Karl koch aka Hagbard Celine

Online-Leben (2) – Alles nur was für Hacker

In der ersten Folge von „Online leben“ gab unser anonymer Online-Saurier, den wir Bernhard W. nennen, Auskunft über die Anfänge, also über Btx und die ersten Spuren von Online-Sex. Wir fragten nach, was als nächstes kam – hier seine Berichte über den Ärger mit der Bundespost, über BBSe und Mailboxen und wie er einmal dem legendären Hacker Karl Koch aka Hagbard Celine begegnete.

F: Was kam nach Btx?

BBS und Mailbox

A: Aus einem Teil der Btx-Nutzerschar wurde um 1988 herum die Gemeinde der Mailbox-Betreiber und -Nutzer. Nein, stimmt so nicht: Ein Teil der Btxer stieß zur Bewegung der Mailbox-Leute, die sich ja zunächst zu 100 Prozent aus Computerfummlern rekrutierte. Entsprechend drehten sich die ersten Mailboxen und BBSse auch fast nur um Computerthemen.
F: Technisch ja alles andere als einfach…
A: In der Tat. Da gab’s ja noch keine Modems, sondern nur Akkustikkoppler. Und die Zwangsherrschaft der Post, die darüber bestimmte, was man ans Telefonnetz anschließen durfte und was nicht. Der Gilb hatte dann irgendwann im 1988 herum auch einen solchen Koppler im Programm, den man mieten konnte. Damals verkaufte die Post ihre Geräte ja nicht, sondern vermietete sie im Rahmen der Grundgebühr. Der Koppler hatte zwei Muffen, in die man den Telefonhörer pressen musste. Vorher wurde eingewählt, und wenn der lange Piepton kam, konnte es losgehen. Mit atemberaubenden Geschwindigkeiten – anfangs 300 Bit pro Sekunde. Da dauerte die Übertragung eines Mailbox-Inhalts auch schon mal eine halbe Stunde.
F: Und was wurde in diesen BBSsen (BulletinBoardSystem) so verhandelt?
A: Größtenteils ging es um Fragen der Datenfernübertragung (DFÜ), also wie man die Post austricksen konnte, wie man mehr Speed kriegte und so weiter…
F: Das war also weitestgehend selbstreferenziell?
A: Kann man so sagen. Es gab ja auch für Neulinge so gut wie keine Informationen über das ganze Thema „Datenfernübertragung“, also DFÜ. Pionier war da ein gewisser Rainer Severin, der in der Computerzeitschrift „Data Welt“ eine Kolumne namens „Hackers Nachtschicht“ hatte. Die kam im Herbst 1985 und brachte der Redaktion einigen Ärger mit dem Gilb ein.

Illegal dank Post

F: …also der damaligen Bundespost, einem staatlichen Unternehmen, das in Wirklichkeit eine Behörde war. Man ging damals ja noch „aufs Postamt“, wenn man einen Telefonanschluss beantragen wollte…
A: Genau. Steinzeitlich. Ich erinnere mich an die ersten Diskussionen um Modems…
F: Wann hattest du dein erstes Modem?
A: Keine Ahnung, wohl so um 1987 herum. Das waren dann so Kästen von der Größe eines Diskettenlaufwerks mit eigenem Netzteil. Ich war schon um 1985 auf den PC gekommen, hatte also tatsächlich einen waschechten IBM PC, da wollte ich unbedingt eine Modemkarte, die man ins PC-Gehäuse stecken konnte. Das war aber damals illegal. Ende 1987 bot plötzlich die Post so eine Steckkarte an. Ich bin sofort zum Postamt gerannt und wollte eine bestellen. Die haben mich in den Bürotrakt geschickt, da gäbe es einen Spezialisten. Den suchte ich auf und sagte, ich würde gern so ein Original-Post-Steckkarten-Modem haben. Da guckt der mich als wär ich bescheuert und meint: Ts, ts, ts, das ist doch verboten. Paar Wochen später rief mich dieser Experte an, ich könne vorbeikommen und die Modemkarte holen, er würde mir eine Einweisung geben. Was hab ich gelacht…

