Schalt dein Radio ein – eine Entgegnung

Radio-Fan
Der Autor als Radio-Fan

Eigentlich wollte ich ja einen Kommentar auf den unbedingt lesenswerten Beitrag meines Mit-Dinos Rainer Bartel schreiben. Schnell aber merkte ich, dass das nicht geht: ich bin doch in recht zentralen Fragen anderer Meinung als Rainer. Deshalb will ich den schönen Brauch einer „Entgegnung“ pflegen. Vielleicht entspinnt sich ja eine spannende Diskussion um die Zukunft des Hörfunks. Wer, wen nicht zwei Internet-Dinos, hätten dazu etwas beizutragen …

Warum hat mich Rainer Bartels Artikel heute aus meiner Arbeit gerissen, zum Nachdenken und schließlich zum Schreiben gebracht? Ganz einfach: er berührt bei mir einen wunden Punkt meiner Seele: ich liebe das Radio.

Seit vierzig Jahren höre ich mit Leidenschaft „Zündfunk„, den „Jugendfunk“ des Bayerischen Rundfunks. Als Hörer habe ich inzwischen mindestens drei Generationen Zündfunk-Moderatoren überlebt. Und ich höre mit gleicher Leidenschaft Bayern 4, das Klassik-Angebot und Bayern 5, den Nachrichtenkanal.

Webradio ist eine Wohltat für den Geist

Aber ich liebe auch das von Rainer so schön beschriebene „Webradio„. Dieses bietet eine wunderbare und spannende Möglichkeit zur Exkursion unterschiedlichster musikalischer Kulturen, vom brasilianischen Samba-Reggae über Mali-Blues bis zur Pentatonik traditioneller chinesischer Musik. Er hat so recht: das Webradio ist der Weltempfänger der Gegenwart. Und das macht Spaß und Wissen. Aber er teilt mit dem alten Kurzwellenempfänger einen großen Nachteil: seine Übertragungsqualität ist miserabel. Und schon bin ich am ersten „Kontra“ zum Beitrag meines Dino-Bruders:

Webradio ist eine Zumutung für die Ohren

Die Übertragungsqualität des Webrundfunks liegt ausnahmslos unter derjenigen des UKW-Funks. Die meisten Sender werden leider in absolut erbärmlicher Qualität mit Bandbreiten von 128 kbps „gesendet“. Genau aus diesem Grunde ist der Versuch des Bayerischen Rundfunks seine Klassikwelle Bayern 4 aus dem UKW-Angebot ins Web und in DAB zu verschieben abzulehnen. Im DAB ist der BR ja noch relativ großzügig und sendet in besserer Qualität als die meisten anderen deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten, im Netz aber will man jeden potentiellen Hörer erreichen und spart vorne und hinten an Dynamik und Auflösung. Kurz: Das Internet-Radio ist leider heute für eine anspruchsvolle Musikübertragung keine Alternative zu UKW. Das hat es mit der alten Kurzwelle gemein.

Smart-Radio oder Web-Radio?

Zum Zweiten ist das Internet-Radio auf mittlere Sicht keine Gefahr für den „linearen Rundfunk“. Im Gegenteil: die – vor allem privaten – Sender, die frühzeitig auf den Ausbau von Smart-Radio-Technologien gesetzt haben, erreichen heute Rekord-Reichweiten. Sender wie sunshine live, BIG FM und Antenne Bayern haben bereits mehr als 340.000 Fans auf Facebook. Gleichzeitig bauen sie ihre Online-Präsenz massiv aus. (Zu weiteren Zahlen vgl. einen kleinen Vortrag, den ich im vergangenen Jahr vor nordrhein-westfälischen Radiomachern zum Thema Smart-Radio gehalten habe)

Dabei richten sich ihre Online-Angebote nicht gegen ihren Auftritt im „Äther“, sondern ergänzen diesen. Das Smartphone wird zum „Second Screen“ des Radiohörers. Das Radioprogramm bleibt, egal ob im Kabel, im Äther oder im Web verteilt, „linear“. So wie die Zuschauer des Tatort heute fleißig per Twitter über den Mörder diskutieren, so zücken viele Hörer ihre Tablets, iPads und Androiden wenn der Zündfunk oder die Jazz-Sendung über den Äther oder durch das Kabel rauschen.

