Musik liegt in der Luft

Oder: Musikhören 4.0 – Der lange Weg vom Schellack zum Streaming

Bose Soundlink Mini spielt Musik vom Nexus 7
Bose Soundlink Mini spielt Musik vom Nexus 7

Während ich diesen Text schreibe, kommt Musik aus meinem Bose Soundlink Mini, der per Bluetooth mit meinem Nexus 7 verbunden ist, auf dem gerade eine Playlist schreibfördernder Songs bei Spotify läuft; das Tablet hängt wiederum über WLan im heimischen Netz, das über die ISDN-Leitung mit dem Internet verbunden ist. Klingt kompliziert, ist aber in der Praxis ziemlich einfach. Ach ja, damit soll auch keine Reklame für Produkte der Firmen Bose oder Google gemacht werden, denn dasselbe ginge mit jedem drahtlosen Lautsprecher und jedem iOS-, Windows- oder Android-Tablet oder –Smartphone. Denn dann wirken technische Standards, mit denen sich der Klang durch die Luft ins geneigte Ohr ergießt. Aber bis dahin war es ein langer Weg.

Der gute alte Plattenschrank voller Vinyl
Der gute alte Plattenschrank voller Vinyl

Einer meiner besten Freunde ist ein sogenannter Audiophiler. Das heißt: Er strebt beim Musikhören nach dem perfekten Klang und kann stundenlang darüber debattieren, was genau denn diesen perfekten Klang ausmacht. Natürlich ist er großer Experte für Vinylscheiben und Plattenspieler, also den ganzen analogen Kram, den man seit dem Beginn des Hifi-Zeitalters so um 1965 herum zum Hörgenuss braucht. Was zuvor aus den Schalltrichtern und Lautsprechern quoll, wenn man eine Schellackplatte aufs Grammofon warf oder das Dampfradio startete, war aus heutiger Sicht ungenießbares Gequäke. Also kam High Fidelity über uns, und jeder junge Mann – Frauen waren da eher desinteressiert – strebte nach „der Anlage“. Also dem Superduper-Stereoverstärker, der zwischen dem Plattenspieler und „den Boxen“ vermittelte.

Und dann kam die CD
Nur hat die Vinylscheibe das Problem, empfindlich zu sein. Kratzer, Dreck in den Rillen oder Biegungen machen den guten Sound schnell zunichte, und so richtig kaputt gehen können die LPs auch – am liebsten als Folge von ausschweifenden Feten. So war es der Traum aller Musikliebhaber, einen unempfindlichen, zerstörungsfreien Tonträger zu haben. Auftritt CD: Silberne Scheiben von 12 Zentimetern Durchmesser, die auch Rillen haben, landen auf dem Planet Erde und bringen nicht nur unkaputtbare Platten, sondern … digitale Musik! Per Laser werden Vertiefungen in den Kunststoff gebrannt, die der CD-Player hinterher wieder in Nullen und Einsen zerlegen und zu Musik zusammenbauen kann. Klarerer Sound war nie.

Brauchte der Musik-Freak für eine Tausend-LP-Sammlung noch ein eigenes Zimmer, ließen sich eintausend CDs problemlos in einem etwas größeren Regal unterbringen. Und weil die ganze Musik eines Albums auf eine Seite der CD passte, braucht man das Ding nie umzudrehen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil des neuen Tonträgers. Aber trotz aller Digitalisierung bleibt die Scheibe ein physisches Ding. Dass Musik vom Wesen her Klang ist, also etwas Immaterielles, spiegelt auch die CD nicht wieder.

Der Rio Karma - einer der besten MP3-Player aller Zeiten
Der Rio Karma – einer der besten MP3-Player aller Zeiten

Und weil ein Musikstück datentechnisch betrachtet ein recht komplexes Gebilde ist, war Musik (genau wie Fotos und Videos) lange kein Computerthema. Außer bei den Midi-Fricklern… Es waren ja ohnehin erst die Homecomputer vom Schlage eines Atari ST oder Commodore Amiga, die sich überhaupt für die Eroberung des Kontinents „Multimedia“ eigneten – und natürlich auch die Macs aus dem Hause Apple. Aber lange blieb das Problem der gewaltigen Datenmengen der scheinbar unüberwindbare Zaun rund um das neue Land. Bis aus der Idee der Datenkomprimierung Algorithmen wurden. Denn die schlauen Leute vom Fraunhofer-Institut hatten herausgefunden, dass ein Musikstück wahnwitzig viele Daten umfasst, die man zum Hören nicht braucht. Schließlich kann das menschliche Ohr Töne ohnehin nur innerhalb eines Gebiets von 20 Hertz bis 20 Kilohertz wahrnehmen – im Idealfall. Im Prinzip, schlossen die Wissenschaftler, könne man alle Daten, die niedrigere oder höhere Frequenzen repräsentieren, einfach abschneiden, würde niemand merken.

