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Autonomes Fahren gestern, heute, morgen

Autonomes Fahren ist ein Zukunftsthema. Das stimmt – dennoch reichen die ersten Experimente bis 1968 zurück. Heute bieten Assistenzsysteme bereits Teilautomatisierung in bestimmten Fahrsituationen – und die Hersteller testen intensiv das hochautomatisierte und vollautonome Fahren. Wo stehen wir heute, wie sieht die weitere Entwicklung aus – und welche Rolle spielt bei alledem das künftige Mobilfunknetz 5G?

Lieber zuschauen oder lieber lesen? Sie haben die Wahl. Schauen Sie sich hier den rund 50-minütigen Mitschnitt unserer Sendung zum Schwerpunkt-Thema Autonomes Fahren an – oder lesen Sie den Artikel darunter:

Autonomes Fahren gestern: Das „Geisterauto“ von Continental drehte schon 1968 seine Kreise

Die Idee vom autonomen Fahren ist älter als man denken könnte. Schon 1968 experimentierte der Automobilzulieferer Continental auf seinem Testgelände „Contidrom“ in der niedersächsischen Südheide mit selbst fahrenden Autos.

Continental schickte das erste autonom fahrende Auto bereits 1968 auf sein „Contidrom“.

Es dürfte sich dabei um das erste elektronisch gesteuerte, fahrerlose Fahrzeug handeln. Doch die Motivation war seinerzeit nicht, Passagiere autonom über Autobahnen, Landstraßen oder durch Städte zu chauffieren. Continental suchte vielmehr nach einem Weg, seine Reifentests zu verbessern und sie teilweise zu automatisieren. Denn Ungenauigkeiten menschlicher Fahrer konnten leicht die Messergebnisse verfälschen.

Diese Continental-Ingenieure entwickelten 1968 das erste selbstfahrende Auto: (von links nach rechts) Klaus Weber, Hans-Jürgen Meyer und Herbert Ulsamer.

Die seinerzeit mit dem Projekt befassten Entwicklungs-Ingenieure Klaus Weber, Hans-Jürgen Meyer und Herbert Ulsamer erinnern sich. „Das Testfahrzeug ist praktisch wie auf Schienen gefahren“, berichtet Hans-Jürgen Meyer. Die Schienen waren in diesem Fall ein Leitdraht, der in der Mitte der Fahrspur befestigt war. Unter Strom gesetzt erzeugt er ein Magnetfeld. Mess-Spulen am Fahrzeug registieren, wenn sich das Auto vom Draht entfernt, beispielsweise durch plötzlich auftretenden Seitenwind. Dann bewegte ein Stellmotor das Lenkrad, um das Auto auf der Spur zu halten. „Der Testfahrer stellte das Testauto auf den Leitdraht, löste die Bremse, und das Automatik-Fahrzeug fuhr los“, erinnert sich Klaus Weber. Möglich machte all das eine leistungsstarke Elektronik im Kofferraum.

Gas geben, bremsen, Licht und Hupe betätigen – diese Funktionen ließen sich von einem Leitstand fernsteuern.

Von einem Leitstand aus konnten die Tester Gas, Bremse, Beleuchtung und Hupe fernbedienen. Doch was sich in der Theorie so einfach anhört, war in der Praxis eine Frage feinfühliger Abstimmung – erst nach langer Einstellung und Anpassung der Elektronik verhielt sich das Testfahrzeug wie gewollt und brach nicht aus der vorgegebenen Spur aus.

Das „Geisterauto“ wurde seinerzeit auch schnell zum Medienstar: Über 400 Medien, darunter auch die „Tagesschau“ berichteten über das bahnbrechende Projekt.

Autonomes Fahren heute: Auf dem Testfeld Autobahn A9 wird 5G bereits ausprobiert

Auch heute wird die Zukunft des autonomen Fahrens und der Telekommunikation bereits intensiv getestet – unter anderem auf einem Teilstück der Autobahn A9 zwischen Nürnberg und Ingolstadt. Digisaurier-Redakteur Hannes Rügheimer nahm dort an einer Testfahrt im ICE und Reisebus gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer teil.

