Zeitschriftenanzeige für Compuserve aus dem Jahr 1990

Online-Leben (3): Die kurze Ära Compuserve

Mit der zweiten Folge unserer Serie „Online leben“ führte uns der Zeitzeuge Bernhard W. in die geheimnisvolle Welt der Hacker. Heute redet er von der Zeit, in der mit Compuserve die E-Mail, der Chat und der Datenaustausch als Dienstleistung aufkamen und dieser ganze DFÜ-Kram plötzlich seriös wurde.

F: Deine Zeit als Hacker dauerte nicht sehr lange, oder?

Compuserve-Nutzer der ersten Stunde

A: Ich war ja auch gar kein Hacker im Sinne des Selbstverständnisses der richtigen Hacker wie eben Karl Koch und den CCC-Leuten. Mir ging’s immer nur darum, die kleinen Computer maximal auszunutzen, vor allem für die Kommunikation. Also den Austausch mit Leuten über große Entfernungen, den Kontakt mit Menschen, die ich nicht kenne und denen ich vermutlich nie begegnen werde.
F: Was hast du zu der Zeit, also Anfang der Neunzigerjahre beruflich gemacht?
A: 1989 habe ich mein Diplom als Ingenieur gemacht, Fachrichtung Logistik, und bin dann bei einem global agierenden Logistiker in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eingestiegen. Plötzlich hatte ich freien und unbeschränkten Zugang auf jede Art der Datenkommunikation – damals hat ja noch niemand danach gefragt, was ist privat, was ist dienstlich. So ab Sommer 1990 hieß es von den US-Kollegen immer öfter: Das kann ich dir an deine Compuserve-Adresse schicken. Da hab ich mich dann erstmal schlau gemacht und überlegt, mir da auch einen Account zuzulegen.
F: Und, hast du?
A: Das war zunächst nicht so einfach, weil E-Mail-Konten – der Dienst hieß damals EasyPlex und war streng geregelt – von Compuserve nur an User mit Wohnsitz in den USA vergeben wurden. Einige der alten Hackerfreunde haben sich solche Accounts mit Fake-Adressen beschafft; unter der Adresse in Florida müssen aus Sicht von Compuserve einige Dutzend Leute mit deutschen Nachnamen gewohnt haben.
F: Aber irgendwann kam Compuserve ja auch nach Deutschland.
A: Das muss so um 1992 herum gewesen sein. Jedenfalls war ich einer der ersten 100, die eine deutsche Compuserve-Adresse bekamen. Solch eine Adresse bestand ja aus zwei durch ein Komma getrennte Zahlenfolgen, wobei die vordere den Länderkreis und die User-Nummer angab. Werde nie vergessen, dass meine mit 100032 begann, dass ich also wohl der 32. User war. Ob das so stimmt, weiß ich nicht; ich weiß aber genau, dass es anfangs kaum Kontakte gab, die eine 100000er-Adresse hatten.

Kollegen in aller Welt

F: Und wie hast du diese Compuserve-Adresse genutzt?
A: Zu Beginn hauptsächlich für den Austausch mit den Kollegen in aller Welt, also denen aus dem eigenen Unternehmen und Experten anderer Firmen. Dann kamen immer Kontakte aus aller Herren Länder dazu, die ich in irgendeinem BBS getroffen habe – um 1994 herum hatte ich fast 200 Einträge in meinem Compuserve-Adressbuch.
F: Hast du auch die anderen Compuserve-Dienste genutzt?
A: Ja, natürlich. Innerhalb weniger Monate bin ich fast komplett aus den Boards und Mailboxen raus und in die Compuserve-Foren rein. Da konnte man auf hohem Niveau und mit großer Sachlichkeit über jedes Thema debattieren. Chats habe ich nur in Einzelfällen genutzt, weil die Bandbreite in Deutschland damals nicht ausreichte.
F: Gab’s damals schon Spam?
A: Nein. Überhaupt nicht. Man bekam ausschließlich Mails von Leuten, mit denen man aus freien Stücken verbunden war. Übrigens: Das ging ja nicht wie heute, dass die Mails kontinuierlich reinkamen; wegen der geringen Datengeschwindigkeit hast du vielleicht zwei- oder dreimal am Tag Mails abgerufen. Dann sahst du nach einer Weile erst nur die Kopfzeilen und hast dich dann entschieden, welche Mails du komplett lesen wolltest. Dann hast du dir erstmal einen Kaffee geholt…
F: Das war ja alles noch vor dem Internet, oder?
A: Na ja, fachlich gesprochen: Nein. Es gab schon das Internet, aber es gab weder die heute üblichen Dienste, noch so etwas wie ein frei zugängliches World Wide Web. Und Compuserve bediente sich in seiner Classic-Ära auch nicht der Internet-Protokolle. Das tat erst AOL, die ja kurz nach Compuserve aufgemacht hatten.
F: Compuserve wurde ja alsbald von AOL geschluckt…

