Zwischen Teppichboden-Chef-Etage und Braunschweiger Entwickler-Chaos: Wenn Gerald Lang über seine Zeit bei Commodore erzählt, wird schnell klar: Hier sprechen nicht nur 30 Jahre IT-Erfahrung, sondern hier erzählt jemand, der die goldenen und chaotischen Jahre des Amiga hautnah miterlebt hat. Bei unserem Gespräch für die Amiga-Talks verriet er Geschichten, die zeigen, warum Commodore trotz genialer Technik scheiterte. Und es wird klar – es waren ganz oft Kleinigkeiten, die die Marke ins Stolpern brachten. Aber lest selbst.
Von spiegelverkehrt designten Bridgeboards über fehlende Backups bis hin zu 1100-Mark-Abendessenrechnungen – Gerald war mittendrin im Wahnsinn zwischen Frankfurter Anzugträgern und Braunschweiger Entwicklern. Manche der Geschichten mag man gar nicht glauben. Aber: Genau so hat Gerald sie aus seiner Erinnerung an diese Zeit erzählt.
Der Bauernopfer-Einstieg: Vom Amiga-Fan zum Entwickler-Flüsterer
„Meine persönliche Geschichte mit dem Amiga war eigentlich die, dass ich den Amiga kennengelernt habe, lange bevor ich bei Commodore war“, beginnt Gerald seine Erzählung. „Auf der ersten CeBIT, die ich jemals besuchen durfte. Da gab es den ersten Amiga und ich war hin und weg. Das war die perfekte Maschine für mich.“

Was dann folgte, war ein klassischer Fall von freundschaftlicher Manipulation. Ein Kollege, der von Baden-Baden nach Frankfurt zu Commodore gewechselt war, lockte Gerald 1988 mit einem verführerischen Angebot: „Ich habe einen Job bei Commodore für dich, komm zu mir.“
„Was ich erst hinterher erfuhr: Es war ein bisschen eigennützig von ihm“, lacht Gerald heute. „Er wollte die Abteilung wechseln, von der Technik weg zum Vertrieb und brauchte einen Nachfolger. Da hat er mich ausgesucht.“
„Das heißt, du warst eigentlich das Bauernopfer?“, hakte ich nach.
„Naja – ganz ehrlich: Für mich war es ein Riesenglück“, antwortet Gerald ohne zu zögern. „Die Community war damals schon ziemlich cool. Die Leute, die ich kennengelernt habe, gerade im technischen Bereich, waren super.“
Seine Mission bei Commodore war klar definiert: Den Entwickler-Support aufbauen. „Es gab bis zu meinem Anfang eigentlich niemanden, der sich wirklich intensiv um die externen Entwickler gekümmert hat.“ Commodore dachte damals tatsächlich: „Entwickler brauchen wir nicht, die Leute machen es eh von alleine.“ Ein fataler Irrglaube, wie sich zeigen sollte.
Industriespionage deluxe: Wenn Apple unfreiwillig Geburtshilfe leistet
Wie baut man ein Entwicklerprogramm auf, wenn niemand weiß wie? Gerald fand eine elegante – wenn auch gewagte – Lösung: „Ich habe im Namen meines Chefs sozusagen „Industriespionage“ betrieben. Wir wussten ja alle nicht, wie macht man so ein Entwicklerprogramm mit verschiedenen Levels von Support und überhaupt…“
Seine Methode war verblüffend direkt und als er sie erzählt bleibt mir einfach der Mund offen stehen. Was er machte: „Ich dachte, ich ruf mal bei Apple an und sage, ich würde gern Apple-Programme entwickeln.“
„Du hast bei Apple angerufen?“, fragte ich ungläubig.

