Schottland: Silicon Glen – ein Traum von Zukunft

Christian Spanik bei Dreharbeiten zu Neues...die Computershow in 3Sat 1993 im Silicon Glen, Schottland
Als man eine Computersendung noch im Kilt und mit Dudelsack moderierte. Neues… die Computershow anno 1993

Jeder redet von Schottland. Wir auch. Durch die Diskussion der letzten Tage fiel mir ein, dass ich einmal da war. Es war eine Drehreise für „Neues… die Computershow“. An einen Platz, den es zwar so nicht real als Ort gibt, der aber seinen Ursprung bereits im Jahr 1943 hat: Silicon Glen. Die Gegend bei Grennock, westlich von Glasgow. Und als wir 1993 da waren, war dieser Ort vor allem eines: ein Platz für Träume und Ideen. Die, der Menschen, die dort neue Chancen sahen. Und unserer Eigenen. Es war das Jahr zwei von „Neues…“ und wir hatten viele Ideen und Visionen davon, was und wie eine Computersendung im deutschen Fernsehen sein muss.

Nicht alle Ideen haben es bis 2014 geschafft.

Wie viele Leute gucke ich heute im Fernsehen, was die Schotten so machen und wie sie sich entschieden haben. Und da fällt mir der August 1993 ein. Da waren wir im „Silicon Glen“. Sozusagen ein Besuch in einer virtuellen Welt.

Silicon Glen - der Landstrich zwischen Glasgow und EdinburghEs ist ein Ort mit Geschichte, auch wenn es ihn real so nicht gibt. Das Silicon Glen. Und wir waren eine Sendung die Geschichten erzählen wollte. Was es in Sachen Computer so auch nicht gab. Aber dazu gleich noch mehr. Erstmal ein paar Takte zum Drehort…

Silicon Glen 1993 – Region im Aufbruch

Silicon Glen, so vermerkt 2003 James Arnold, ein Reporter der BBC, ist keine Gegend. Es ist eher eine Idee. Der Mann schreibt in dem Artikel über den Tod und die Wiedergeburt des Silicon Glen. Einem Landstrich zwischen Glasgow und Edinburgh. Entstanden – als virtueller Ort – bereits 1943, wie Wikipedia weiß – 50 Jahre bevor wir da waren:

Silicon Glen had its origins in the electronics business with Ferranti establishing a plant in Edinburgh in 1943. NCR Corporation, Honeywell and Burroughs Corporation followed in the late 1940s with IBM being a very significant import when it opened a manufacturing facility in Greenock in 1953. Indeed this was typical of much of the early days of Silicon Glen, which were dominated by electronics manufacturing for foreign companies much more than research and development or the establishment of home grown companies.

 Wikipedia, the free encyclopedia zu Silicon Glen

Christian Spanik 1993 bei IBM in Grennock
Die hatten schräge Ideen, wir hatten schräge Ideen…

Als wir da waren, herrschte gerade große Aufbruchsstimmung. IBM zum Beispiel produzierte damals Hardware in Grennock. In der Zeit als man – statt mit Charlie Chaplin – bereits mit dem Rosaroten Panther warb. Die Thinkpads, damals die Notebook-Marke von IBM, wurden dort hergestellt. Man schwärmte von einem schottischen Silicon Valley, von Innovation und neuen Möglichkeiten. Das scheint dann auch eine zeitlang geklappt zu haben. Der Spiegel schreibt 1997 (kritisch) auch über das Silicon Glen – damals im Rahmen einer Titelgeschichte: „Alle schaffen Arbeitsplätze – wir nicht“. Gemeint war mit letzterem natürlich Deutschland.

Zur Zeit sind die Investoren kaum zu bremsen. In Schottland wird der Landstrich zwischen Glasgow und Edinburgh längst „Silicon Glen“ genannt. Hier fehlt keiner der großen Namen der Computer- und Chipindustrie: IBM und Motorola, NEC, Samsung und Compaq. Jeder dritte in Europa gefertigte Personalcomputer kommt inzwischen aus der Region.

DER SPIEGEL 17/1997 – Die Arbeitslosen profitieren

Das war also die Zeit, als es Namen noch gab, die längst Geschichte sind. Apropos Namen. Immer wieder werde ich gefragt, warum wir unserer Computersendung „Neues…“ in 3Sat so einen Allerweltsnamen gegeben haben. Der Grund war einfach…

 „Neues…“ – der Name sollte Programm sein

Talkrunde der ersten "Neues...die Computershow" 1992. Unter anderem mit Helmut Jost von Commodore
Da waren sie schon alle sehr gespannt: hat mein Laptop den Sturz überlebt?

