Es gibt Menschen, die einen durch ihre Hilfsbereitschaft für immer im Gedächtnis bleiben und einen auch prägen. Dr. Peter Kittel ist so jemand. Als ehemaliger Commodore-Mitarbeiter erlebte er die goldene Ära des Amiga hautnah mit – und seine Erinnerungen an jene Zeit sind nicht nur technisch faszinierend, sondern auch sehr menschlich. In dieser Folge der „Amiga-Talks“ sprach ich mit ihm über Geheimmeetings, revolutionäre Grafikchips und das unerwartete Ende einer Ära. Und warum ihn völlig überraschte, was am Schluss passiert ist.
Hilfsbereitschaft gegenüber allen, die etwas für „seine Computer“ machten – das war zentral bei Dr. Peter Kittel. Und die Rechner die Commodore auf den Markt brachte, waren immer „seine Computer“. Aber der, der ihn am nachhaltigsten beeindruckte, das war der Amiga. Dennoch beginnt unsere gemeinsame Geschichte mit dem C64.
Der Mann mit dem Zugang zum Kopierer
Für mich persönlich wird Peter immer „der Mann mit dem Zugang zum Kopierer“ bleiben. In den frühen 80er Jahren, als wir unsere C64-Bücher schrieben, brauchten wir dringend ein Handbuch zum C64. „Das gab es aber nicht“, erkläre ich dem Publikum auf der Amiga, wo er und ich uns zum Gespräch auf der Bühne trafen. „Es gab einfach noch keine größere Dokumentation, die wir kriegen konnten. Und dann kommt Peter eines Tages mit so einem spiralgebundenen, handkopierten Schwarzweiß-Exemplar vom Original-C64-Handbuch und hat uns damit den Hintern gerettet.“ Ansonsten hätten wir unser Buch nie im Leben rechtzeitig fertig bekommen. Wenn überhaupt. Damit war er auch ein zentraler Bestandteil der Erfolgsgeschichte des Autoren-Duos Rügheimer/Spanik.
Hannes ergänzt diese Geschichte: „Das kopierte Exemplar wurde in dieser Zeit so intensiv genutzt, dass es irgendwann völlig zerfleddert war und bei irgendeinem Umzug endgültig entsorgt wurde.“ Heute ist das natürlich schade, dass das Original nicht mehr da ist. Aber so ist es nun mal. Fest steht: Diese Hilfsbereitschaft zeichnet Peter seit unserer ersten Begegnung aus: „Solche Gefallen hat er von dem Moment an, seit ich ihn kenne, allen Leute permanent getan.“

Die digitalen Anfänge
Als ich Peter nach seinem allerersten Computer frage, reist er gedanklich an die Universität zurück. „Das war eine Elektroologica X1 aus Holland“, erzählt er. „Das war einer der allerersten volltransistorisierten Computer, der kommerziell verfügbar war – mit Lochstreifen und einem RAM-Speicher von sieben Kilobit Worten. Ein Wort hatte 23 Bit, also ganz normal“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.

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Das geheime Meeting
„Was waren denn die allerersten Infos über den Amiga, die du überhaupt bekommen hast?“, frage ich. Peters Augen leuchten, wenn er sich an diese Zeit erinnert: „Wir wurden informiert, das muss Ende ’84 gewesen sein. Da wurde die gesamte Supportmannschaft zu einem Meeting beordert. Vorher wurde schon gesagt: alles hochgeheim, ganz secret, nichts weitererzählen.“
Bei diesem mysteriösen Treffen wurden den Mitarbeitern die ersten Bilder vom Amiga gezeigt – Zeichnungen eines rechteckigen Gehäuses mit Kartenschacht. „Das waren Bilder vom Lorraine, also einer Art Prototyp vom Amiga“, erklärt Peter Kittel. Als ich das Video zu diesem Talk in Produktion hatte, dachte ich mir im Sinne unserer Zuschauer: „Die Designs sind teilweise wirklich futuristisch – was wäre, wenn das einer mal als Modell „nachbauen“ würde. Und siehe da, mit Hilfe von KI haben wir einige kleinen 3D-Modell-Bilder für unser YouTube-Video zum Talk erstellen lassen.“