„Genau – hat prima geklappt. Die haben mich praktischen zugeworfen mit Infos, mit Programmen und allem. Damit hatten wir eine super Basis! Und jede Menge Templates, wie man so ein Programm aufzieht.“
„Also Freunde, Apple war ein Stückweit Geburtshelfer für den Amiga und für den Support der Entwickler“, fasste ich zusammen. „Wer hätte das gedacht? Danke Steve, war sehr nett.“
Gerald nickt: „War echt cool.“, sagt er ganz trocken. Und dann musste Gerald zum Wanderer zwischen den Welten werden. Welche Welten? Frankfurt und Braunschweig. Dazwischen lagen wirklich Welten… Hmmm – so wie er erzählt eher Galaxien…
Frankfurt und Braunschweig: Der Kulturkampf im „Commodore-Haus“
Das Verhältnis zwischen Commodores deutschen Standorten war, nun ja, kompliziert. Frankfurt war die Vertriebs- und Marketingzentrale, Braunschweig das Entwicklungs- und Produktionsherz. Aber die Welten lagen nicht nur geografisch weit auseinander.
„Braunschweig war sehr weit weg, also weiter als der Mond“, beschreibt Gerald die Sichtweise aus Frankfurt. „Man muss sich das so vorstellen: Braunschweig war das Labor, die Entwicklung und die Produktion. In Frankfurt war die Teppichboden-Etage und da liefen alle mit Krawatte rum, alle mit Anzug. Es gab nur Marketing-Leute, Vertrieb und so was.“
Kurzer persönlicher Einschub: Ich kann mich auch noch gut daran erinnern. In der Zeit wo wir unsere Bücher machten und insgesamt rund um den Amiga aktiv waren, hatten Hannes und ich anfangs vor allem mit Frankfurt zu tun. Aber bald merkte man dort, dass es sinnvoll wäre uns irgendwie eine Kontaktperson in Braunschweig zu geben. So wurden wir – auf einer Amiga-Veranstaltung – mit dem damaligen Entwicklungschef bekannt gemacht. Und über ihn lernten wir Stück für Stück die ganze Mannschaft kennen. Eine echte Bereicherung. Auch menschlich. Anders gesagt: Auch wir waren irgendwie Wanderer zwischen den Commodore-Welten. Wenn auch unsere Situation lange nicht so kompliziert war wie die von Gerald.

Gerald und sein Chef waren sozusagen als technische Abteilung in Frankfurt bereits die „speziellen“ Mitarbeiter. Das war nicht leicht, wie er sich erinnert: „Der Vertrieb sagte immer: Ohne euch könnten wir dreimal so viele Maschinen verkaufen, weil ihr uns nur ausbremst. Ihr besteht immer darauf, dass die Prototypen erst produktionsreif gemacht werden müssen.“ In der Zeit – das muss man fairerweise sagen – konnte man alles verkaufen. Und was später oft von Microsoft behauptet wurde, dass die Kunden die wahren Beta-Tester sind, das galt damals für die Hardware. Nicht nur bei Commodore.
Um die Verbindung nach Braunschweig zu stärken, schickte sein Chef Gerald für eine Woche auf Tuchfühlung dorthin. „Wir brauchen mehr Connections zu Braunschweig. Das ist wichtig!“ So kam Gerald an seine Special-Mission – mit der Lizenz sich Freunde zu machen. Was erstmal nicht so leicht war. Er kam ja von den Anzugträgern. Aber: Er hatte eine geheime Wunderwaffe ;-)
Der Anzug-Schock: Wie man mit 1100 Mark Diplomatie macht
Der erste Eindruck in Braunschweig war, wie soll man sagen… Es ist kompliziert um es mit dem Status eines aktuellen Social-Networks auszdrücken. „Da kommt so ein junger Typ mit 23 im Anzug, sieht aus wie ein typischer Frankfurter aus dem Vertrieb und sagt: Ich bin euer Freund. Die haben alle skeptisch geschaut und gefragt: Na, was willst du denn wirklich hier?“
„Du warst eine Woche da? Im Anzug? Und hast es überstanden!“, bemerkte ich. „Das ist toll. Oder hast Du dich in einen Bundeswehr-Camouflage Anzug geworfen und versucht den Kampf um Anerkennung zu gewinnen?“
Weit gefehlt. Okay – die Krawatte hatte Gerald in Frankfurt gelassen. Aber dafür hatte er was anderes, privates mitgebracht. Den Beweis seiner Liebe und seines Enthusiasmus für den Amiga. Er brachte seinen modifizierten Amiga mit. „Das waren zwei Gehäuse, vollgestopft mit allem, was ein Prototyp haben konnte. Das war schon mal cool für die Jungs.“ Und als man mitten im fachsimplen war und man erstes Vertrauen zueinander gefasst hatte, dann kam die legendäre Abendessens-Einladung. Eine Einladung, die Gerald im Nachhinein auch in große Schwierigkeiten bringen hätte können.