Vielleicht mache ich mal eine Serie mit Fotos und Geschichten der komischen Dinge, die wir im Rahmen unserer Sendungen so gemacht haben. Aber damit das obige keine Überschrift bleibt, ein paar Beispiele: schon in der ersten Sendung warfen wir Laptops vom Tisch und luden die Unternehmenschefs der Hersteller ein, die Dinger persönlich wieder anzuschalten, um zu sehen, ob sie den Sturz überlebt hatten. „So ein tragbarer Computer kann ja mal runterfallen.“, war unser Argument. Der Witz: die Chefs der Unternehmen wussten nix von dem Test, sie wussten nur von einer Talkrunde.

Das Neues Drehteam 1993
Im Haus nannte man uns die „Reise-Redaktion“. Aber wir hatten Erfolg und durften das…

Auf einer Fähre testen wir mit jungen Liebespaaren den „Liebesbrief-Generator“. Eine Software die helfen sollte – sozusagen als eine elektronischer Cyrano de Bergerac – das Herz der Dame zu erobern, auch wenn man selber nicht immer die richtigen Worte fand. Konnten die Damen die Liebesbriefe der Herren, die sie selbst geschrieben haben unterscheiden von denen, die der Computer generierte?

Wir baten Konrad Kujau, bekannt geworden als Fälscher der Hitler-Tagebücher, um seine Expertise. Er sollte – weil damals gerade ein Rechtsstreit zwischen Apple und Microsoft tobte – uns als Experte sagen, wer nun von wem geklaut hatte, wenn es um das Thema Benutzeroberfläche ging. Nebenbei bemerkt: alle hatten sich bei Xerox bedient, auch wenn Apple der erste war, der das an die Nutzer brachte. Mit Lisa. Aber das ist eine andere Geschichte.

Neues 1993 – wir wollten keine Computer-Zeitschrift im TV sein

Schottland_Neues-Dreh (6 von 9)
Nein – wir wurden für unsere Sendungen nicht eingesperrt. Das war eine Moderation in Schottland. Aber wir hatten nicht nur Freunde…

Wir haben die Kollegen aus dem Printbereich, glaube ich, damals immer mehr geschätzt, als sie uns. Kann ich heute auch gut verstehen: wir waren oberflächlich, auf Effekt aus. Wir testeten nicht in der Gründlichkeit, Ausführlichkeit und Genauigkeit, sondern warfen einfach Laptops runter. Kurz: wir mussten in den Augen der Kollegen das fahrende Volk sein, dass man keinesfalls auf die ernsthaften Computernutzer loslassen sollte.

Der Witz war nur: es gab immer mehr Computernutzer, die es offensichtlich gerne etwas lockerer haben wollten. Wir hatten uns dem Geschichten erzählen verschrieben bei „Neues…“. Nicht dem basteln von Platinen und auch nicht dem öffentlich machen von Listings, die man abtippen sollte, um so Programme für den eigenen Computer zu bekommen. Das waren alles legitime und wichtige Elemente der Computerzeit. Besonders vor dem Internet. Aber wir wollten ja im wahrsten Sinne des Wortes „Neues…“ bieten. Wir schätzten die Kollegen der Zeitschriften, genau wegen ihrer gründlichen Tests und Infos. Aber vor allem, weil uns beim lesen die Ideen kamen, was und wie wir das eine oder andere Detail für das Fernsehen umsetzen konnten. Es kurzweilig zu machen und damit dem Sendetitel „Neues…die Computershow“ gerecht zu werden. Show halt…

Malen in Schottland – unsere Version vom CorelDRAWTest

CorelDRAW Maltest in Schottland. Ein typischer "Neues..." Test...
Der Künstler am PC – malen mit CorelDRAW. Ein möglichst realistisches Landschaftsbild war die Aufgabe…

