Social Media - alles so vernetzt hier

Online-Leben (5): Alles so vernetzt hier…

Für Bernhard W. war das Abenteuer Online-Leben eigentlich schon mit dem Markteintritt von AOL und auch Yahoo vorbei. Auch wenn er nach der nicht eingetretenen Jahr-2000-Katastrophe bei fast jedem Internet-Trend mitmachte, den es gab. Aber immer mehr ödeten ihn die immergleichen Marketing-Sprüche und die sich wiederholenden Lobpreisungen der verschiedenen Online-Dienste an. Heute hat er sein virtuelles Leben extrem eingeschränkt und ist nur auf Facebook mit einem Profil vertreten. Außerdem betreibt er auch sein – wie er es nennt – „Geheim-Blog“, das er bereits im Jahr 2002 begonnen hat. Aber darüber soll er selbst erzählen:

F: Wie hast du die große Internet-Blase erlebt?

E-Commerce und Online-Handel
A: Gar nicht. Mich hat der Hype nicht interessiert. Okay, mit dem ganzen Handel im Netz habe ich mich schon auseinandergesetzt und fand E-Commerce erstmal gar nicht schlecht. Dieses ganze Marketing-Getöse, das hat mich abgeschreckt. Mir kam es vor, als habe es da eine sehr schöne Insel gegeben, ein Paradies mit Pflanzen, Tieren und Menschen, die in Frieden und Ruhe miteinanderlebten. Da hatte ein Geier dieses Eiland entdeckt, und bald kreisten die Geierschwärme darüber. Plötzlich war Internet nur noch Geschäft, Geschäft, Geschäft. Wie du weißt, war das Netz für mich die große, universelle und freie Kommunikationsmaschine, das Ding für den Austausch von Informationen und, ja, auch Gedanken, Ideen und Gefühlen. Als reinen Marktplatz wollte ich das Internet nicht haben. Hat auch lange gedauert bis ich zum ersten Mal etwas in einem Online-Shop bestellt habe. Weiß ich noch genau: Da gab es Basketball-Schuhe von Nike, die in Europa nicht angeboten wurden. Ich fand die bei einem US-Versand und hab sie online bestellt und mit Kreditkarte bezahlt.
F: Kaufst du denn heute noch in Online-Shops?
A: Ja, sicher. Aber sehr viel gezielter als noch vor drei, vier Jahren. Bevor ich was, zum Beispiel, bei Amazon bestelle, guck ich genau, ob ich das nicht auch in der Echtwelt hier in meiner Stadt kriege. Billiger sind die Online-Versender ja schon lange nicht mehr. Und weil die dahinter stehenden Unternehmen am Kunden nicht, sondern nur am Profit interessiert sind, unterstützte ich im Zweifel lieber den Local Dealer, der mich und meine Interessen ernstnimmt,

Anonymität und Rollenspiele
F: Du hast ein Blog?
A: Stimmt. Ich nenne es mein Geheim-Blog, weil es mit meiner realen Existenz nicht verknüpft und dank eines Servers auf Island auch beinahe anonym ist. Du weißt also nur, dass es dieses Ding gibt, kennst aber den Link nicht [lacht]. Bin da sehr früh drauf gekommen. Wieder aus dem Motiv heraus, online zu kommunizieren. Im Blog schreibe ich aus der Perspektive des fiktiven Betreibers, was mir so auffällt auf der Welt, vor allem in den Bereichen Kunst, Kultur und Politik. Wie viele Leute das lesen oder wie viele Kommentare kommen, interessiert mich wenig. Es geht darum, über Sachen zu schreiben. Als ich 2002 anfing, gab’s erst zwei Dienstleister, über deren Server man bloggen konnte. Wenn technisch was schieflief, war das Blog futsch. Bin dann 2005 auf WordPress gestoßen und habe mich aus technischem Interesse damit befasst. Selbst ein paar Themes und Plugins entwickelt und veröffentlicht.
F: Dein Blog ist also wirklich so etwas wie ein Tagebuch?
A: Du stellst schwere Fragen. Kann ja kein Tagebuch sein, weil es anonym ist und ein fiktiver Blogger dahintersteht. Und, ja, natürlich begleitet es mein Leben und spiegelt es auch wieder. Weißt du, es hat wie alles in der Online-Kommunikation mit Anonymität und Rollen zu tun. Genau das, was uns Facebook mit Macht austreiben will. Ich bin ja auf Facebook mit meinem Klarnamen und dort auch ganz gut vernetzt, aber mögen tu ich dieses Zuckerberg-Ding nicht. Anonymität ist ja Schutz. Wenn mich keiner kennt, kann mir keiner schaden. Aber Anonymität behindert den Konsum. Die Vorstellung dieser ganzen Online-Markting-Diktatoren ist ja, jedes Individuum ständig mit Reklame zu bombardieren, die exakt auf seine Wünsche und Träume, nicht auf seine Bedürfnisse abzielt. Denn wenn die Angebote gezielt sind, wird’s emotional, und der Konsument kann sich kaum noch wehren.
F: Und was hat es mit dem auf sich, was du Rollenspiel nennst?
A: Das war ja tatsächlich mit das erste, was sich im Online-Kosmos verbreitete: Spiele. Text-Adenventure gab es da in Hülle und Fülle. Später MUDs (Multi User Dungenon), wo die Teilnehmer alle möglichen Rollen zu spielen hatten. Computerspiele haben – die Geschicklichkeitsdinger, Karten- und Brettspiele mal ausgenommen – immer was mit Rollen zu tun. Ich werde jemand anderes, wenn ich am PC zocke. Und wenn so ein Spiel gut ist, dann gehe ich in dieser Rolle auf. Deshalb können Games ja süchtig machen. Bin da immer mit Respekt drangegangen und bin raus bevor’s mir zu doll wurde. War ja einer der ersten Zehntausend bei WoW (World of Warcraft), aber schon Anfang 2006 wieder raus. Hatte eine kurze, heftige Episode bei SecondLife – mich hat das Grundprinzip der Avatars dort erheblich fazsiniert. Inzwischen zocke ich kaum noch – und wenn, dann am liebsten altmodischen Kram.

