde, hätte damals tatsächlich gar keine so große Rolle gespielt. Sie diente mehr oder weniger als Lager für die teilmontierten ersten Apple-Computer, und hin und wieder hingen die ersten Apple-Mitarbeiter dort herum, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun hatten. Die Entwicklung der Apple-I-Computer fand andernorts statt – in erster Linie in Wozniaks Büro bei Hewlett-Packard.

Schade um die schöne Geschichte! Viel wichtiger als der Wirkungsort dürfte für den gemeinsamen Erfolg aber ohnehin die Rollenverteilung der Gründer gewesen sein: Begabter Elektronikbastler (Steve Wozniak) trifft auf Kommunikations- und Marketing-Genie (Steve Jobs). Allein hätte es keiner von beiden geschafft – Wozniak hätte sich und seine Computer allein nicht vermarkten können, Jobs hätte allein keinen Computer entwickeln und zusammenlöten können.

Apple-Garage
Hannes vor der original Apple-Garage in der Nähe von Cupertino, Kalifornien – 2001 durfte er im Rahmen einer Pressereise die vermeintliche Geburtsstätte der Apfel-Company besuchen.

Dasselbe Prinzip, ein paar Nummern kleiner, kam Anfang der Achtziger auch in Würzburg zur Wirkung, wo Christian Spanik und meine Wenigkeit aufeinandertrafen.

Man kann darüber streiten, ob die Rolle der Apple’schen Garage in unserem Fall nun die Hochhauswohnung meiner Eltern im Würzburger Vorort Veitshöchheim oder das gemeinsam besuchte Klassenzimmer am Matthias-Grünewald-Gymnasium oder vielleicht doch die Verkaufsräume von Computer-Martin übernahmen. Am ehesten wohl die Mixtur aus alledem. Auf jeden Fall kam bei Christian und mir auch dieser Jobs-Wozniak-Effekt zur Wirkung:

Ich hatte mich seit etwa 1981 in die ersten Heimcomputer vergraben, und war nach einem starken Jahr VC-20-Nutzung zum stolzen Besitzer eines C 64 aufgestiegen. Christian schaute sich das am Anfang mit Interesse an, ohne jedoch selbst den Drang zu verspüren, irgendwelche Computerspiel-Klassiker in BASIC nachzubasteln. Doch schon bald verbrachten wir unsere freien Samstag-Vormittage bevorzugt in einem von Würzburgs ersten und feinsten Computerläden: dem bereits erwähnten Computer-Martin. Sein Gründer Hugo E. Martin war vorher Verlagsleiter beim Fachverlag Vogel gewesen und hatte dort die legendäre Computerzeitschrift CHIP mit gegründet. Als die ersten Apple II, Commodore 64 und etwas später IBM PC und Macintosh auf den Markt kamen, hatte Hugo schnell erkannt, dass diese Geräte Beratung und die Konzeption und Realisation kompletter Lösungspakete erfordern würden. Auf dieser Erkenntnis begründete er sein Geschäft.

Christian und ich genossen es, unsere Zeit mit Gleichgesinnten zu verbringen und Zugriff auf die vielen tollen Geräte zu haben, die in Hugos Laden standen. Fast nebenher berieten wir, beide um Anfang 20 herum, gestandene Würzburger Anwälte, Architekten, Uni-Professoren und Geschäftsleute, ob für ihren jeweiligen Computerbedarf und ihr – heute würde man sagen, „IT-Budget“ – ein IBM PC/AT, ein Apple oder ein Commodore die beste Wahl wäre. Wenig später standen wir beide vor einem Flipchart in einem Seminarraum bei Computer-Martin und brachten besagten gestandenen Geschäftsleuten das Programmieren in Commodore-BASIC oder den Umgang mit der Textverarbeitungs-Software „Apple Writer“ bei. Das machten wir wohl so launig und unterhaltsam, dass uns Hugo schon bald vorschlug, wir sollen das Ganze doch mal zu Papier bringen – ein unterhaltsames und verständliches, aber dennoch kompetentes Fachbuch schreiben. Er könne uns die Kontakte zu den richtigen Leuten im Vogel-Fachbuchverlag vermitteln.