Doch die Skizzen waren noch nicht alles: „Vor allem hat man uns da zwei Videos gezeigt“, berichtet Peter. „Das eine Video waren Demos, die man später auch auf der Diskette hatte – mit Flächenfüllungen und solchen Sachen. Und ich glaube auch schon mit dem Bouncing Ball. Alles sehr eindrucksvoll für die damalige Zeit, denn ich hatte mich mit einem Kumpel zusammen schon mal mit Flächenfüllung beschäftigt und wusste, was es da alles für Komplikationen geben kann. Und das Ding machte das in Hardware und fürchterlich schnell.“, bewundert Peter den Amiga für seine Leistungsfähigkeit damals bis heute.
Das zweite Video war aber mindestens genauso wichtig. Wenn auch leider nicht so nachhalte. Eine Art Branchenbekenntnis zum Amiga: „Da traten jede Menge Firmen mit Vertretern auf und sagten alle mit warmen Worten, wie toll sie die Maschine finden und was für tolle Produkte sie für den Amiga produzieren wollen – inklusive Microsoft, inklusive IBM und alles, was damals Rang und Namen hatte.“
Ein Detail zeigt, wie geheim diese Präsentation war: „Dummerweise waren das Videos im U-matic-Format, für das es kaum Abspielgeräte gab. Die verschwanden nach diesem Meeting wieder in einem kleinen Koffer, der fast mit Securitypersonal zum nächsten Vorführort transportiert wurde. Wir haben das leider nie wieder gesehen.“

„Hattet ihr da schon das Gefühl, diese Kiste wird was Besonderes?“, frage ich nach. Peters Antwort kommt ohne Zögern: „Ich hatte ein bisschen Hintergrund, und als ich sah, was die Grafik da leistet, bin ich innerlich auf die Knie gefallen und habe gesagt: ‚Wow, das ist es!‘ Ab da konnte es erstmal nur bergauf gehen.“
Wir alle wissen, dass das aus diversen Gründen nicht direkt so lief. Denn der Amiga 1000 wurde erstmal nicht so der Erfolg, der später dann erst mit dem Amiga 500 und anderen Geräten kommen sollte. Ein bisschen dazu erzähle ich Euch in diesem Artikel:
Von der Vision zur Realität
Die Begeisterung war groß, doch bis zur ersten Berührung mit echter Hardware dauerte es noch. „Im Sommer ’85 wurde der Amiga in den USA offiziell präsentiert, da hatten wir aber noch keine Maschinen in Deutschland“, erinnert sich Peter. Erst bei einer Commodore-Fachausstellung in Frankfurt gab es die ersten Exemplare: „Die wurden aber nicht öffentlich präsentiert, sondern nur hinter dem Vorhang für Händler und privilegierte Leute wie gewisse Journalisten“, sagt er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung. Stimmt – ich wurde damals eingeladen und verfiel damit sofort und direkt dem Amiga-Fieber. Auch darüber berichte ich in Amiga im Feindesland – warum der Amiga Freunde brauchte.
Die Frau, die den Amiga prägte – Gail Wellington
Eine Schlüsselfigur in dieser Zeit war Gail Wellington. „Mit Gail hattest du ja auch viel zu tun. Was für eine Persönlichkeit war das für dich?“, frage ich. Peter hat einen tollen Vergleich: „Wenn jemand vielleicht Peter Ustinov als Schauspieler kennt? Das in weiblich, energiegeladen und sympathisch. Immer auf 100 Prozent, wenn nicht 150. Die hat uns damals in der Einführungsphase vom Amiga begleitet, später auch bei der öffentlichen Präsentation in der Alten Oper. Und die hat uns wirklich sehr viel geholfen.“
Ich habe persönlich Gail in Frankfurt bei dieser Demonstration im Hinterzimmer kennen gelernt und war völlig beeindruckt. Von der Frau, der Art wie sie den Amiga präsentierte und natürlich von dem Computer, der alles war, was ich mir gewünschte habe, was ein Computer sein sollte. Und nein – ich rede nicht von Spielen. Ich werde von Video und Grafik. Aber zurück zum Talk mit Peter Kittel.
Leider musste ich dann vor einiger Zeit erfahren, dass sie verstorben ist. Ich hätte gerne noch ein Interview mit ihr gemacht.
In der damals sehr männerdominierten Computerwelt frage ich ihn, ob es je ein Problem war, dass da eine Frau auftauchte und zeigte, wo es langgeht. „Nein, da waren wir schmerzfrei“, entgegnet Peter. „Wir hatten selbst auch Kolleginnen, auch in unserer Supportabteilung. Die waren typischerweise in der leistungsfähigeren Hälfte, muss man wirklich sagen. Also großer Respekt.“
Die legendäre Präsentation in der Alten Oper
„Weißt du noch, was du als erstes getan hast, als du den Amiga da stehen hattest?“, will ich wissen. „Als wir die Geräte in die Hand bekamen, haben wir die Präsentation für die Alte Oper vorbereitet. Das hat sich von alleine auf die Kollegen verteilt“, erzählt Peter. „Ich bin bei der Sprachausgabe gelandet und habe in der Alten Oper einen kleinen Part gemacht – mit Elstner zusammen, so einen Dialog.“