Ein gutes Beispiel war der Dreh in Schottland. Die Region in der wir waren, eben das Silicon Glen, bot wunderbare Landschaften, herrliche Seen. Ein toller Ort für Maler. Das Mal- und Zeichenprogramm Corel Draw (gibt es übrigens immer noch…) kam gerade mit neuen Funktionen heraus. Eine davon war, das besonders naturalistische Darstellen von Gras, Wasser, Bäumen usw. Genau auf diesen Punkt stürzten wir uns. Nicht auf X-andere Neuerungen, sondern nur darauf. Das war ein Teil der späteren Kritik von Kollegen. „Corel ist doch mehr als das…“ Stimmt, das konnte man ja auch überall in Tests lesen. Bei uns war es halt dieser Punkt. Das passte für Fernsehen. Und Corel machte mit Begeisterung mit. Ein Computerkünstler wurde vom Unternehmen benannt, der kam nach Schottland und erledigte die Aufgabe so gut, wie man es damals mit einem solchen Programm eben konnte. Realistischer als vorher. Aber noch weit entfernt von Realistisch. Ich denke, wir haben damit viele Leute neugierig gemacht auf CorelDRAW. Und die haben dann Zeitschriften gelesen. Mit ausführlichen Tests. Medienteilung halt.

Warum lassen die diesen Schwätzer vor die Kamera?

Bei IBM in Grennock - Dreharbeiten für Neues... die Computershow
Vom Kilt zum Laborkittel – Schottland bot alles…

Wir waren kein Magazin und wollten es nie sein. Wir waren Show. Und dann kam für mich persönlich auch noch das ZDF dazu. Morgenmagazin, Mittagsmagazin, Heute-Journal. Und sogar Privatsender luden mich als Experten ein. Das erhöhte nicht gerade meine Beliebtheit bei so manchem schreibenden Kollegen. Zumal die immer wieder – und auf eine Art auch zurecht – anmerkten, daß man viel zu oberflächlich gewesen wäre. Zusehr auf einfach Antworten aus. Zu plakative Beispiele nutzte. Stimmte – aber in 3 Minuten 30 war das das Ziel. Und kurioserweise genau auch der Grund, warum man uns und auch mir persönlich in den Sendern diese große Bühne gab. Man war sicher, dass es nicht zu vielschichtig werden würde. Und ich denke, so mancher Kollege dachte sich auch: „Warum lassen die diesen Schwätzer vor die Kamera, der doch viel weniger weiß, als ich zum Beispiel.“ Manchmal, ganz ehrlich, habe ich mich das auch gefragt.

Und das alles brachte uns Kritik, manchmal Spott und das eine oder andere Mal auch sehr persönlich formulierte Häme ein. Aber auch steigende Quoten. Im Lauf der Jahre arbeitete sich „Neues…“ bis ungefähr ins Jahr 2000 auf bis zu eine halbe Million Zuschauer nach oben. Das waren deutlich mehr, als der Senderschnitt von 3Sat. Und aus einer Sendung wurde wegen des Erfolges eine ganze Sendefamilie. „Neues…“ …der Anwenderkurs, …das Magazin, …Computer für Kids, …aus Computerredaktionen.

Der Weg ins Internet – ChipTV & Co

Nach 2000 habe ich Neues ein wenig aus den Augen verloren. Mein Weg führte mich weg vom Sender ins Internet-TV, dass es eigentlich noch gar nicht gab. (Ja, das war vor Youtube. Deutlich davor…) Es gab technisch nur maximal doppelte ISDN Geschwindigkeit (2 × 64 kbit/s ;-) ) aber da sah ich eine Zukunft. Gemeinsam mit Kollegen wie Hans-Günther Beer, Rainer Grabowski und Thomas Pyczack bauten wir dann „Chip-TV“, die vermutlich damals erste regelmässige Internet-Computersendung auf. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Leo Boehner - Redaktionsleiter von Neues
Mainz auf dem Weg ins „Neuland“ – auch durch den Mut von Kollegen wie Leo Boehner

Ich denke wir haben mit „Neues…“ unseren Teil beigetragen zur „digitalen Agenda“, die es damals noch nicht gab. Auf dem Weg ins Neuland. Genau mit diesen anderen Wegen, waren wir ein Rädchen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich bin froh, dass mutige TV-Kollegen wie Klaus Möller und Leo Boehner als Gründungsredakteure, bereit waren diese Wege zu gehen. Und dass die Mannschaft von Neues das alles über die Jahre mitmachte. Und natürlich die Unternehmen, die sich auf unsere „Tests“ einließen. Keine Selbstverständlichkeit. Denn wir haben mit unserem Konzept – wie auch das Silicon Glen – Erfolge und Niederlagen gehabt. Kritiker und Fans. Was ich spannend finde: den Zuschauer-Erfolg hatte „Neues…“ immer dann, wenn wir Geschichten erzählt haben. Auch später. Als Yve Fehring  „Neues…“ präsentierte und man sich den sozialen und politischen Aspekten von IT & Co widmete. Zurecht bekam die Sendung dann den Grimme-Preis. Vielleicht auch dafür, dass man durchgehalten hatte und bei dem blieb was von 1992 bis 2011 eine der Besonderheiten war: Geschichten zu erzählen, auch wenn es um Technik ging.