Ortstermin auf und neben dem Testfeld Autobahn – mit prominenten Mitreisenden (von links nach rechts): Stefan Koetz, Vorsitzender der Geschäftsführung Ericsson GmbH, Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Prof. Dr. Sabina Jeschke, Vorstand Digitalisierung und Technik Deutsche Bahn AG und Alexander Saul, Geschäftsführer Firmenkunden Vodafone GmbH.

Auf diesem „Testfeld Autobahn A9″ und der parallel verlaufenden ICE-Strecke können Ingenieure der Autohersteller und auch der Deutschen Bahn bereits Teilelemente der 5G-Technik ausprobieren. Zum Beispiel die sogenannte „Edge Cloud“. Sie ist der Schlüssel dafür, dass das 5G-Netz in Zukunft viel schnellere Reaktionszeiten bieten kann als die heutigen Mobilfunknetze bis einschließlich 4G. Die Ingenieure sprechen von „geringen Latenzzeiten“. Beträgt diese Übertragungsverzögerung heute im 4G/LTE-Netz noch 30 bis 50 Millisekunden, soll sie bei LTE hinunter bis zu einer Millisekunde gesenkt werden. Um dies zu erreichen, können Cloud-Server nicht mehr mehrere hundert Kilometer von den Mobilfunksendestationen entfernt stehen – selbst mit Datenübertragung in annähernd Lichtgeschwindigkeit über Glasfaserkabel würde die Übertragung sonst viel zu lang dauern. Vielmehr müssen die in der Cloud bereitgestellten Daten und Funktionen direkt an die Sendestationen (und somit an den Rand – englisch: edge – des Mobilfunknetzes) rücken.

Digisaurier Hannes Rügheimer besichtigt einen der Edge-Cloud-Server neben der A9.

Beim Testfeld Autobahn A9 sind solche Edge-Cloud-Server direkt bei den sechs Mobilfunk-Sendestationen entlang der Autobahn installiert – zum Beispiel in einem Technik-Container bei der Autobahnmeisterei Greding. So können etwa Fahrzeughersteller schon heute ausprobieren, wie die in der Edge Cloud bereitgestellten Daten und Algorithmen mit den Systemen an Bord ihrer hochautomatisierten oder vollautonomen Testautos zusammenarbeiten.

In ihrem „Advanced TrainLab“ testet die Deutsche Bahn unterschiedliche 5G-Anwendungen.

Auch die Deutsche Bahn interessiert sich für 5G und testet das neue Netz in ihrem „Advanced TrainLab“. Sie will mit dem neuen Mobilfunk zum einen ihren Fahrgästen leistungsfähigeres Internet während der Reise und mehr Entertainment-Angebote wie Videostreams bieten. Zum anderen soll 5G auch Telemetrieanwendungen ermöglichen, um etwa den Status der Systeme im Zug – vom Elektromotor im Triebwagen bis hin zur Kaffeemaschine im Bordbistro – aus der Ferne abrufen zu können.

Eine weitere Anwendung von 5G, die sowohl beim autonomen Fahren als auch bei anderen Einsatzgebieten wie beispielsweise dem Internet der Dinge („IoT“ – Internet of Things) eingesetzt werden soll, ist die exakte Positionierung übers Mobilfunknetz: Das System, das etwa auch für Drohnenflüge genutzt werden kann, basiert auf der „Triangulation“ der Signale mehrerer Mobilfunkbasisstationen. Aus den im Millisekundenbereich unterschiedlichen Laufzeiten der empfangenen Signale, kann ein 5G-Empfänger seine genaue Position berechnen – auch ganz ohne GPS, das vor allem im mobilen Einsatz viel Energie verbraucht und dennoch vergleichsweise ungenaue Ergebnisse liefert.

