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Zeitungskrise? Buchkrise? Also für mich hat sich nix geändert…

Diskurs_EBook_ (1 von 1)
Eine der vielen Diskussionen ums EBook auf der Buchmesse. Dabei meine Weggefährten Ralph Möllers und Holger Ehling. Gleich danach bin ich mit dem Rad von Frankfurt nach Tübingen geradelt und hatte ein eBook dabei. Mit allen meinen Büchern! Auf 400 km! auf dem Rad! Noch Fragen?

60 Jahre ist er, der Verband der Zeitschriften und Zeitungsverleger. Die Buchmesse steht vor der Türe – und geht auf den 70iger zu…. Und da wie dort, wird von Krise geredet. Krise der Kultur, Krise des Journalismus usw. Es gibt unzählige Artikel, die deutlich machen, dass das eher nicht wahr ist. Es ist eine Krise eines Trägermediums – Papier. Nicht die Krise des Geschichtenerzählens. Muss ich mich nicht weiter dazu äußern, oder? Aber ein Aspekt ist mir wichtig im Diskurs. Fehlt vielleicht sogar sehr oft. Für mich als Nutzer hat sich nämlich im Gegensatz zu Verlagen und Händlern gar nix geändert in den letzten 20 Jahren. Ich zahle immer noch für das gleiche dasselbe…

Ich zahle immer noch allerhand für die Chance etwas zu lesen – nur das Geld kriegt jetzt jemand anderer…

Die Buchmesse heißt Buchmesse. Nicht Papiermesse. Und eigentlich müsste sie Geschichtenmesse heißen…

Warum habe ich immer mehrere Bücher mit in den Urlaub genommen? Um, wenn ich Zeit habe, am Strand oder im Hotel zu lesen. Warum habe ich die Zeitung im Flugzeug mitgenommen? Um, wenn ich Zeit habe, zu lesen. Warum habe ich am Bahnhofskiosk drei und mehr Zeitschriften gekauft?  Genau: um, falls ich Zeit habe, zu lesen. Und wie viel habe ich tatsächlich gelesen? Meist einen Bruchteil des bezahlten Angebotes, dass ich dabei hatte. Einerseits weil ich weniger Zeit hatte, als gedacht. Aber auch klarerweise weil mich bei Zeitung und Zeitschrift (und hie und da auch beim Buch) nicht alles interessiert hat. Manches habe ich später nachgeholt, manches nie…Viele Zeitungen, Zeitschriften und auch manches Buch blieben ungelesen. Ganz oder teilweise. Aber – und das war das tolle für die Verlage – das Geld, dass ich ausgegeben habe, das habe ich in erster Linie sicherheitshalber ausgegeben. Für die Chance zu lesen, falls ich Zeit und Gelegenheit habe.

Es fehlt die „Grundlast“ in der Kasse

Lesen in der Bahn, weil man wegem schlechten Wetter statt mit dem Rad mit der Bahn weiterfährt? Kein Problem mit dem Tablett in der Satteltasche…

Denn am Urlaubsort war das Angebot meist sehr klein. Im Zug gab es nix usw. Und heute? Heute gebe ich ein ähnliches Budget aus wie früher am Kiosk. Jeden Monat. Und immer noch für die Chance zu lesen. Aber das Geld kriegt zum Beispiel die Telekom für den Zugang zum Netz. Der Tablett-Produzent für die Chance auf Leichtigkeit trotz vieler Inhalte, die ich dabei habe. Denn mein Tablett sorgt dafür, dass ich im Zug – wenn ich Zeit habe – jederzeit etwas lesen kann. Ob nun Zeitung, Buch oder Zeitschrift. Aber das wir uns nicht missverstehen.

Ich sage nicht, dass ich für Dave Eggers „The Circle“ auf dem Tablett oder die Wirtschaftswoche als App nicht bezahlt habe. Aber: ich habe nicht sicherheitshalber drei Bücher für eine längere Reise in der Buchhandlung gekauft. Und auch nicht fünf Zeitungen und Zeitschriften für die Zugfahrt. Muss ich nämlich nicht, weil ich – wenn ich Bedarf habe – das ja vor Ort, im Zug usw. immer noch kann.

Und wenn ich Offline bin? Kein Thema: erstens bin ich das immer seltener. Und Zweitens: weil ich alles, was sich die letzten Wochen so zum lesen angesammelt hat, Artikel, Zeitschriften usw. eh auf dem Tablett immer dabei habe. Also auch nicht das Risiko habe, dass mir der Lesestoff ausgeht. Darum wäre auch das „Offline“  egal. Fakt ist: früher hatte ich das alles auch. Nur eben woanders, wo ich nicht zugreifen konnte. Oder einen zweiten Koffer gebraucht hätte…

Wenn der Anzug nicht mehr passt, wechselt man. So wie ich – wenn ich von der Buchmesse mit dem Rad losfahre, die Krawatte und das Presseschild eintausche gegen Radklamotten… Zahlen muss ich für beide Textil-Angebote….

Aber der Bedarf, den man damals nur an wenigen Orten decken konnte, die Chance zum lesen, die man an diesen Plätzen nur sichern konnte – das ist tatsächlich vorbei. Und diese Grundlast an Geld, das ich und viele andere ausgegeben hatten, das fehlt jetzt den Händlern und Verlagen. Insofern haben wir eine Veränderung der Infrastruktur, die aber mit der Kultur des Lesens nix zu tun hat. Und sie auch nicht in eine Krise wirft.

Fazit: Es ist eine Sicherheitslücke geschlossen worden. Die Sicherheitslücke nichts zu lesen zu haben, wenn man es möchte. Aber dafür bezahle ich jeden Monat. Nur eben jetzt an jemand anderen. Ob das fair ist? Keine Ahnung – aber für mich hat sich nix geändert. Ich zahle. Für Chance und Inhalt.

Hinweis: die Gedanken zu diesem Artikel entstanden auf einer 400 km Radtour unmittelbar nach der Frankfurter Buchmesse 2011. Ich radelte von Frankfurt bis nach Tübingen. Und es war ein Erlebnis, nach den vielen Diskussionen, der Hektik und den Gesprächen der Messe plötzlich ganz langsam an Rhein und Main entlang zu fahren und über alles nachzudenken. Von dieser Reise stammen auch die Bilder.

Christian Spanik

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