„Ich habe einfach Zehn Mann Entwickler und Techies eingeladen zu einem gute Abendessen in Braunschweig“, erzählt Gerald. „Wir saßen alle da, hatten viel Spaß, sprachen über Amiga und das Potential und… Wir haben ungefähr 1100 Mark Rechnung produziert. Das war damals ein Schweinegeld.“
„Du hast die Rechnung bezahlt – hattest Du ein Spesenbudget?“, frage ich ich. Ja – hatte er. Aber irgendwie in einer anderen Dimension, wie er feststellen musste.
„Ich kam nach der Woche zurück nach Frankfurt und mein Chef war geschockt: Um Gottes willen, du liegst mit der Bewirtung weit über jedem Budget! Ich krieg die Rechnung sicher nicht frei.“

Aber Gerald und sein Chef hatten Glück: „Der Kollege, der die Spesenabrechnung gemacht hat, sagte: Ich finde die Idee cool. Ihr habt alles richtig gemacht. Er legte es dem Chef hin, der bei solche Summen nötig war um das zu genehmigen. Und der hat es ohne Meckern unterschrieben. Irgendwo zwischen allerlei Belegen und anderen Unterschriftsdokumenten war dann die Genehmigung auch auf unserer Abrechnung.“ Ob der Chef der unterschrieb das wirklich gesehen hat und dachte: „Das ist richtig so!“ oder ob es einfach in der Flut an Unterschriften mitlief – so genau weiß man das heute nicht mehr.
„1100 Mark“, überlege ich laut, „das wären heute 500 Euro – oder?“
„So locker – wenn nicht mittlerweile was den Wert betrifft eher auch 1.100 Euro“, bestätigt Gerald lachend. Damals hat er aber schon ein wenig gezittert, wie die Geschichte ausgehen wird.
Das Amiga Bridgeboard – ein Desaster in zwei Teilen
Eigentlich war zu dem Zeitpunkt doch alles bestens, oder? „Es ist bisher alles super gelaufen“, leitete ich zum nächsten Thema über. „Du warst da, du hast die Entwickler unterstützt, der Kontakt zu Braunschweig und der Austausch mit denen war etabliert. Es lief alles wie am Schnürchen. Es war alles pünktlich.“ Ich sehe wie Gerald den Kopf schüttelt. Da fällt mir ein, was er mir im Vorgespräch erzählt hatte: „Ne, es war nicht alles pünktlich. Da gab es zum Beispiel so ein Bridgeboard, das lief nicht so doll.“
„Das A2286“, ergänzt Gerald sofort. „Ja, genau das meine ich.“, bestätigte ich.
„Das war aus meiner Sicht ein Paradebeispiel, wie es nicht laufen soll“, beginnt Gerald eine der legendärsten Pannen-Geschichten der Amiga-Computergeschichte. „Das war ewig in Entwicklung und es kam und kam und kam nicht.“ Und dafür gab es Gründe – die aber erst heute erzählt werden dürfen…

Das Drama – der erste Akt. Es kam der erste große Rückschlag: „Wir hatten damals in den USA Sun-Workstations für die Platinen-Entwicklung und mein Kollege von dort ruft mich eines Tages plötzlich an und sagt: Das dauert doch noch ein bisschen mit dem Board – die Sonne ist erloschen…“ Das war seine Art zu sagen: Die Festplatte ist abgeraucht. „Die Festplatte der Sun-Workstation – mit den ganzen Plänen drauf.“ Man sieht Gerald noch heute den Schock an, wenn er das erzählt.
„Und was gab es natürlich nicht?“, führt Gerald die Geschichte zu ihrem dramatischen Höhepunkt.
„Sag jetzt nicht: ein Backup“, hake ich ungläubig nach. „Genau: Kein Backup“, bestätigt Gerald das Unvermeidliche.
