Nostradamus

WELT von gestern, WELT von morgen

Vor ziemlich genau fünf Jahren durfte ich für die Blogger-Ausgabe der WELT kompakt in die Glaskugel gucken. Im Jahr 2010 entwarf ich zwei kleine Zukunftsbilder für die Jahre 2020 und 2030: Wie würde sich die Digitalisierung des Alltags auf unser Leben auswirken?

weltkompaktKluge Menschen wissen, dass man solche Zukunftsszenarien besser unterlassen sollte. Allzu leicht geht es einem wie den Zeugen Jehovas, die wieder und wieder enttäuscht feststellen müssen, dass das datumsgenau prophezeite Armageddon wieder nicht veranstaltet wurde, 1914 nicht, 1925 nicht und nicht einmal 1975, als lediglich Spaniens Franco endlich das Zeitliche segnete.

Droht meinen Prognosen das gleich Schicksal? Nach fünf Jahren ist es Zeit Zwischenbilanz zu ziehen. Immerhin den halben Weg zur Verifizierung meiner prognostischen Fähigkeiten haben wir ja schon zurückgelegt.

Also wie war das? Was war meine Erwartung in 2010 für 2020?

Annahme 2020/1: Das Internet der Dinge nimmt Gestalt an: Nicht mehr die Menschen bestimmen die Kommunikation im Internet, sondern die Dinge kommunizieren nach vorgegebener Logik miteinander.

Das könnte hinkommen. Das Internet der Dinge hat sich auf den Weg gemacht. Es ist zwar nicht der Kühlschrank im Internet, der die Wurst bestellt, aber immerhin beginnen die ersten Parkhäuser bereits Autos darüber zu informieren, dass sie einen freien Platz haben und navigieren die Karre dann auch gleich automatisch in die Bucht. Meinen Alltag bestimmt dies wohl noch lange nicht. Ich fahre einen englischen Wagen. Da gilt das Handschuhfach mit Innenbeleuchtung schon als Fortschritt.

Annahme 2020/2: Computer gibt es nur noch im Museum. Alles ist „ambient“. Nach der Übernahme von Nokia, Dell und Sony führt Apple unumstritten die Hardware- und Unterhaltungsindustrie an, Facebook bemüht sich mit einer feindlichen Übernahme von Google um die finale Vorherrschaft im Internet. Microsoft ist mit dem Computer vom Markt verschwunden.

Gar nicht schlecht: das Nokia, wie wir es kannten, wurde wirklich aufgekauft; zwar nicht von Apple mit Gewinn, sondern von Microsoft mit Verlust, aber dass sich Microsoft heftig um eine Marktbereinigung bemüht ist offensichtlich und Windows 10 auf mobilen Geräten wird noch erweisen, ob diese Marktreinigung die Selbstentfernung der Männer aus Redmond beinhalten wird oder nicht.

Annahme 2020/3: Das Thema Datenschutz spielt keine Rolle mehr, da der Begriff der „Privatheit“, wie er sich in den bürgerlichen Revolutionen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat, endgültig und völlig entwertet wurde.

Nun, der Wert von Privatheit mag noch umstritten sein, ihr kontinuierliches Verschwinden aber kann spätestens seit NSA  und assholes with backholes kaum mehr bestritten werden.

Zwischenresultat: Die drei Annahmen für das Jahr 2020 sind auf gutem Weg sich zu bewahrheiten.

Was aber macht die Prognose für das Jahr 2030?

VinylAnnahme 2030: Meine sehr persönliche Vision: Irgendwann im Mai des Jahres 2030 wird sich irgendwo im Münchner Umland ein Mann, der viele Jahre seines Lebens für Microsoft und andere IT-Unternehmen geschrieben, geredet und manchmal auch nachgedacht hat, nach Jahren des Bloggens und Twitterns und anlässlich seines einundsiebzigsten Geburtstags – also im von der schwarzgrünen Bundesregierung eben eingeführten Renteneintrittsalter – seinen Traum erfüllen: er wird seinen iSchrott-Clone in den Sack mit dem grünen Punkt werfen, seine Konten bei Amazon, Computeruniverse und HRS schließen, seine Bilder bei Flickr löschen, seinen Vertrag bei 1und1 kündigen und sich von seinen Freunden bei Facebook und LinkedIn verabschieden, um sich mit seiner Leica M6, einer Flasche Madiran und einer ordentlichen Zigarre bewaffnet mit seinem Freund Czyslansky quer durch seine alte Vinyl-Plattensammlung zu hören.

Da lag ich dann aber doch voll daneben. Denn dies alles wird zwar kommen – aber erheblich schneller. Da bin ich mir ganz sicher. Wetten dass?

Den eigentlichen Beitrag für die Blogger-Ausgabe der WELT kompakt über „Sterbende Netze“ gibt es übrigens auch noch. Das Internet vergisst ja nix.

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