Sender wie BIG FM zeigen heute schon, wohin die Reise geht: BIG FM integriert auch Online-Video, Spiele und andere interaktive Dienste in seine App. Die Erfolge lassen sich sehen und hören:

  • 2,6 Mio Hörer täglich
  • 412.000 Hörer pro Stunde im Schnitt
  • >850.000 Facebook Fans gesamt
  • 900.000 Visits auf bigFM.de
  • 1,5 Mio Mobile Ad Impressions
  • 150.000 Video Abrufe pro Monat
  • 175.000 TV App Downloads
  • 25.000 Spotify Follower (Stand jeweils Ende 2014)

Radioprogramm und Online-Angebot ergänzen sich und bewerben sich gegenseitig. Ein typisches Beispiel für die Ergänzung des Hörfunkangebots durch den Second Audio Screen könnte so lauten:

„Haben Sie Lady Gaga in ihrem neuen Outfit gesehen? Auf den MTV Musicawards war sie fast nackig. Gucken Sie mal auf unsere Website.“

Umgekehrt dient das Radio dem Web-Angebot, wenn zum Beispiel auf der Web Site Karten für einen Auftritt einer Schalker Ethno Band zum Kauf mit dem Hinweis angeboten werden: „Heute nachmittag gibt’s auf Shit FM ab 14 Uhr übrigens die Aufzeichnung eines Konzerts im Düsseldorfer Flinger Broich.“

Die Zukunft aber gehört dem Targeting Smart Radio. Was man sich darunter vorzustellen hat? Sowas zum Beispiel: Rainer Bartel lässt sich an einem kalten Januar-Morgen von seinem Lieblingshörfunksender wecken. Das klingt dann ungefähr so:

„Lalülalü … Guten Morgen Rainer, wie geht´s Dir heute? Hier sind die wichtigsten und heißesten Infos zum kalten Tag für Dich. Folgende deiner Freunde feiern heute Geburtstag (Und nun liest der Gute-Morgen-Onkel die Liste der geburtstagenden Facebook-Freunde von Rainer vor): Christian Spanik,  Hellmuth Karasek, Günter Schabowski, Isaac Newton, John McLaughlin … (richtig: es ist der 4. Januar). Und dann hab ich noch eine schlechte Nachricht für Dich. Schaaaade: Dein Lieblingsverein Fortuna Düsseldorf hat gestern gegen den 1. FCN verloren. Aber mach dir nichts draus. In der vierten Liga muss man nicht mehr so weit zum Auswärtsspiel fahren. Ach ja, und noch etwas: du hast doch letzte Woche auf Amazon eine CD von Mozart gekauft. Wusstest du, dass heute vor genau zweihundertfünzig Jahren der kleine Amadeus Probleme mit dem Stuhlgang hatte? Deshalb haben wir dir seine Kleine Nachtmusik aus dem Archiv geholt. Für den Beginn eines schönes Tages mit deiner Nerv-Radio-App. Lalülalü“.

Übrigens: Rainers Beitrag ist unbedingt lesenswert. Nicht nur wenn man Radio liebt, wie wir dies tun.

3 Gedanken zu „Schalt dein Radio ein – eine Entgegnung“

  1. Natürlich ist die Versuchung groß, der Entgegnung eine Ententgegnung folgen zu lassen. Aber ich denke, erstmal reicht ein stinknomaler Kommentar. Denn eigentlich habe ich da auch keine Gegenreden gegen die Fakten und Argumente meines Mit-Dinos Michael.
    Eigentlich möchte ich nur eins ins Feld führen: Die zunehmende Abwesenheit von Rundfunkempfängern. Ich zum Beispiel habe nur noch im Auto ein Radio, das ich aber so gut wie nie einschalte. Radioprogramm höre ich – wenn überhaupt – über die Radio-Funktion des SmartTV. Und das Webradio läuft vor allem auf dem Tablet, natürlich gestreamt auf den AV-Reciever, der bisweilen ebenfalls Webradio an den Fernseher schickt. Der einzige Empfänger mit Knöpfen und Tasten ist ein – ta-daaaa! – oller Sony-Weltempfänger, den die Dame des Hauses aus nostalgischen Gründen nutzt.

    Für meine schlechten Ohren reicht die Qualität der meisten Webradio-Sender übrigens aus; wenn ich richtig Musik hören will (da waren wir ja neulich schon), kommt die Vinyl-Scheibe auf den Plattenspieler.

  2. Nachdem ich gestern mit meiner besten Hälfte über das Thema debattiert habe (sie ist – wie schon erwähnt – wie Mit-Dino Michael eine treue Rundfunkhörerin) sind wir auf einen springenden Punkt gekommen: Es hängt alles davon ab, ob man ZUHÖREN oder sich akustisch berieseln lassen möchte.

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