Für jüngere Leser: Frank Elstner war damals einer der bekanntesten deutschen Showmaster, Erfinder und langjähriger Moderator von „Wetten, dass..?“ – seine Teilnahme machte die Amiga-Präsentation zu einem besonderen Medienereignis.
Ich kann nur sagen – weil ich im Gegensatz zu Hannes, der zu dem Zeitpunkt gerade bei der Bundeswehr seinen LKW-Führerschein machte – persönlich bei dieser Präsentation dabei war: Das war ein Abend, den keiner vergessen hat. Er wurde und ist bis heute legendär. Die Stimmung in der Luft war wirklich wie elektrisiert. Und bei bestimmten Momenten der Vorführung hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Als es vorbei war und wir uns alle fühlten als würden wir aus einer Art-Zukunft wieder zurückkehren in die Gegenwart von C64 und Apple, da dachten wir alle damals: Diese Maschine ist nicht nur das Maximum was ein Computer leisten kann – das wird auch ein Erfolg. Was dann ja mit einem gewissen Verzögerungseffekt auch so war.
„Wie war das eigentlich, plötzlich mit einem Showmaster in der Alten Oper vor einem riesigen Publikum zu stehen?“, will ich wissen. Peter bleibt gelassen: „Das Publikum war so geartet, dass man viele Leute die da saßen schon kannte. Und vor allem: Es herrschte eine erwartungsfreudige, positive Stimmung. Da konnte nicht viel schiefgehen.“
Natürlich gibt es auch bei Technik-Präsentationen Last-Minute-Dramen: „Ich hatte für die Alte Oper etwas mit Sprachausgabe vorbereitet. Beim Test direkt vor der Show ging gar nichts – es kam einfach kein Ton raus“, erinnert sich Peter. „Ich hatte aber meine Disketten mitgenommen, konnte so nochmal vom Original eine Kopie ziehen, und dann ging es wieder. Kein Mensch weiß warum. Aber egal: Am Schluß ist die Show perfekt gelaufen.“
Peter testet – wie eine Behauptung noch am Abend in der alten Oper getestet wurde
Ein besonderer Moment für Peter ereignete sich parallel zur Bühnenshow. Im Obergeschoss der Alten Oper gab es eine kleine Ausstellung. „Da war eine Firma, die hatte vorher Hardware für den Apple II entwickelt“, erzählt er. Diese Firma hatte ursprünglich Beschleunigerkarten für den Apple II gebaut und berkauft – Steckkarten mit einem modernen 68000-Prozessor und viel Arbeitsspeicher, da der Apple II noch den älteren 6502-Prozessor verwendete. Für Commodore und den Amiga war der Speicher entscheidend. Denn der Hersteller sage, das wäre eine bereits funktionierende Speichererweiterung für den Amiga. „Damals kostete ein Megabyte noch rund 1000 Mark“, ergänzt Peter. „Für den Amiga hatten sie den 68000-Prozessor einfach weggelassen, weil der war ja schon im Amiga drin, aber sie nutzten die Karte als Speichererweiterung.“ Die Frage war: Stimmte, was die behaupteten? Wer Peter Kittel kennt, der weiß: Ohne das zu testen, hätte er das nie geglaubt. Kann ja jeder sagen…