MP3 änderte alles
Ganz so einfach war’s nicht. Aber der MP3-Standard machte Musikstücke endlich zu handlichen Dateien. Die man zum Beispiel auch per Datenfernübertragung von A nach B bringen konnte. Nun war die Mucke endlich immateriell, weil man Daten bekanntlich nicht anfassen kann. Die Pioniere der MP3-Ära digitalisierten alles, was nicht schnell genug weglief. In monatelanger Handarbeit machten sie aus den guten alten Vinyl-Alben Dateien, und aus den CDs natürlich auch. Immer größere Festplatten wurden angeschafft, um die enormen Datenmengen zu speichern. Aber wenn man dann mal was Digitalisiertes im Auto hören wollte, musste man die Wunschmusik zuvor wieder auf CD brennen, um sie dann im Pkw abspielen zu können. Derweil verstaubten die LPs im Musikzimmer, und die Radikalen gingen her und vertickten ihre geliebten Plattensammlung für kleines Geld. Gern auch über eBay, denn das Internet war ja nun da.

Dort gab’s dann auch den Napster, die erste große Verteilstelle für digitalisierte Musik – immer ganz knapp am Rande der Legalität und meistens sogar deutlich drüberhinaus. Aber nun konnte man sich Lieder und Alben nach Lust und Laune herunterladen. Und weil man inzwischen auch den PC oder den Laptop an „die Anlage“ anschließen konnte, ließ sich der ganze downgeloadete Kram auch prima als CD-Ersatz anhören. Napster ging und zahlreiche Peer-to-peer-Klausysteme kamen und gingen wieder. Immer wieder ging es darum, den eigenen Bestand an MP3s bereitzustellen, um im Gegenzug Musikdateien anderer Mitspieler zu saugen. Langsam begannen auch die CDs in den Schubladen Staub anzusetzen.

Musik streamt durch die Luft
Und dann kam Streaming. Musik muss nicht mehr heruntergeladen und irgendwie irgendwo gespeichert werden. Nein, sie ist einfach da – jederzeit verfügbar in diesem großen Internet. Das Problem war (und ist) nun nicht mehr, die gewünschten Stücke zu kriegen, sondern sie in den Hunderttausenden von Musikstücken überhaupt zu finden. Wo die drei Lieblings-LPs im Regal standen, wusste jeder Vinyl-Fan auswendig. Auch die CD-Sammlung hatte jeder halbwegs im Griff. Aber diesen Wust an Dateien auseinanderzufieseln, das erwies sich als zunehmend schwierig.

Chromcast, das simplest mögliche Streaming-Gerät
Chromcast, das simplest mögliche Streaming-Gerät

Trotzdem blieb „die Anlage“ immer noch Schaltzentrale des Musikkonsums. Es sei denn man war unterwegs und hatte seinen MP3-Player dabei. Komprimierte Musik in Dateien gepresst lässt sich nämlich prima mobil genießen. Also kaufte man sich einen iPod oder einen MP3-Man aus anderem Hause, übertrug die Dateien auf den, stopfte sich die Kopfhörer in die Ohren und joggte von Musik begleitet los.
Und jetzt sind anscheinend auch die letzten Tage „der Anlage“ angebrochen. Ja, das Tonsignal muss immer noch verstärkt werden, und auch Lautsprecher sind nötig, um den Klang im Raum zu verteilen. Aber das klassische Paradigma „Abspielgerät, Verstärker, Boxen“ löst sich langsam auf und wird durch das, was der Handel gern „Home-Entertainment-Center“ nennt, ersetzt. Da gibt es dann einen Receiver, bei dem das Verstärken quasi Nebenjob ist, sowie ein Flatscreen-Gerät und je nach Dolby-Bedarf zwei, drei, fünf, sieben oder gar neun Lautsprecher sowie mindestens einen guten Kopfhörer. Hinzu kommt mehr und mehr ein Streaming-Teil –also so etwas wie ein Apple- bzw. FireTV, ein Google Chromecast oder ähnlich -, das Musik und andere Multimediadaten aus dem Internet holt und über den Receiver genießbar macht.

Plötzlich wird der SmartTV dann Benutzeroberfläche für Spotify oder den Mediaplayer des heimischen Netzwerks (NAS), und Smartphone oder Tablet mutieren zur Allzweck-Fernbedienung. Was bleibt ist die Musik selbst in ihrer ganzen Vielfalt und Schönheit. Der Unterschied gegenüber „früher“ ist nur, dass praktisch jede je aufgezeichnete Musik jetzt überall, daheim und unterwegs, verfügbar ist. Und das einfach so aus der Luft…

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