Phablet-Praxis: The Return of the Herrenhandtasche

Huawei-Ascend-Mate-phabletDie Vorstellung, sich einen Tablet-PC ans Ohr zu halten um zu telefonieren, hat etwas Komisches. Tatsächlich ist der Größenunterschied zwischen einem iPad Mini als typischem Vertreter der Gattung „Tablet“ und beispielsweise dem Huawei Ascend Mate, einem sogenannten „Phablet“ mit kaum anderthalb Zoll in der Display-Diagonalen sehr gering. Betrachtet man ein solches Phablet mit den Augen eines Smartphone-Users, wird einen die Bildschirmgröße immer dann begeistern, wenn Videos über das Display flimmern, wenn Bilder angezeigt werden oder man mit dem mobilen Webbrowser durchs Netz surft. Aus Sicht eines Tablet-Besitzers überzeugt dagegen die grundsätzliche Möglichkeit, mit dem Gerät auch telefonieren zu können. Die praktische Erfahrung lehrt: Das macht aber praktisch niemand – jedenfalls nicht auf klassische Art.

Denn mit einer Breite von fast neun Zentimetern passt der Ascend Mate nur noch in ausgesprochen ausladende Männerhände. Die inzwischen gängige Einhandbedienung fällt zudem praktisch flach. Also hält man das Phablet eben wie ein iPad Mini in einer Hand und bedient es mit den Fingern der anderen. Um dann aber doch zu telefonieren, kommt in 99 Prozent der Fälle die Freisprecheinrichtung zum Einsatz. Deshalb sind fast alle Phablet-Fans fast immer mit ihrem Gerät per Ohrhörer verbunden und halten das Gerät zum Telefonieren mit einer Hand schräg vor den Mund. Die ganz gewiefteten Nutzer setzen dagegen auf ein Bluetooth-Headset und nehmen das Phablet für ein Ferngespräch gar nicht erst aus der… Ja, wo holen sie das Riesenteil denn raus?

Fakt ist, dass kein Smartphone mit sechs Zoll oder mehr Bildschirmdiagonale in eine DIN-genormte Hemd- oder Hosentasche passt. Selbst die Sakkoinnentasche ist in den meisten Fällen zwar tief genug, aber zu schmal. Im Klartext heißt das: Wer ein Phablet anschaffen und nutzen will, sollte sich vorher Gedanken über die geeignete Kleidung machen. Damen haben es leichter, sie stecken das übergroße Phone einfach in die Handtasche. Das gilt auch für Rucksackträger beiderlei Geschlechts. Und sollten sich Phablets immer mehr durchsetzen, wer weiß, vielleicht erlebt dann die klassische Herrenhandtasche ein glanzvolles Comeback.

Aber das Telefonieren gehört in der Realität eher zu den untergeordneten Anwendungen eines Phablets. Neben dem Genuss multimedialer Inhalte dient ein solches Gerät in erster Linie als Mischung aus Informationsbeschaffer und Notizbuch. Der große deutsche Regisseur Wim Wenders hat das im mittlerweile legendären Werbespot für das Samsung Galaxy Note ja eindrucksvoll vorgemacht und davon geschwärmt. Tatsächlich ist die Möglichkeit, mit einem Stift Texte und Zeichnungen einzugeben bzw. Inhalte mit Stifteingaben zu kommentieren, ein wichtiger Pluspunkt entsprechender Phablets. Wobei sich bei Anwendungen dieser Art die Grenzen zwischen Phone und Tablet noch mehr verwischen, denn mit den entsprechenden Zusatzgeräten und Apps können auch alle Tablet-PCs per Stifteingabe gesteuert und mit Inhalt gefüllt werden. Und dann kommt bei Vielreisenden eine andere Variante ins Spiel. Da wird übernimmt das 9- oder 10-Zoll-Tablet die Rolle des Ein- und Ausgabegeräts für Content jeder Art, während das Smartphone in der Tasche bleibt und den Wlan-Hotspot mimt. Ansonsten wird es nur zum klassischen Telefonieren genutzt.

Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass es beim mobilen Computern immer um drei Kategorien geht: Telefonieren Ja/Nein, Displaygröße und Eingabemöglichkeiten. Denn am anderen Ende der Mobilskala lauert die Smartwatch mit kleinster Anzeige und sehr begrenzten Eingabemöglichkeiten. Selbst das gute alte Handy ohne Touchscreen hat bei vielen Anwendern noch einen guten Stand, denn wenn er wirklich nur fernsprechen und simsen will, braucht den ganzen Online-Quatsch nicht. Immer weniger beliebt werden, will man den einschlägigen Statistiken glauben, Tablet-PCs mit mehr als 7-Zoll-Diagonale und eigener SIM-Karte; vermutlich weil mit diesen Geräten dann doch nicht so richtig telefonieren kann. Vermutlich werden also Phablets auf mittlere Sicht genau diesen Typ Mobilgerät ablösen.

Bleibt zum Schluss die Frage, ab welcher Größe überhaupt von einem Phablet die Rede sein kann. Es läuft alles darauf hinaus, dass eines eine 6-Zoll-Grenze gibt, also nur Smartphones mit sechs oder mehr Zoll Display-Diagonale mit diesem Begriff gekennzeichnet werden. Zudem zeigt sich gerade anhand der Erfahrungen von iPhone-Fans mit dem neuen iPhone 6+, dass nicht jeder mit einem Phablet zurechtkommt – nicht wenige Käufer eines Plus-iPhones haben das Gerät nach wenigen Tagen oder Wochen gegen das iPhone der „normalen“ Größe wieder eingetauscht. Größer ist nämlich nicht einfach besser, es kommt auf den Einsatzzweck an. Wer ständig unterwegs ist, dabei eher wenig telefoniert, aber entweder Filme anschauen möchte oder arbeiten muss, für den sind Phablets eine ideale Erfindung. Für alle anderen eher nicht.

2 Gedanken zu „Phablet-Praxis: The Return of the Herrenhandtasche“

  1. “ Um dann aber doch zu telefonieren, kommt in 99 Prozent der Fälle die Freisprecheinrichtung zum Einsatz.“

    Das habe ich häufig nicht nur bei Phablets, sondern auch bei normalen Smartphones miterleben dürfen.

    „Deshalb sind fast alle Phablet-Fans fast immer mit ihrem Gerät per Ohrhörer verbunden […]“

    Dieses Glück ist mir bislang leider nicht vergönnt gewesen. Vielmehr durfte ich nun schon mehrfach neben dem lauthalt quatschenden Phablet-/ Smartphone-User dank Freisprecheinrichtung nun auch sein Gegenüber ertragen :-(.

  2. Ja – das kenne ich… Manchmal fragt man sich dann auch (bei all den Privatsphäre-Diskussionen) was sich Leute denken, die (egal mit welchem Gerät) in Zügen oder im Zubringerbus zum Flugzeug noch schnell „…was wichtiges..:“ telefonisch erledigen und dabei tiefe Einblicke in Firmen-Internas und natürlich in die Persönlichkeit des Telefonierenden geben. Erst recht wenn man bei Antworten der andere Seite auch noch das Gesicht des Anrufers beobachen kann ;-) Läuft für mich unter digitaler Treppenwitz…

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