Die Angst vorm Hacker

F: „Hackers Nachtschicht“ klingt aber auch so kriminell; da wundert man sich nicht über die Reaktion der Post. Waren denn die Hacker jener Zeit nicht mehr oder weniger illegal unterwegs?
A: Quatsch. Wenn du mit „die Hacker“ den Chaos Computer Club meinst, der wurde ja schon 1981 gegründet und hat auch rund um Btx ja mitgespielt. Außerdem war deren Ziele ja alles andere als kriminell. Um Datensicherheit und -freiheit ging es denen – und geht es ihnen ja noch heute. Die berühmten Hacks des CCC waren ja alle gedacht, um den staatlichen Stellen und Unternehmen live vorzuführen, wie leicht deren Systeme zu manipulieren waren.
F: Aber es gab ja auch Hacker, die kriminell wurden.
A: Du hast bestimmt den Film „23“ gesehen und meinst Karl Koch
F: Zum Beispiel…
A: Dem bin ich auf der CeBIT 1986 oder 1987 begegnet. Wer sich in den einschlägigen Mailboxen und Boards tummelte, kannte natürlich Hagbars Celine, so der Nickname von Karl Koch. Nur wie der Kerl selbst aussah, wussten nur ein paar CCC-Leute und ein paar Kenner. Jedenfalls saß der bei der CHIP am Stand. Da hatten die ein paar Tische mit Rechner und Modems aufgebaut, an denen Experten den Kids zeigten, wie’s geht. Da ging ich hin und setzte mich zu einem von den Vorführern. Er drehte sich halb um und sagt: „Bin der Karl. Und du?“ Erst später wurde mir klar, dass ich den berühmten Hagbard Celine getroffen hatte. Ich war ja kein Teil der Hacker-Szene, aber vieles von dem, was im Film (23 – Nichts ist so wie es scheint) außerhalb der eigentlichen Karl-Koch-Story gezeigt wird, kann ich bestätigen.

Mailboxen und Bulletin Boards

F: Also wurden in den Boards keine kriminellen und illegalen Tricks besprochen.
A: Nein, überhaupt nicht. Auch wenn da richtige Könner mitmachten, CCCler und sogar Post-Leute, die im Schutz von Pseudonymen aktiv waren: die Hacks wurden auf anderen Wegen verhandelt und organisiert. In den Mailboxen – so nannte man in Deutschland die BBSse – tummelten sich haufenweise junge Freaks, die endlich auch DFÜ machen wollten, aber wenige ernsthafter Hacker. Natürlich gab es Schnittmengen, wo es um technische und datenpolitische Fragen ging. In vielen Mailboxen wurde aber vorwiegend debattiert, wie man die ganze DFÜ-Sache schneller und einfacher kriegen konnte.
F: Es gab doch aber auch Diskussionsgruppen zu allen möglichen anderen Themen, oder?
A: Nach meiner Erinnerung kamen solche Mailboxen in deutscher Sprache erst so gegen 1988 herum auf. Um dieses Jahr herum wurde DFÜ dann ja auch zum Convenience-Kram. Jeder konnte nun – übrigens dann auch ganz legal – einen Koppler oder ein Modem an seine Kiste hängen und durch die bunte Welt der Daten flitzen. Da wurden die Boards zu den Vorläufern der Diskussionsforen der späten Neunzigerjahre, ja, auch zu Facebook-Gruppen. Aber alles noch textbasiert. Es gab allerdings Spezialisten, die konnten riesige Bilder aus ASCII-Zeichen basteln oder sogar Fotos auf die Art nachbauen…
F: Wie lief denn eine solche BBS-Session praktisch ab?
A: Na ja, du musstest ja zuerst mal eine Verbindung kriegen. Du hattest also eine Liste mit den Einwahlnummern der entsprechenden Server – die hing bei mir an der Pinnwand; handgeschrieben, hab ich heute noch. Mit dem Koppler ging das so, dass du die gewünschte Nummer mit dem Telefon gewählt hast, und sobald das typische Datengezirpe kam, hast den Hörer schnell in die Muffen gedrückt. Dann warst du drin. Modems konnten bald selbst wählen. Bis dann aber das Login auf dem Monitor erschien, konnte es schon mal fünf und mehr Minuten dauern. Dann hast du Username und Passwort eingegeben und abgeschickt. Wieder nach ein paar Minuten kam dann das Hauptmenü.
F: Konntest du denn da schon Kollegen anmailen?
A: Ja, klar. Wenn der Typ, dem du was zu schreiben hattest, Mitglied im selben Board war, dann ging das. Dann hast du dem an seinen Usernamen eine Nachricht geschickt. Meine Güte, ich glaub, ich hatte Postfächer in mehr als 20 Boards! Da war das Abrufen von Nachrichten schon genug für eine Nachtschicht. Hat man auch gar nicht jeden Tag gemacht. Dauerte viel zu lange. Selbst Spiele gab es schon! Da hatte so ein Verrückter eine ASCII-Zeichenversion des Brettspiels „Risiko“ programmiert! Hab ich mitgespielt. Bis ein Zug bei allen Mitspielern angekommen war, dauerte es meist eine Stunde. Die eine Partie lief über fast ein halbes Jahr…
F: Wurde denn überhaupt müber etwas anderes als Technik gesprochen?
A: Kaum. Meist flossen solche Themen wie Auto oder gar Fußball einfach in die DFÜ-Boards ein; manchmal gab es Unterabteilungen für diese Dinge. Mir ist allerdings auch mal ein Anarcho-BBS untergekommen, also ein Board für richtige Anarchisten. Ganz international. Total verschwörerisch, absolut paranoid. War aber manchmal witzig, deren ernsthafte Texte darüber zu lesen, wie denn ein anarchistisches Staatswesen auszusehen hatte – freier Zugang zu den Daten für alle, das war bei denen aber immer eine zentrale Sache.