Zweiter Akt im Drama: Spiegelverkehrte Welten – wenn Hardware zum Puzzle wird
Als endlich das erste neue Board nach Deutschland kam, bemerkte man folgendes „kleines Problem“: „Eine Weile später kam dann das erste völlig neue Board in Europa an, auf der CeBIT. Aber erstmal durfte keiner reingucken.“ Das heißt das Gerät wurde gezeigt. Die Innereien aber versteckt. Akt zwei des Dramas entfaltete sich sozusagen auf der CeBIT Bühne…
Denn die Geheimniskrämerei hatte natürlich einen Grund: „Das Board war im Amiga 2000-Gehäuse eingebaut, aber nicht normal reingesteckt, sondern ungefähr einen Zentimeter über der Platine montiert. Man hat in die Platine, in die Slots, einen Adapter reingesteckt und per Draht jeden Pin einzeln nach oben gefädelt aufs Bridgeboard.“
Der Grund für diese abenteuerliche Konstruktion? „Es war spiegelverkehrt designed. Es hätte elektrisch nicht reingepasst.“

Was bei Platinen bedeutet: Alle Anschlüsse, alle Leiterbahnen sind seitenverkehrt. Wie ein Puzzle, bei dem alle Teile gespiegelt sind. Der Stecker, der nach links gehört, zeigt nach rechts. Was rechts sein sollte, ist links. Das passierte damals übrigens häufiger als man denkt – irgendein Entwickler schaut aufs Layout und vergisst, dass er von der anderen Seite der Platine draufschaut. Wie wenn man im Selfie-Modus das eigene T-Shirt betrachtet und sich wundert, warum der Aufdruck rückwärts ist. Außer man hat ein Smartphone dass das von alleine korrigiert. Die Software zum Platinen-Design damals tat das auf jeden Fall nicht…
Das bedeutete im Grunde eine komplette Neuentwicklung. „Von der ersten Idee bis es auf dem Markt verfügbar war, hat das ungefähr zwei Jahre gebraucht. Und dann war die Zeit dafür eigentlich schon rum. Schade drum, weil es ein gutes Produkt war.“
Persönlicher Einschub: Ich kann mich gut daran erinnern – denn wir warteten ja schon auch als Journalisten einige Zeit auf dieses Board. Und als es dann am Stand war, durften wir keine Fotos davon für unsere Amiga Seiten in der DataWelt machen. Klar: weil wir eben den Rechner nicht aufmachen durften. Sonst wäre ja jemandem das Problem aufgefallen. Und allen anderen Kollegen ging das auch so. Pressesprecher Gerold Hahn sagte damals zu allen: „Das ist noch ein Prototyp. Und keiner will, dass der fotografiert wird. Das Board selber wird doch etwas anders aussehen…“ Das stimmte natürlich. Wenn es auch eine geschönte Wahrheit war. Aber er war ja nun mal der Presse-Sprecher. Das war sein Job. Dass das Board dann erst so spät nach seiner „Präsentation“ kam hat uns zwar gewundert. War dann aber letztlich egal. Denn wie Harald schon sagte: Die Zeit dafür warum und es wurde nicht mehr heiß erwartet.
Die amerikanische Familie: Die andere Seite von Commodore
Chaos war ein Teil bei Commodore. Und nicht nur bei diesem Hersteller in diesen Zeiten. Bei allen Computerherstellern. Gleichzeitig gab es aber auch dieses Familiäre. Und genau das erlebte Gerald kurz nach seinem Einstieg bei Commodore.
Seine erste USA-Reise war eigentlich privat: „Ich war im Urlaub. Das war relativ kurz nachdem ich bei Commodore angefangen hatte. Meine Mutter sagte: Mensch, ich will mal in die Staaten. Ich kann so schlecht Englisch, komm doch mit mir. Und da haben wir drei Wochen USA gebucht.“ Dabei beschloss Gerald, seine neuen Kollegen in Westchester zu besuchen.
„Wobei, stimmt es, dass dir die Arbeit bei Commodore beim Visa geholfen hat?“, hakte ich nach.
