Vor zwei Jahren tauchten die ersten Gerüchte um eine „iWatch“ auf. Denn was konnte schon die nächste Produktrevolution aus Cupertino bilden? Der PC – auch der Mac – war entwicklungshistorisch „ausgelutscht“. Der iPod wurde mehr oder weniger ins iPhone integriert. Das iPhone selbst kann sich nur noch über höhere (!) Preise von Samsung differenzieren. Mit was wollte man im Silicon Valley künftig noch Umsatz generieren? Der Einstieg ins Wearable-Zeitalter muss über intelligente Uhren gelingen.
Und nun ist sie also da: die Apple Watch. Oder besser: nun sind sie da: die Apple Watches, mit je einer Version für Normalsterbliche in Plaste und Elaste, für Sportliche im leichten Alu-Kleidchen, für Edelmänner in feinem Gold. Ändern sich nun die Zeiten für jene, die Apple auf den Arm nehmen? Ist das der Beginn einer neuen Zeitrechnung, einer neuen Apple Revolution? Und wer wird zuerst schießen? Ja, die Apple Watch taugt als Symbol einer neuen Zeitrechnung. Die Zeit wird nie mehr wieder das sein, was sie uns einst war. Da bin ich mir sicher.
So wurde in der französischen Revolution der Zehn-Stundentag mit 100 Minuten pro Stunde und 100 Sekunden pro Minute beschlossen. Eine revolutionäre Zeit schrie zugleich nach ihrer revolutionären Vermessung. Die Entscheidung fiel am 1. August 1793. Und tatsächlich galt das Dezimalsystem der Zeit im revolutionären Frankreich immerhin ein knappes Jahr, zwischen Juli 1794 und April 1795, ehe mit dem Nachlassen des revolutionären Elans auch die Zeit erneut umgestellt wurde. Das Duodezimalssystem galt als überkommen, als rückschrittlich, als unvernünftig, als später Nachklang des römischen Imperiums. Die Zehnerrechnung des Dezimalwesens hingegen war der Maßstab des erwachenden Bürgertums, die Grundlage allen Handels.
Das Proletariat schießt auf die Uhr
Nur wenige Jahre später brachte die Julirevolution von 1830 erneut das Diktat der Zeit in Verruf. Bei Ausbruch der Unruhen am 27. Juli schossen aufständische Jakobiner, Repräsentanten der neuen proletarischen städtischen Unterschicht, unabhängig voneinander an mehreren Stellen der Stadt Paris die Uhren von den Türmen. Den Revolutionären galten die Zeitmesser als verhasstes Symbol von Unterdrückung, Zwang und Ausbeutung. Schließlich stand das Diktum der Stundenuhr auch schon für die ersten negativen Erfahrungen mit der bürgerlichen Revolution, mit der Entfremdung von natürlichen Zeitverläufen, mit der Entfrmedung von eigener (Lohn-)Arbeit. Abends war es, wenn die Turmuhr sechs Mal schlug, nicht wenn die Sonne unterging. Dies galt jedenfalls in der Stadt. Auf dem Land setzte sich eine einheitliche (inter-)nationale Uhrzeit erst später mit der Eisenbahn durch. In Deutschland dauerte es gar bis 1893, als die per kaiserlichem Dekret reichsweit eingeführte „Mitteleuropäische Zeit“ die bis dahin gültigen 60 regionalen Zeitzonen im deutschen Reich auf einen (Uhr-)Schlag vereinte. Erst mit der Eisenbahn war die Moderne im ganzen Land angekommen. Denn die Eisenbahn, Handel und Verkehr, setzten ein einheitliches und berechenbares Zeitsystem voraus.
Smart und durchtrieben – die Smart Watch
Übertroffen – nicht an Häßlichkeit, wohl aber an durchtriebener Funktionalität – wurde und wird sie erst durch die modernen Smartwatches, deren modernsten Vertreter Apple sich anheischig macht nun als Standard durchzusetzen.
Das Diktat der Zeit
Nicht nur, dass sich die Apple Watch als Terminwarner und Navigationsgerät in unseren Alltag drängt. Sie integriert auch einen rückseitigen Pulsmesser und ihre Verkettung mit unseren täglichen Körperfunktionen wird beim Herzschlag sicher noch kein Ende finden. Von Beginn an liefert Apple auf Wunsch ein Fitness-Armband als Uhrband an. Und lange müssen wir nicht warten, bis wir auch unsere Rechnungen über die Apple Watch begleichen werden. Sie wird uns vorschreiben, nach dem Verzehr des Schweinebratens zehn Minuten zu joggen. Sie wird dabei unsere Fitness überprüfen und uns zu Verhaltensänderungen mahnen. Am Horizont zeichnet gar sich die AOK-App ab, die via Punkte-System den Zustand unseres Körpers aufzeichnet und direkt in das Bonussystem unserer Lieblingskrankenkasse integriert. Und sie wird uns anhalten am Vormittag zu joggen, denn am Nachmittag soll es Regen geben.
Der Autor wird übrigens seiner Girard Perregeaux die Treue halten. Diese geht – bei aller schweizerischen Präzisionsmechanik – übrigens nicht wirklich genau. Aber ihr ist es auch gleich, ob ich gehe, stehe oder liege. Wir beide haben uns arrangiert. Wir schätzen gegenseitig unsere Eigenwilligkeit. Und wir beide können es erwarten, zu sehen, wer dereinst in revolutionärer Gesinnung auf die Apple Watch als Erster schießen wird.