Klar ist auch, dass die Mobilität der Zukunft stark auf Vernetzung basiert – etwa in „multimodalen“ Verkehrsnetzen, in denen autonome Car-Sharing-Fahrzeug, öffentlicher Nahverkehr, Fernzüge und irgendwann auch weitere Verkehrsmittel wie möglicherweise Flugtaxis untereinander kommunizieren und ihren Passagieren die schnellste, bequemste und/oder kostengünstigste Reisemöglichkeit vom Startpunkt zum Ziel anbieten. Auch dafür soll 5G ein wichtiges Rückgrat werden.

Autonomes Fahren morgen: Notfalls geht es auch ohne 5G, aber mit 5G läuft es deutlich besser

Beim autonomen Fahren spielt der Mobilfunk der fünften Generation eine wichtige Rolle. Natürlich müssen autonome Autos auch zuverlässig funktionieren, wenn kein 5G-Netz (oder gegebenenfalls auch überhaupt kein Mobilfunk) zur Verfügung steht.

Selbstverständlich muss ein autonomes Fahrzeug mit seiner Sensorik auch ohne Mobilfunk sicher fahren können. Doch 5G wird zusätzliche, bessere Informationen liefern. (C) Audi

Doch 5G-Vernetzung mit kurzen Reaktionszeiten erlaubt autonomen Fahrzeugen beispielsweise, sich gegenseitig über ihre Absichten (etwa einen geplanten Überholvorgang) oder Gefahrenstellen zu informieren. Gegenüber der direkten Kommunikation, wie sie etwa „Car-2-Car“ bieten wird, hat ein Mobilfunknetz hier den Vorteil, dass es Informationen auch schon von weiter vorausliegenden Streckenabschnitten (einem größeren „elektronischen Horizont“) anliefern kann.

Gerade für diese Anwendungen spielt die bereits erwähnte Edge Cloud eine zentrale Rolle: Die näher an die Fahrzeug herangerückte Rechenleistung und Datenspeicherung macht die schnellen Reaktionen beziehungsweise „kurzen Latenzen“ bei der Kommunikation zwischen Fahrzeug und Fahrzeug oder auch Netz und Fahrzeug überhaupt erst möglich.

Mit der Edge-Cloud und Network Slicing lassen sich schon heute wichtige Bausteine von 5G in der Praxis erproben.

Eine weitere wichtige Eigenschaft der 5G-Netze ist das sogenannte Network Slicing: Um die Übertragung für verschiedene Anforderungen zu optimieren, wird sie sozusagen in einzelne Scheiben zerlegt. Ein Slice kann für hohe Datenraten ausgelegt sein und damit etwa Datei-Downloads bedienen. Ein anderer ist auf maximale Zuverlässigkeit, aber geringere Geschwindigkeit ausgelegt – etwa für die Kommunikation zwischen hochautomatisierten Autos. Und ein dritter bietet maximale Energieeffizienz, damit IoT-Geräte jahrelange mit nur einer Batterie durchhalten können.

Ein Element künftiger 5G-Netz fehlt allerdings noch auf dem Testfeld Autobahn A9: nämlich der eigentliche 5G-Funkstandard, das sogenannte „5G New Radio“. Als die Testinstallationen dort seit 2015 aufgebaut wurden, stand dieser Funkstandard schlicht noch nicht zur Verfügung – er wurde erst 2018 standardisiert. Doch Zug um Zug werden die Netzbetreiber diese neue Technik in den nächsten Monaten und Jahren sowohl neben der Autobahn A9 als auch im Rahmen ihrer ersten 5G-Netzinseln installieren.

Was bedeuten die „Levels“ beim autonomen Fahren?

In diesem Zusammenhang lohnt ein kurzer Blick darauf, was die Autoindustrie (übrigens einheitlich definiert für Europa und die USA) eigentlich mit der Klassifizierung autonomer Fahrfunktionen von Level 0 bis Level 5 genau meint:

Level 0 entspricht dem klassischen Autofahren – der Fahrer lenkt, gibt Gas, bremst und so weiter.