„So ist es“, bestätigt Gerald und erzählt eine Geschichte, die zeigt, wie klein und begeistert die Computer-Community damals war: „Ich bin nach Frankfurt zum Konsulat. Da muss man seinen Pass abgeben und nach 14 Tagen kriegt man das Visum. Dann wurde man gefragt: Warum willst du überhaupt in die USA? Wahrheitsgemäß antwortete ich: Ich will eigentlich Urlaub machen, aber ich möchte unbedingt in Westchester meine Kollegen bei Commodore besuchen.“

Mit diesem Satz und seiner Visitenkarte erlebte Gerald etwas Unerwartetes: „Ein Strahlen auf dem Gesicht von diesem Menschen, der da die Visa gemacht hat. No problem. Zwei Wochen später kriege ich meinen Pass und hatte ein lebenslanges, unbegrenztes USA-Visum. Das ist so ein Stempel, der braucht fast die komplette Seite des Passes.“
Ein Commodore-Fan im US-Konsulat Frankfurt – so klein war die Welt der Computer-Enthusiasten damals wirklich.
Der Besuch in Westchester wurde zum eindrücklichen Erlebnis für Gerald „Die waren erst total überrascht, haben sich dann riesig gefreut. Sie haben mich durch alles durchgeschleppt, was man dort sehen konnte in Sachen Commodore. Sie haben mir die Produktion gezeigt, haben mich mittags zum Mittagessen eingeladen. Es war wie eine Familie – die waren total begeistert, dass einer aus Deutschland kommt und sich im Urlaub freiwillig die Firma anschauen will.“
Besonders beeindruckt war Gerald von Gail Wellington: „Absolut beeindruckende Leute. Das war wirklich eine super Familie.“
Über Gail Wellington habe ich übrigens in diesem Artikel einen längeren Absatz geschrieben. Der Artikel selbst ist für alle Amiga-Fans aber so und so lesenswert. Denn da berichtet Dr. Peter Kittel über den Aufstieg und auch den Fall vom Commodore.
Leipzig-Zauber: Wenn der Amiga Herzen erobert
Eine der schönsten Geschichten erzählt Gerald von der Leipziger Messe: „Commodore war auch auf den Leipziger Messen jedes Jahr aktiv. Ich hatte das Vergnügen, zwei Jahre in Folge dort zu sein. Das ist ziemlich hart gewesen – erst eine Woche Leipziger Messe, dann eine Woche CeBIT direkt im Anschluss. Danach war man echt fertig.“
Aber dennoch möchte er keinen dieser Events vermissen. Und aus ganz besonderem Grund ganz besonders nicht Leipzig. In Leipzig führte Gerald etwas vor, was revolutionär war: „Ich hatte einen guten Freund dabei und wir hatten einen der ersten NewTek Video Toaster mitgebracht, die es gab und führten den vor.
Eine kurze Erläuterung und persönliche Erinnerung, für alle denen der Name nichts sagt: Der NewTek Video Toaster war wirklich eine Revolution: Eine Kombination aus Hardware-Karte für den Amiga 2000 und Software, die für vergleichsweise wenig Geld das leistete, was sonst als Broadcast-Technik mehr als 100.000 Mark kostete. Vier-Kanal-Video-Switcher, über 300 digitale Videoeffekte und Übergänge, Titelgenerator, Luminance-Keyer für Greenscreen-Effekte – alles in Echtzeit und von einer Person bedienbar.
Auf den Video Toaster waren wir alle total wild. Jeder wollte den testen. Auch Hannes und ich natürlich für unsere „Amiga-Window“ in der Data Welt. NewTek konnte sich vor Journalisten-Anfragen vermutlich nicht retten. Als wir endlich eine Karte bekommen hatten, habe ich nicht nur drei Tage, sondern auch drei Nächte mit Testen und Ausprobieren verbracht. Ich hatte mir extra Urlaub genommen dafür. Auch wenn die Effekte aus heutiger Sicht veraltet wirken und keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken – damals war das pure Magie.