Cover "Mein zweites Commodore-64-Buch"

So kam es dann zu Christians und meinem ersten gemeinsamen Computerbuch, das für uns beide auch jeweils das erste gedruckte und professionell vermarktete Buch war. Etwas verwirrenderweise hießt es „Mein zweites Commodore-64-Buch“. Der Titel erklärte sich dadurch, dass unser Buch das zweite Buch sein sollte, das ein C64-Besitzer lesen sollte – gleich nach dem mitgelieferten Handbuch. Unterzeile auf dem Buchcover: „Das Buch, das nach dem Handbuch kommt.“

RUN-Promo-1985
Marketing-Genie Christian at work: Das erste gemeinsame Computerbuch wurde per Auszugs-Abdruck in der Zeitschrift RUN vorgestellt. Heute würde man das wohl „Cross-Promotion“ nennen.

Dem Erstlingswerk folgten schnell regelmäßige Artikel in den ersten Heimcomputer-Fachzeitschriften, etwa der Zeitschrift RUN. In diesem Zusammenhang wirkte das eingangs erwähnte Jobs-Wozniak-Prinzip besonders deutlich: Die Kontakte zu neuen Verlagen und Redaktionen stellte Christian her, die als Beispiele dienenden BASIC- und Maschinensprache-Progrämmchen steuerte ich bei – und beide tobten wir uns beim Schreiben launiger Erklärtexte aus.

PEEK-POKE-Poster-1
Das originale PEEK-und-POKE-Poster hing an der Wand von Hannes‘ Jugendzimmer und brachte Christian auf die Idee, die zu Poster und Artikelserie in der Zeitschrift RUN und später dem CHIP-Special „PEEK und POKE“ führten. (Anmerkung des Autors: Um die Sammelmappen mit solchen historischen Werken wiederzufinden, lohnt es sich, „zwischen den Jahren“ mal sein Büro aufzuräumen…)

Dass dafür Marketingkönnen ebenso wichtig war (wenn nicht wichtiger) als Programmierkenntnisse, lernte ich an einem Tag, der wohl im Frühling 1984 stattgefunden haben muss: Christian war mal wieder zu Besuch in meinem Jugendzimmer – und mit Sicherheit waren wir schnell am C64 gelandet, der dort in einer Ecke stand, angeschlossen an einem kleinem Portable-Farbfernseher. Dabei fielen dem angehenden Werbetexter zwei von mir handgeschriebene Poster auf, die ich an die Wand hinter dem Rechner geklebt hatte. Sie enthielten die PEEK- und POKE-Adressen, die man brauchte, um dem C64 etwas mehr zu entlocken als seine hauseigenen BASIC-Befehle sonst erlaubten. Ich hatte mir diese Listen für den Eigenbedarf zusammengeschrieben, um beim Programmieren nicht immer durch das zugehörige Handbuch blättern zu müssen.

Doch Christian war es, der erkannte: Wenn das der Hannes braucht, brauchen es auch andere Hobby-Programmierer. Flugs schlug er der Zeitschrift RUN vor, dass wir dort ein „PEEK-und-POKE-Poster“ veröffentlichen würden – begleitet von einer mehrteiligen Erklär-Serie „Durchs wilde POKEistan“. Daraus resultierte dann wiederum etwas später das CHIP-Special „PEEK und POKE“, das unser erster durchschlagender Erfolg werden sollte. Diese frühen Projekte brachten nicht nur aus der Sicht von 20-jährigen recht üppige Autorenhonorare, sondern begründeten auch unser beider Einstieg in den Computer-Journalismus und somit in unsere späteren Werdegänge. Eine Garage spielte dabei beim besten Willen keine Rolle. Aber das Zusammentreffen zweiter komplementärer Charaktere umso mehr.

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