Level 1 steht für einzelne, isolierte Assistenzsysteme – zum Beispiel einen Abstandsradar, auch ACC, „Adaptive Cruise Control“ genannt.

Bei Level 2 sind einzelne Funktionen automatisiert, etwa durch einen Spurhalteassistenten, Staufolgefahren oder eine automatische Einparkfunktion. In diesen definierten Situationen steuert, beschleunigt und bremst das Auto selbstständig.

Level 3 steht bereits für Hochautomatisierung. Solange die Assistenzfunktionen in Betrieb sind, braucht der Fahrer das Auto nicht ständig zu überwachen. Das Fahrzeug kann selbstständig lenken, blinken, die Spur wechseln und ähnliches mehr. Der Fahrer muss sich aber bereithalten, innerhalb einer Vorwarnzeit wieder die Kontrolle zu übernehmen.

Level 4 ist dann schon Vollautomatisierung. Die Kontrolle des Fahrzeugs wird dauerhaft vom Computer erledigt. Nur in Ausnahmesituationen muss der Fahrer noch selbst die Steuerung übernehmen.

Bei Level 5 ist kein menschlicher Fahrer mehr erforderlich. Die Insassen sind nur noch Passagiere. Deshalb haben solche „Roboter-Taxis“ auch kein Lenkrad oder andere Bedienelemente zur Steuerung des Fahrzeugs mehr.

Wo steht das autonome Fahren heute, und wie sieht die weitere Entwicklung aus?

Heute ist die Industrie bei Level 3 angekommen – die Topmodelle von Herstellern wie Audi, BMW oder Mercedes beinhalten bereits entsprechende Funktionen. Doch auch juristischen Gründen sind sie zum Teil für den Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr noch nicht freigeschaltet. Man rechnet aber damit, dass noch im Lauf 2019 solche Level-3-Funktionen in der Praxis verfügbar gemacht werden.

Level 4 wird heute bereits von den Herstellern aktiv getestet – beispielsweise auf dem bereits genannten Testfeld Autobahn A9. Ohnehin ist abzusehen, dass die höheren Levels wie heute Level 3 und in einigen Jahren Level 4 nicht gleichzeitig in allen Verkehrssituationen und auf allen Straßen verfügbar sein werden. Der Start dürfte in beiden Fällen auf Autobahnen erfolgen, weil dort vergleichsweise überschaubare Bedingungen herrschen – kein Gegenverkehr, keine Ampeln, keine Kreuzungen und so weiter. Auf deutschen Straßen sind hochautomatisierte Fahrzeuge mit Level 4 etwa ab 2022 zu erwarten.

Google forscht mit seinem „Driverless Car“ direkt an Level 5. (C) Grendelkhan via Wikimedia, CC BY-SA 4.0

US-Unternehmen wie Tesla, Google und wohl auch Apple überspringen Level 4 zum Teil und arbeiten schon direkt an Level 5. Solche vollautonomen Fahrzeuge dürften ihre Premieren aber wohl nicht im öffentlichen Straßenverkehr erleben, sondern eher in abgeschlossenen Bereichen wie Firmengeländen, Flughäfen – überall dort, wo es sich Begegnungen mit von Menschen gesteuerten Fahrzeugen oder solchen mit deutlich geringerer Autonomiestufe nach Möglichkeit vermeiden lassen. Wo heute Tests auf öffentlichen Straßen stattfinden – etwa mit autonomen Bussen – sind heute aus rechtlichen Gründen immer noch menschliche Fahrer als Backup dabei. Bis wir Level 5 auf öffentlichen Straßen sehen, kann es noch einige Jahre dauern – oder vielleicht auch 2030 werden.

Mehr zum Thema bei uns? Bitte sehr:

Was passiert eigentlich, wenn dieses niedliche Auto über Leben und Tod entscheiden muss?

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