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Kleine Weltgeschichte der deutschen Computerzeitschriften

Die letzten Mohikaner - Computerzeitschriften vor dem Aussterben

Die letzten Mohikaner - Computerzeitschriften vor dem Aussterben

Ja, doch, es gibt sie noch, die Computerzeitschriften. Und damit meinen wir jene Printpublikationen, die sich mit Themen rund um PC-Hard- und Software sowie diverse digitale Themen an Otto Normaluser wenden. Nun sind gedruckte Periodika in den Zeiten des allgegenwärtigen Netzes ohnehin etwas Archaisches, über Rechner und das Drumherum auf Papier zu berichten, ist in der Ära des Always-On-Webs beinahe schon absurd. Dabei haben wir Digisaurier, die in den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern kräftig an Computermagazinen mitgearbeitet haben, damals geglaubt, dieser Typ Zeitschrift würde einst genauso wichtig werden wie die Autozeitschrift. Weit gefehlt…

Als man GEM und Windows noch in Vergleichstests schickte
Die goldene Zeit der deutschsprachigen Computerblätter waren sicher die Achtziger, und der Aufschwung der Zeitschriften verlief über zehn, zwölf Jahre parallel zur Verbreitung von Homecomputern und PCs in den Haushalten und Büros. Als der Verfasser dieses Beitrags 1983 eher zufällig Chefredakteur der „Data Welt“ wurde, dieser Computerzeitschrift, die aus dem Katalog der Firma Data Becker hervorgegangen war, fühlte sich die ganze Landschaft ungefähr so an wie heute die Startup-Szene. In kaum einer Redaktion wirkten Menschen mit Blattmachererfahrung, journalistische Qualität war weniger wichtig als Computer-Knowhow, und der Erfolg entstand aus Kreativität.

Hannes, Christian und das C64 Buch – am Stand vom Vogel-Verlag
Da draußen saßen Tausende, die sich aus bisweilen unerfindlichen Gründen einen C64 oder einen anderen Homecomputer gekauft hatten und nun nicht so recht wussten, was sie damit anfangen sollten. Zudem war die Märkte der Peripheriegeräte und der Software extrem unübersichtlich, und die Menschen brauchten Hilfe von Experten. Vor 1980 gab es de facto nur die „CHIP„, die dem Würzburger Vogel-Verlag, der sich schon 1978 ans Thema gewagt hatte, unerwartete Auflagenrekorde brachte. Erst 1982 kam mit der „Computer persönlich“ aus dem Markt-&-Technik-Verlag aus Haar bei München eine ernstzunehmende Konkurrenz an die Kioske.

Ein Assembler-Listing zum Abtippen in der Computerzeitschrift RUN
Die Ähnlichkeit zu den alteingesessenen Automagazinen war groß. Da gab es bei der Hardware Vergleichstest, die teilweise Laborcharakter hatten, sowie „Testfahrten“, also Praxisberichte über Laufwerke, Bildschirme und Drucker. Der größte Unterschied aber war, dass das Thema „Programme“ oft mehr als die Hälfte an Raum einnahm. Der Hunger der User nach Software war gigantisch, zu kaufen gab es anfangs wenig, also fütterten die Redaktionen ihre Leserschar mit Listings. Alle Irrungen und Wirrungen dieser Branche bildeten sich gerade hier ab, also das Aufkommen sündhaft teurer Anwendungspakete von den Software-Giganten, die zugehörigen Raubkopien, die immergleichen Listings zum Abtippen, oft von Amateuren entwickelt, und später der ganze Kontinent der Free- und Shareware.

Es waren Goldgräberzeiten. Denn die Anbieter von Kisten und Programmen suchten händeringend nach Möglichkeiten, ihre Zielgruppen anzusprechen, nicht nur über redaktionelle Beiträge, sondern natürlich auch durch Anzeigen. Hierzulande kam es vor, dass Inserate fast die Hälfte des Heftumfangs ausmachten. Das war aber gar nichts im Vergleich zu den USA, wo eine der ersten Ausgaben des „PC Magazine“ zu mehr als zwei Dritteln aus Reklame bestand. Und weil gerade bei den global agierenden Herstellern schnell auch PR-Expert*innen am Werk waren, wurden die Redaktionen nach Belieben mit Testgeräten und auch „Dauerleihgaben“ versorgt.