Mobil vernetzt
F: Bist du denn aktuell überhaupt vernetzt?
A: Ich sag mal so: Die virtuellen Drähte zu den alten Kollegen aus Usenet-Zeiten sind noch intakt. Die Vernetzung in dem, was man so euphemistisch Social Media nennt, habe ich auf Verwandte, Freunde und Bekannte beschränkt, mit denen ich auch in der Real World in Verbindung stehe. Natürlich bin ich schon 2009 rein in Facebook, und ganz schnell war ich auch bei Twitter. Aber damit kann ich wenig anfangen. Mir ist Twitter zu eitel. Da versucht jeder jeden zu übertrumpfen, da geht alles über Konkurrenz. In Facebook kann man sich ganz gemütlich einrichten, wenn man nicht überall mitmischen will. Die Idee von Google+ habe ich nie verstanden, zumal ich Google für die größte Gefahr für die individuelle Datenfreiheit halte. Aber das ist eine andere Geschichte. Instagram sag ich immer, ist Twitter für Legastheniker – und die meisten anderen Angebote in diesem Vernetzungskosmos habe ich nie verstanden.
F: Aber mobil bist du schon auch online?
A: Ganz wunder Punkt, denn den Trend habe ich komplett verschlafen. Aber ganz komplett. Weiß aber, dass es vielen alten, ich nehm mal den unpassenden Begriff, Hacker genauso ging und geht. Tatsächlich habe ich erst seit Ende 2013 ein Android-Smartphone, und mein Samsung-Tablet war das geschenk beim Abschluss eines Zeitschriftenabos. Anfangs kam mir das einfach bescheuert vor, dass jeder Depp rumrannte wie ein Manager, der noch beim Joggen online sei muss, um den Börsenkurs seiner Company zu monitoren. Und für den Nachrichtenaustausch mit Leuten reichte mir die SMS allemal aus. Hab kurz mit Blackberry experimentiert, fand aber das Pushen von Mails extrem nervig. Inzwischen dient mir mein Smartphone tatsächlich als universelle Informations- und Schaltzentrale, ich hab da Apps drauf, von denen ich nie geträumt habe, dass es sie geben könnte. Öffi zum Beispiel, die App mit allen Echtzeit-Fahrpläne des ÖPNV in den wichtigsten Städten. Online-Banking, Handyticket und und und. Tja, und seit Kurzem nutze ich sogar einen Messenger…
F: Du nutzt WhatsApp? Kaum zu glauben…
A: Tu ich auch nicht. Aus Prinzip. Hab mich für Threema entschieden, weil das von einem in der Szene nicht ganz unbekannten Entwickler kommt, der auch den Server selbst unter Kontrolle hat. Meine Freunde sind alle bei Threema, und die Verwandten krieg ich auch noch weg von der Datenkrake. Mobil machen ja Messenger erst Sinn. Zu ICQ-Zeiten hatte ich natürlich auch eine Kennung, aber benutzt habe ich so etwas eigentlich nie. Auch Skype war nie meines – okay, das mag daran liegen, dass ich Fernsehtelefon für ein Werk des Teufels halte. Aber, wie man sieht, kann man über Threema sogar Interviews führen…

Die Zukunft
F: Wie wird’s denn weitergehen mit deinem Online-Leben?
A: Ich vermute, dass sich nicht mehr viel ändern wird. Alle Formen der Kommunikation in der virtuellen Welt sind erprobt, fast alles hat man technisch voll im Griff. Ich werde nutzen, was ich seit Jahren nutze. Und wenn was Aufregendes kommt, werde ich es ausprobieren. Aber ich werde mich weiter dagegen wehren, von den Herrschern des Internets zum Konsumsklaven degradiert zu werden. Deshalb halte ich meine persönlichen Daten, vor allem mein Verhalten, schön beisammen und achte darauf, dass die Konzerne da nicht dran kommen. Für Otto Normaluser ist der Zug dagegen abgefahren, der wird durchleuchtet und dann einer individuellen Gehirnwäsche unterzogen.

F: Bittere Worte zum Abschluss, Bernd. Trotzdem vielen Dank für diesen langen Chat.

Hier die Links zu allen Folgen der Serie „Online-Leben“:
Online-Leben (1) – Am Anfang war der Bildschirmtext
Online-Leben (2) – Alles nur was für Hacker
Online-Leben (3) – Die kurze Ära Compuserve
Online-Leben (4) – Bin ich schon drin?

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