2011 wurde „Neues…“ eingestellt. Einerseits traurig. Andererseits korrekt. Die Zeiten einer klassischen Computersendung – angesichts der Entwicklung im Netz, den unzähligen Videos zu unseren Themen – waren vorbei. Darum ist Neues einen Weg gegangen wie Auto-TV-Magazine. Jeder hat ein Auto, aber die Magazine dazu sind für die meisten Menschen nicht wichtig. Und was beim Auto dann immer noch für ein paar Millionen Zuschauer reicht, das sorgt im Fernsehen nicht mehr für Quote. Aber im Internet für Klicks.

Gerechtigkeit für das Fachwissen der Printkollegen…

Neues aus Computerredaktionen Studio 1997 (1 von 1)
Im Lauf der Jahre wurden viele Printkollegen Gäste bei „Neues…“

Und die Printkollegen? Auch deren Welt ist nicht leichter geworden. Aber es gibt Gerechtigkeit. Heute morgen beim gucken des ZDF-Morgenmagazines sah ich eine Kollegin von CHIP als Expertin. Thema war das neue iPhone und sie war als Fachredakteurin da. Ich gehe mal davon aus, dass sich über die Jahre beide Seiten – TV & Print – angenähert haben. Aber ich bin sicher auch die Kollegin muss sich heute später in der Redaktion anhören: „Ne… war schon gut. Aber man hätte vielleicht doch noch sagen müssen, dass…“ Stimmt schon. Irgendwie. Aber 3:30 sind halt 3:30… ;-)

Und jetzt – sollte irgendwer bis hierher gelesen haben – freue ich mich über Gefällt mir´s und eure Kommentare und Erinnerungen…

5 Gedanken zu „Schottland: Silicon Glen – ein Traum von Zukunft“

  1. Toller Beitrag ueber die Geschichte von Neues. Kann mich gut erinnern wie ich das damals mit 13-14 Jahren (ui das ist doch schon etwas her…) Samstag Nachmittag auf 3Sat geschaut habe. Neues hat sicher einen guten Teil zu meiner Faszination fuer Medien und IT beigetragen :)

  2. Ich bin sozusagen mit der Sendung „Neues…“ aufgewachsen. ´94 – da war ich gerade mal 13!! Aber Neben Computerspielen hat mich halt auch die Technik interessiert. Das war in Zeitungen für mich persönlich sehr trocken und langweilig erklärt. Da machte es mir schon mehr Spass damals noch die VHS Kassetten von meinem Papa bestellen zu lassen und Ihnen beim PC zusammenschrauben zuzusehen…

  3. Servus Christian,
    als Betroffener der „Neues…“-Geschichte, (die ich nicht missen möchte), kann ich zum Thema Schottland noch von einer Episode berichten, die symptomatisch für meine Begegnungen mit den Menschen dort war.
    Der fehlende Stuhl für unseren Computermaler brachte mich dazu, eine ältere Dame aufzusuchen, die zwei oder drei Kilometer entfernt von unserem Drehort wohnte. Ich durfte mir einen Stuhl aussuchen und versprach, ihn in zwei Stunden zurückzubringen, wohl wissend, dass es eher länger dauern würde. Nach fast drei Stunden kam die Dame zu Fuss! zu uns, um mir freundlich zu sagen, dass sie jetzt ins Dorf müsse und ich den Stuhl nach Beendigung unserer Dreharbeiten bitte auf ihrer Veranda abstellen solle. Diese Gastfreundlichkeit wurde mir dort eigentlich überall entgegengebracht und hat für angenehme Erinnerungen an unsere Dienstreise nach Schottland gesorgt.
    P.S.
    Die Produktionskasse hat einen Blumenstrauss als Dankeschön für sie dann doch noch hergegeben…

    1. Lieber Michael,
      vielen Dank für die Erinnerung an diese schöne Geschichte. Hatte ich fast schon wieder vergessen. Aber wie immer gibt es Kollegen wie Dich, die solche Herausforderungen mit spontanen Lösungen begegnen…

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