Die echte Mailadresse beim CERN

A: Ja, 1998 war, wenn ich mich richtig erinnere. Ich hatte das Glück über einen nebenberuflichen Auftrag für die GMD (Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung) einen CERN-Account zu ergattern. Das CERN in Genf war ja praktisch die europäische Internet-Zentrale, und Accounts gab’s nur für Studenten und Wissenschaftler – E-Mail inklusive. Dann ging alles sehr schnell: Immer weniger Mails kamen per Compuserve, immer mehr über das Internet. Auch das WWW stand nun allen zur Verfügung, die über eine Uni oder eine Forschungseinrichtung wie die GMD Zugang zum Netz hatten. Schon 1996 habe ich für die GMD eine komplette Website in purem HTML geschrieben, muss man sich mal vorstellen…
F: Du warst ja auch immer ein Online-Pionier…
A: Mag sein. Aber ab 1997 waren dann die wilden Zeiten auch schon fast vorbei. Gerade AOL war es ja, das Privatleuten weltweit den Zugang zum Web und zum Internet-Mail-Protokoll ebnete.
F: Und dann bist du auch umgestiegen…
A: Nicht wirklich. Meinen Compuserve-Account habe ich nie gekündigt, selbst nicht, als ich dafür an AOL zahlen musste. Erst als Compuserve 2009 abgeschaltet wurde, ist das Konto erloschen. Nur genutzt habe ich den ab etwa 1999 kaum noch. Da hatte ich dann schon den Provider meines Vertrauens gefunden, bei dem ich meine Websites bis heute hoste und meine Mail-Accounts laufen habe.

Beim nächsten Mal spricht Bernhard W. dann über die rasante Popularisierung des Internet durch stinknormale Konsumenten – in Deutschland getrieben durch die legendäre AOL-Werbung mit Boris Becker.

Und hier die Links zu den anderen Folgen der Serie „Online-Leben“:
Online-Leben (1) – Am Anfang war der Bildschirmtext
Online-Leben (2) – Alles nur was für Hacker
Online-Leben (4) – Bin ich schon drin?
Online-Leben (5) – Alles so vernetzt hier…

2 Gedanken zu „Online-Leben (3): Die kurze Ära Compuserve“

  1. Meine CIS war 100070,477 und ich habe den Dienst zur Unterstützung der Kommunikation in der Internationaisierung von Vogel bis 1998 genutzt. Der Vorteil war, dass sich auch kleinere Partner & JV in datentechnisch nicht so entwickelten Länder und/oder exorbitanten Kosten für den digitalen Datenverkehr (z.b: Datex-P) sich lokal via Sprint-Netz in den Dienst einwählen und diesen nutzen konnten.

    1. Wir haben damals einen Versuch mit der Kamera gemacht: Projekt K oder so haben wir das genannt. Die Idee des Filmes war, dass wir bei einem USA-Dreh nur mit „modernen“ Kommunikationsmitteln arbeiten. Dazu gehörte CompuServe aber auch DatexJ – zum Beispiel für Banküberweisungen die während der Drehreise sein mussten. Und: ein Akkustikkoppler um sich auch von amerikanischen Telefonzellen einloggen zu können ;-)

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