Der Original Brotkasten – ein Commodore C64
Tests von Computern hatten ihre große Zeit in den frühen Achtzigern, als neben Commodore und Sinclair weitere Hersteller in den Markt der Homecomputer drängten. Das ließ wenig später nach. Erst das Erscheinen von Atari ST und Commodore Amiga änderte die Lage erneut. Die Macher*innen der Blätter, durchweg jünger oder kaum älter als Dreißig, waren nicht nur technikbegeistert, sondern auch zukunftsgläubig und konnten sich den Fortschritt nur im Mehr und Schneller vorstellen. 1986 war aus ihrer Sicht die 8-Bit-Welt schon mausetot, und ganz im Geiste heutiger Startup-Unternehmer stürzten sie sich in neue Zeitschriftenprojekte.

Da kamen dann eben nicht nur die „ST-Computer“ und das „Amiga-Magazin„, sondern ein längst vergessenes Heft namens „Level 16“, mit dem eine Bande Atari-ST-Freaks den Markt aufrollen wollten – die 16 bezog sich natürlich auf die 16-Bit-Systeme, denen aus deren Sicht die Zukunft gehörte. Vollends änderte sich die Szene der Computerpublikationen aber mit der Welle der IBM-Klones, also der „PCs“. Diese Kisten zielten nun nicht mehr vordringlich auf Konsumenten, und wenn, dann an diejenigen, die daran glaubten, ein PC auf jedem Desktop würde ihnen im Alltag helfen. Zugegeben: Wir alle lasen um 1984, 1985 herum vor allem die US-Magazine, besonders das „PC Magazine„, und wir wollten alle so schreiben wie John C. Dvorak.

Der Godfather der Computerjournalistik: John C. Dvorak (Foto via Wikimedia)
Branchen-News entnahmen wir der „Infoworld„, und auch die „PC World“ war Pflichtlektüre. Parallel entwickelte sich auch die Szene der Mac-Zeitschriften, deren Macher allesamt Apple-Fans waren und großen Wert darauf legten, ihre Publikationen GANZ ANDERS zu gestalten als die anderen. Und die Auflagen stiegen – außer bei den immer noch ausschließlich auf Homecomputer setzenden Blätter, zumal es von denen um 1990 herum eine fast unüberschaubar große Zahl gab. Dafür begannen die Verlage damit, Zeitschriften für das anwachsende Segment der Computerspieler herauszubringen.

Die erste Ausgabe der Computer Bild von 1996 (Quelle: Computer Bild)
Es gibt zwar keine zuverlässigen Statistiken dazu, wenn man aber die verfügbaren Quellen auswertet, dann dürfte es 1996 an die 70 Titel in diesem Segment gegeben haben; die Gesamtauflage könnte bei mehr als 10 Millionen Exemplaren monatlich gelegen haben. Warum 1996? Es war das Jahr, in dem der Springer-Verlag den Markt mit der „Computer Bild“ betrat. Für die Kenner der Branche schien klar: Wenn die mitspielen wollen, dann muss noch mehr Potenzial vorhanden sein. 1996 war aber auch das Jahr, in dem sogar in Deutschland das Internet einzog; damit auch das Worldwide Web und die Möglichkeit, „information at your fingertips“ zu haben, also das, was man bisher in Computerzeitschriften gesucht hatte, im Netz zu finden.

Die Auflagenentwicklung der PC-Welt (Quelle: IVW)
Drei Jahre später begann der Abstieg. 1999 vermeldete die „Computer Bild“ eine Auflage von 1,2 Millionen im ersten Quartal, im dritten Quartal 2001 waren es noch 800.000, und 2016 war der Quartalswert auf unter 250.000 gesunken. So ging es allen Computerzeitschriften, und immer mehr Verlage stellten die entsprechenden Publikationen ein. Schon 2014 erwischte es die „PC Praxis“, die noch durch Diversifizierung per Sonderheften und dem Nebenprojekte „PC intern“ sowie computerfremde Themen (z.B. Grillen) zu retten, was nicht mehr zu retten war. Inzwischen sind – je nach Zählung – noch sechs oder acht Zeitschriften übrig, die zumindest vorwiegend über die Computerei berichten.

Auch die Mutter alles deutschen Computerzeitschriften, die „CHIP„, hat eine Reihe Mutationen erlebt, hat allerdings frühzeitig auf ein eigenes Internetportal gesetzt und deutlich früher als andere sein Themenspektrum auf alles Digitale ausgeweitet. Zu den Überlebenden zählt auch die „c’t“, die ordentlich Federn hat lassen müssen, aber vermutlich über die treueste Leserschar verfügt, die sich besonders stark auf dem Profibereich rekrutiert. Unsterblich scheinen auch das „PC Magazin“ und die „PC-Welt“ zu sein, die beide mit ungewöhnlich hohen Abozahlen glänzen. Und für die Apple-Fans ist gar nur noch die winzige „Mac Life“ übrig.

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