Wir hatten einen Videorekorder dabei, eine Videokamera und haben Live-Bilder reingeschnitten, Grafiken drüber fliegen lassen, Texte eingeblendet – Dinge, die die Leute einfach gar nicht kannten. Außer vom professionellen TV. Und das mit einem Computer den jeder kaufen konnte. Das war für alle wie von einem anderen Stern.“
Der Erfolg war überwältigend: „Der Messestand war total umlagert. Da standen nur Leute über Leute um was zu sehen. Man konnte buchstäblich gar nicht gehen. Die haben die Leute dann in kleinen Gruppen auf den Stand gelassen, sonst hätten sie alles umgerannt.“
Die Krönung der Show war die Abteilung „Herzensbrecher“. Dazu aus heutiger Sicht die Bitte daran zu denken: Gerald und seine Kollege waren jung. Wir reden von den 90igern. Das waren auch was Kontaktanbahnung betraf andere Zeiten – denn Tinder gab es noch nicht…
Hier also die Story von Gerald: „Bei den Vorführungen haben wir immer die Kamera ins Publikum geschwenkt, um die Effekte zu demonstrieren. Damit man sieht, das ist wirklich live – inklusive der Effekte. Wir haben also die Kamera ins Publikum geschwenkt und sind mit der Optik sozusagen an zwei netten, jungen, hübschen Mädels „vorbeigekommen“. Und dann sagt mein Kollege: Mit denen würde ich gerne Essen gehen. Wie machen wird das… Ich habe dann den Titel-Generator genommen und habe live eine Texteinblendung gemacht: ‚Die beiden Damen sind herzlich zum Abendessen eingeladen.‘ Es hat funktioniert.“
Wie gesagt: Andere Zeiten, anderen Methoden, andere Sitten…

Das Ende einer Ära: Wenn Unix-Systeme eingestampft werden
Gerald erlebte auch, wie Commodore fertige Innovationen vernichtete, von denen sich vor allem die Europäer viel versprachen: „Wir hatten den Amiga 3000 mit Unix – wir waren die allerersten, noch vor Sun und allen anderen. Es war fertig, es war auf der CeBIT – alle haben es angucken können. Es war perfekt. Es wurde gecancelt, einfach eingestampft. Damit hätte man echt Geld verdienen können.“
„Was würdest du sagen, war der größte Fehler, den Commodore mit dem Amiga gemacht hat?“, fragte ich.
„Ich glaube, es war eine Kombination aus vielen Faktoren. Ein Faktor war ganz klar die PC-Schiene, die wir alle unterschätzten damals, die immer billiger wurde und auch immer mehr konnte. Wir bei den frühen PCs am Anfang Witze gemacht: Wozu brauchen wir eine Soundkarte? Haben wir doch schon drin. Und klingt besser.“
Aber das war irgendwann nicht mehr lustig, weil es eben nicht mehr stimmte. Diese Geräte konnten mit den Zusatzboards viel mehr. Wurden immer besser und waren flexibler. Die Chipsätze weiter zu entwickeln war ein Problem. „Die guten alten Ideen waren irgendwann fertig in der Entwicklung. Wir haben nicht genug Gas gegeben.“ Traurig ist er darüber immer noch. Auch wenn er sich gerne an seine Zeit erinnert. Und dann zeigt er uns noch ein besonderes Souvenier aus seiner Amiga-Zeit.
Eine besondere Denise als Abschiedsgeschenk
Als Erinnerung an diese wilde Zeit brachte Gerald ein besonderes Souvenir mit: „Das ist eine Denise, eine ganz besondere. Eine ECS-Preliminary Denise. Da stehtauch „Prototype“ drauf. Das ist eins von zehn Production-Samples ganz frisch aus den USA. Damals habe ich sie zum Testen und Zeigen für die Entwickler bekommen. Die durfte ich behalten und die ist relativ unersetzlich.“

„Du hast sie geklaut?“, neckte ich.
„Geschenkt bekommen“, stellte Gerald klar. Glaube ich ihm. Es waren halt wilde Zeiten, damals.
Könnt ihr Euch aus Eurer Sicht an die Geschichten die Gerald erzählt erinnern? Schreibt es gerne in die Kommentare. Von Bridgeboard bis Video-Toaster. Wir freuen uns über mehr Geschichten.
Wer den Talk selber sehen will: Hier ist der Link zu unserer Youtube Fassung:
Amiga + Video Toaster: Wer muss da nicht an Babylon 5 und SeaQuest DSV denken? :-)