Lange Nächte

F: Wieviel Zeit hast du denn in DFÜ-Zeiten am Computer verbracht?
A: Weniger als du vielleicht denkst. Das ging ja alles nicht so schnell. Da hat man was gestartet und nicht einfach gewartet, sondern vielleicht am anderen Rechner was programmiert. Allerdings war man meistens nachts unterwegs, weil da die Verbindungen in der Regel schneller liefen. Wenn ich aber in eine spannende Diskussion geraten war, womöglich mit Amis, dann konnte auch schonmal eine ganze Nacht draufgene.
F: Und die Kosten? Da gab’s ja noch keine Flatrates…
A: Ich glaub, darüber möchte ich nichts sagen. Oder, doch: Basis für die ganze Hackerei war die Möglichkeit, irgendwie kostenlos ins Telefonnetz zu kommen. Dafür gab es Dutzende Tipps und ständig aktualisierte Listen von Einwahlnummern. Ich weiß noch: Mein Favorit war eine ganze Zeit lang eine Nummer für R-Gespräche bei einem der beiden britischen Telefonnetze. Die hast du angewählt, dann kam eine R-Gespräch-Durchsage. Dann hast du kurz gepfiffen, und -schwupps- hattest du eine kostenlose und internationale Verbindung. Konntest du also für lau rund um den Globus telefonieren.

Beim nächsten Mal geht es um den Übergang aus den wilden Hacker-Zeiten in die geregelte Welt der E-Mail. Bernhard W. wurde auch legal und dann einer der ersten Compuserve-Nutzer in Deutschland.

Und hier die Links zu den anderen Folgen der Serie „Online-Leben“:
Online-Leben (1) – Am Anfang war der Bildschirmtext
Online-Leben (3) – Die kurze Ära Compuserve
Online-Leben (4) – Bin ich schon drin?
Online-Leben (5) – Alles so vernetzt hier…

Ein Gedanke zu „Online-Leben (2) – Alles nur was für Hacker“

  1. Mein erstes Modem (300 Baud) klemmte ich damals illegal zwischen VC-20 und Post-Dose an. Hat nie funktioniert – aber reklamieren ging nicht wirklich und ich hatte wochenlang angst, dass man mich erwischen würde, denn „Die Post misst den Widerstand der Leitungen“ hieß es.

    Dann kam auch schon das dataphon S21/23D – irre schnell 1200/75 glaub ich. Mit dem produzierte ich eine 500 DM-Rechnung (Zone 3 nach Passau, aber näher gab es nichts!) weil die Calling Cards nicht funktionierten. Das über die USA war aber immer übel, weil es extreme Verzögerungen gab und es nur wirklich selten gut funktionierte. Howerver: Die Telefonrechnungen gaben richtig Ärger mit meinen Eltern, weshalb die nicht ganz so sauberen Lösungen fast schon Notwehr waren. Mit dem braven „Mailbox“-Thema waren wir damals auch im Zündfunk. Irgendwie gab es da noch nicht so viele, die was erzählen konnten.

    Das Mailboxen nichts mit Raubkopien zu tun hatten, kann ich nicht sagen. Wir hatten eine kleine Multiline mit zwei Modems dran (später wurde das ein Fido-Node auf SBBS-Basis). Mit den Zyxels und USR 9600 haben wir damals Rohdaten, cracks und meine Intros durch Deutschland geschickt. Allerdings dauerte das eeeewig. Eine Stunde und mehr war keine Seltenheit. Aber immer noch besser als wegen einem Original 600 km nach Düsseldorf zu düsen, nur weil wir das Original hatten ;) Haben wir tatsächlich gemacht *kopfschüttel* Das meiste lief aber per Diskette über PLK.

    Später wurde aus mir übrigens ein braver IT-Redakteur und heute (etwa 30 Jahre später) sehe ich das aus einem ganz anderen Blickwinkel. Es war nicht gut was wir machten – aber darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht. Es ging nur darum richtig bekannt zu werden … einen Namen zu haben. Aber was hilft „ein Name“, wenn Du später nicht drüber reden kannst und heute sagen die Pseudonyme von damals niemandem mehr etwas.

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