Der entscheidende Test den er machte: „Ich habe meinen BASIC-Interpreter genommen und damit getestet: Wenn ich ein Datenarray aufmache, das ein Megabyte belegt – funktioniert das wirklich? Ich habe nachträglich geguckt, ob in jedem einzelnen Element noch die Werte drin sind, die da sein sollen. Und jawohl! Dann habe ich gesagt: Es funktioniert.“
Genauso ist Peter Kittel: Gründlich und lieber zweimal gucken, bevor er was falsches sagt. Darum war er auch für viele Entwickler oder Buchautoren so eine großartige Info-Quelle.
Die späteren Entwicklungen: CDTV und CD32
„Wie standest du denn zu Entwicklungen wie CDTV und CD32?“, frage ich. Peter wird differenziert – und etwas ironisch: „Im Prinzip ganz toll, aber es gab leider jede Menge Abers.“ Man merkt ihm an, dass er diese Produkte als verpasste Chancen sieht, als falsche Richtung in der Weiterentwicklung des Amiga-Konzepts.
Seine Kritik am CDTV ist konkret: „Es war nervig, dass wir die CDs immer in eine Caddy einlegen mussten, bevor wir sie reinschieben konnten. Das war lästig. Die Fernbedienung funktionierte nicht vernünftig – da fielen jede Menge Tastendrücke unter den Tisch, was bei Reaktionsspielen wie Lemmings tödlich war, weil man da wirklich jeden Tastendruck durchkommen lassen musste. Und wenn jeder zehnte verschluckt wird, dann stirbt man.“

An dieser Stelle erkläre ich im Video zu diesem Amiga-Talk für jüngere Zuschauer: „Wer Lemmings nie gespielt hat, stelle sich eine Mischung aus Ameisenfarm und Katastrophenschutz vor. Eine Schar kleiner, stur vorwärts marschierender Lemminge fällt aus einer Luke in ein labyrinthartiges Level. Das Ziel: möglichst viele davon lebend zum Ausgang bringen. Leider rennen sie in jede Falle, wenn man nicht hilft. Denn schlau waren die Lemminge nicht. Und darum musste die Steuerung eben zuverlässig sein.“
„Mit der Peripherie fürs TV war es auch alles ein bisschen umständlich“, ergänzt Peter. Für den CD32 fällt sein Urteil noch härter aus: „Das kam halt einfach zu spät. Da konnte man nichts mehr machen.“
Das unerwartete Ende
Meine wichtigste Frage kommt zum Schluss: „Wann war für dich klar, dass es bei Commodore nicht mehr gut läuft? Woran hast du das gemerkt?“

Seine Antwort überrascht: „Gar nicht, weil ich war so der ständige Optimist und habe gesagt: ‚Ach, so tolle Technik, die kann ja nicht untergehen. Da wird sich schon jemand finden, der das übernimmt.‘ Damals war ja Samsung ein großer Kandidat, da gab es wohl ernsthafte Gespräche. Aber daraus ist dann nichts geworden und das hat mich total erstaunt, als das dann tatsächlich wirklich zu Ende ging. Also das habe ich nicht ganz kapiert.“
Ein Optimist bis heute
Peters Optimismus und seine Hilfsbereitschaft bis zum letzten Tag bei Commodore waren legendär – und diese Eigenschaften zeichnen ihn bis heute aus. „Du hast optimistisch in die Zukunft geguckt. Das tust du bis heute. Du bist ruhig geblieben. Du hast allen geholfen bis zum letzten Moment“, sage ich zum Abschluss.
Das Publikum honoriert Peters Offenheit und seine Erinnerungen mit herzlichem Applaus. Es sind diese persönlichen Geschichten, die die Computergeschichte lebendig halten. Hätte ich damals nur gewusst, was für spannende Storys dahinterstecken – ich hätte vieles noch mehr geschätzt und vieles noch aufgehoben. Wusste ich aber damals nicht, weil das natürlich niemand so offen erzählte. aber so ist das nun mal: Heute können wir darüber reden, damals durfte da keiner so drüber reden.
Dieses Interview mit Dr. Peter Kittel stammt aus unserer Serie „Amiga-Talks“ und gibt Einblicke in die faszinierende Geschichte von Commodore und dem Amiga-Computer. Das vollständige Video-Interview ist auf unserem Kanal verfügbar.
Hier der Link zum Video zu diesem Talk für alle die das ganze in Peters Worten direkt hören und sehen wollen: