Last Updated on 08.07.2025 by Redaktion Digisaurier
Zeitreise: Würzburg 1983: Christian und Hannes schlendern durch die Würzburger Innenstadt und gucken, ob in irgendeiner Computerabteilung eines Kaufhauses ein Platz frei ist, um ein bisschen an einem Homecomputer rumzuspielen. Plötzlich hat Christian einen Gedankenflash aus der Zukunft:
„Alter, eines Tages wird jemand Commodore kaufen, der sein Geld damit verdient, seine Videos auf einer Plattform namens YouTube hochzuladen.“
Hannes dreht sich von der Schaufensterscheibe mit den neuen Rechnern weg und blickt verwirrt: „YouTube? Klingt wie eine Klempnerfirma aus den Gelben Seiten. Und was zur Hölle ist ein Video-Upload? Meinst Du sowas wie Videotext?“ Tja – so könnte es gewesen sein, wenn wir damals eine Eingebung aus der Zukunft gehabt hätten. Oder, um es mit Doc Brown aus Back to the Future zu sagen: „Es geht um die Zukunft, Leute“. Warum und wieso – das haben wir hier mal zusammengeschrieben.
Nochmal kurz zurück nach Würzburg: Christian hat immer noch den Zukunftsflash..
„Nee, stell dir vor: Jeder kann Videos zu jedem Thema, das er will, aufnehmen, und die ganze Welt kann sie sich angucken. Und dann verdient derjenige Geld damit, dass Leute seine Videos schauen.“
„Christian, du spinnst. Wer soll denn pixelige Videos auf so einem Computer gucken wollen? Und wie soll das funktionieren ohne Fernsehsender?“

Tja, 2025 ist vieles möglich geworden – sogar das.
Denn tatsächlich hat der britische YouTuber Christian Simpson alias Peri Fractic (bekannt durch seinen Kanal „Retro Recipes“) einen Vertrag über den Kauf der Commodore Corporation B.V. unterzeichnet. Das ist die niederländische Firma, die seit 2021 die Markenrechte an dem legendären Namen besitzt.
Und – ich gebe es zu – mein erster Gedanke war: „Das ist ja super… Der könnte alles Mögliche mit dem C64 machen. Oder mit dem Amiga – vielleicht gibt es doch noch ein zweites beziehungweise weiteres Leben…“ Gerade als ich Hannes anrufen wollte, um ihm davon zu erzählen, kam mir aber ein weiterer Gedanke: „Moment mal – er hat die Markenrechte gekauft… Das heißt nicht…“ Also habe ich erstmal weiter recherchiert.
Deshalb, bevor wir alle in Nostalgie-Euphorie verfallen: Was bedeutet das eigentlich für uns als Fans?
Was wurde wirklich gekauft? (Spoiler: Weniger als ihr denkt)
Hier kommt der obligatorische Digisaurier-Realitätscheck: Simpson hat die Commodore Corporation B.V. gekauft, eine niederländische Firma, die 47 Markenrechte aus dem Jahr 1982 besitzt. Das berühmte „Chicken Lips“-Logo, der Name Commodore – das gehört jetzt ihm und seinen Investoren.
Falls ihr euch fragt, warum das Logo „Chicken Lips“ heißt: Es sieht von der Seite betrachtet aus wie ein Huhn mit Lippen – eben das berühmte C= Symbol. Wobei Hühner bekanntlich gar keine Lippen haben, aber das hat die Commodore-Leute damals nicht gestört. Ist irgendwie typisch für die Firma: Macht was Unmögliches, und alle finden’s trotzdem cool.
Was NICHT gekauft wurde:
- Die C64-ROMs (immer noch bei Cloanto)
- Das Amiga-Betriebssystem (ebenfalls woanders)
- Die Patente oder Hardware-Designs
- Die Seele des C64, die Magie des Amiga oder die Erinnerungen an unsere erste Session und den vor Staunen offenen Mund bei der ersten Session mit Deluxe Paint

Anders gesagt: Simpson hat die Berechtigung erworben, „Commodore“ auf Produkte zu schreiben, aber nicht die Berechtigung, bestehende Commodore-Software zu verwenden. Das ist ein bisschen wie wenn ihr die damals in Würzburg berühmteste Pizzeria gekauft hättet. Aber nicht das Rezept für die legendäre Tomatensoße, wegen der wir immer da hin sind. Okay – wir sind auch hin, weil sie Preise hatten, die wir uns als Schüler leisten konnten.
Das Dream-Team: Wenn die alten Hasen zurückkommen
Aber hier wird es interessant – und das muss man Simpson lassen: Er hat sich ein beeindruckendes Team von Original-Commodore-Veteranen zusammengestellt: Bil Herd (Commodore-Chefingenieur 1982-1986), Albert Charpentier (Commodore VP Technology 1979-1984), Michael Tomczyk (Assistent von Präsident Jack Tramiel 1980-1984) und David Pleasance (Commodore UK VP 1983-1994).
Wer waren diese Leute? Bil Herd war maßgeblich am C128 beteiligt, Albert Charpentier entwickelte den legendären VIC-II-Chip, der dem C64 seine Grafikpower verlieh. Das sind nicht irgendwelche Retro-Enthusiasten – das sind die Menschen, die unsere Kindheit designed und programmiert haben.
Noch verrückter: Auch Thomas Middleditch, bekannt aus der TV-Serie „Silicon Valley“, ist als Investor mit an Bord. Stellt euch vor: Der Typ, der im Fernsehen einen Programmierer gespielt hat, investiert jetzt in echte Retro-Computer. Das Leben schreibt wirklich die besten Geschichten.
Die Finanzierung: Noch nicht in trockenen Tüchern
Der Kaufpreis liegt im „niedrigen siebenstelligen Bereich“ – also vermutlich irgendwo zwischen 1 und 5 Millionen Dollar. Das klingt nach viel Geld, aber im Vergleich zu dem, was manche Leute zu den wilden NFT-Zeiten für ein digitales Affenbild ausgegeben haben, ist es geradezu bescheiden.
Das Problem: Das Geld ist noch nicht vollständig da. Simpson und sein Team haben bereits viel investiert – manche haben sogar ihre Häuser beliehen. Sie suchen noch nach Angel-Investoren, um den Deal final zu bezahlen.
Vereinfacht ausgedrückt: Das sind reiche Leute, die in Start-ups investieren. Sie heißen deshalb „Angel“, weil sie wie Schutzengel für Gründer sind, die sonst wohl eher pleite gehen würden. Ihr seht schon, die ganze Aktion hat auch noch ihre Fragezeichen.
„Wenn wir ehrlich sind – die ganze Aktion klingt toll und kann auch toll werden. Aber momentan überwiegen die Fragezeichen.
Christian nach den ersten Recherchen
Okay – wir kennen nun die Fakten. Aber jetzt mal ehrlich: Das klingt schon reichlich abgedreht, oder? Da ist also ein YouTuber bereit, sein Haus zu beleihen, um Commodore zu kaufen? Nachdem ich mich soweit damit beschäftigt hatte, dachte ich bei mir: „Das ist entweder wahnsinnig leidenschaftlich oder wahnsinnig verrückt. Wahrscheinlich beides.“ Oder er ist so ein Typ wie wir, als wir damals unsere Bücher machten, wie wir meinten, dass es genau so richtig ist. Und eben nicht das machten, was die Leute aus dem Lektorat sagten. Oder TV-Sendungen, so wie wir sie gut fanden – auch wenn es mancher Sender-Verantwortliche nicht verstand. Und obwohl uns alle prognostizierten, dass wir mit unserem Stil keinen Erfolg haben würden. Kam dann anders. Aber das ist eine andere Geschichte. Könnt ihr bei Interesse hier nachlesen und auch gucken:
Die Vision: Retro-Futurismus ohne Smartphone-Stress
Zurück zu Simpson und seinen Plänen. Denn: er hat welche. Er schwört mittlerweile auf ein „Dumb Phone“ (Klapphandy) und sagt, es habe sein Leben vereinfacht. Seine Vision für das neue Commodore: „Retro-Futurismus“ – Technologie, die tatsächlich dem Nutzer dient, anstatt nur großen Konzernen. Also ein Stück weit zurück zu den „guten alten Zeiten“?
Das ist schon ein bisschen ironisch, oder? Ein YouTuber, der sein Geld mit Online-Videos verdient, predigt uns allen digitalen Minimalismus. Aber vielleicht ist es gerade das, was wir brauchen: jemanden, der beide Welten kennt und sagt: „Leute, so wie es jetzt läuft, ist es nicht gut. Und dieses Konzept könnte eine Antwort sein.“
Der Haken: Was kann dabei für C64- und Amiga-Fans wirklich rauskommen?
Seien wir ehrlich: Ohne die ROMs und die Original-Software kann Simpson keine echten Commodore-Emulationen oder Retro-Konsolen mit vorinstallierten Spielen anbieten. Was bleibt dann?
Wahrscheinlich:
- Neue Hardware mit modernen Chips im Retro-Design
- Offizielle Merchandising-Artikel (T-Shirts, Poster, Sammlergedöns)
- Ein besseres Lizenzsystem für Community-Projekte
- Möglicherweise neue Spiele im Commodore-Stil
Das alles kann durchaus cool werden. Aber es wird eben kein „echter“ C64 oder Amiga sein – es dürfte ein moderner Computer werden, der gegebenenfalls aussieht wie ein C64.
Community-Reaktionen: Zwischen Euphorie und Skepsis
Die Retro-Community ist gespalten. Viele feiern die Idee, dass endlich wieder „echte“ Commodore-Fans das Sagen haben. Andere sind skeptisch und fragen sich, ob das alles nicht nur ein teures Marketing-Projekt ist.
Besonders die Entwickler, die seit Jahren kostenlos Commodore-Software und -Hardware am Leben erhalten, sind besorgt. Sie fragen sich: Werden wir jetzt zu Konkurrenten oder zu Partnern?

Und was heißt das für die Leute, die jetzt mit den Commodore-Logos arbeiten? Auch mit Fangruppen oder Events? Die Community ist beunruhigt: Seit Jahren nutzen kleine Gruppen das „Chicken Head“-Logo für ihre Projekte und Events – kostenlos, weil die Markenrechte praktisch brach lagen. Jetzt könnte es sein, dass diese Gruppen plötzlich Lizenzgebühren zahlen müssen. Wie ein besorgter Fan schreibt: „Manche nutzen die Marke schon seit 20+ Jahren für ihre Projekte.“
Simpson hat vorgeschlagen, 6,4% des Verkaufspreises als Lizenzgebühr zu nehmen – das klingt moderat, aber für kleine Community-Projekte könnte das trotzdem das Aus bedeuten. Retro-Events, Fanzines, Homebrew-Hardware-Projekte – sie alle könnten sich plötzlich in einer rechtlichen Grauzone wiederfinden.
Die große Frage: Wird Simpson ein Community-freundlicher „Hüter“ der Marke oder wird er zum Gatekeeper, der entscheidet, wer „würdig“ genug ist, das Logo zu verwenden? Ein Entwickler bringt es auf den Punkt: „Werden wir vielleicht aufgefordert, die Commodore-Namen aus unseren Produkttiteln, Dokumentationen oder Marketing zu entfernen?“
Die Realität: Ist das der Commodore, den wir wollen?
Hier kommt meine persönliche Einschätzung: Simpson scheint es ernst zu meinen. Er hat sich nicht nur als CEO eingesetzt, sondern auch die Original-Entwickler mit ins Boot geholt. Das ist schon mal ein gutes Zeichen.
Aber – und das ist ein großes Aber – ohne die Software-Rechte wird es niemals das „echte“ Commodore-Erlebnis geben können. Es wird immer ein „in Gedenken an“ bleiben, nie ein „so wie früher“.
Was das alles für die Community und die Commodore-Event-Welt bedeutet, ist aktuell unklar – da können wir nur abwarten, wie sich die Käufer rund um Simpson verhalten.
Christian am Ende der Recherche zu diesem Artikel
Und dann ist da noch die Sache mit der Community: Selbst wenn Simpson nur das Beste will – was passiert, wenn einer seiner Investoren plötzlich einen härteren Kurs fährt? Irgendwann wollen Investoren normalerweise auch einen Gewinn aus ihrem Investment sehen. Und wenn die neuen Produkte es nicht so bringen sollten, dann bleibt nur die Marke als Geschäftsmodell. Markenrechte sind mächtige Waffen, und was heute als „community-freundlich“ verkauft wird, kann morgen zum Knüppel gegen eben diese Communities werden. Ich habe zu oft erlebt, wie gut gemeinte Projekte von Geldgebern gekapert wurden.
Die Frage ist: Reicht das? Für manche vielleicht ja. Ein offizieller Commodore-Aufkleber auf einem modernen Mini-PC könnte für viele Fans schon Grund genug sein, Geld auszugeben. Aber ehrlich gesagt bin ich unentschlossen: Es kann fantastisch werden oder eine Katastrophe für die Community. Und das macht mich nervös.
Fazit: Abwarten und Tee trinken (oder C64-Kaffee)
Simpson hat angekündigt, dass er bald sein erstes Produkt vorstellen will. Bis dahin bleibt alles Spekulation.

Mein Rat: Lasst euch nicht von der Nostalgie blenden, aber seid auch nicht zu zynisch. Ja, es wird nie wieder wie in den 80igern sein, als der C64 die Welt eroberte. Aber vielleicht kann Simpson etwas schaffen, was zumindest ein bisschen von diesem Gefühl zurückbringt.
Und der Minimalismus-Ansatz hat auch schon was – obwohl wir uns noch nicht so recht vorstellen können, wie die skizzierten Produkte aussehen sollen und wer die kaufen will.
Aber hey, selbst wenn es schiefgeht: Wenigstens haben wir eine interessante Geschichte darüber, wie ein YouTuber versucht hat, eine Computerlegende zu retten. Das ist immer noch besser als die ganzen Jahre, in denen Commodore einfach nur eine Marke für Staubsauger, Toaster – oder Aktenvernichter war:
An dieser Stelle fällt auch Hannes noch eine Anekdote zur Nutzung der Marke Commodore ein:
„Es dürfte so in den frühen 2000ern gewesen sein – C64 und Amiga lagen längst hinter uns, unsere Arbeitsmittel waren mittlerweile Windows-PCs und in meinem Fall ein erstes, teuere Macbook –, als ich in irgendeinem Büroshop über eine kleine Sensation gestolpert bin: Ein Aktenvernichter mit dem Markenaufdruck Commodore.
Es war klar, dass das Logo nur drauf stand, weil irgendjemand die Rechte am Namen „Commodore Büromaschinen“ erworben hatte und diese Bezeichnung wörtlich genommen hat.
Als Aktenvernichter war das Teil nicht besonders toll – es konnte nur Stapel bis etwa 8 Blatt shreddern und die auch nur in Streifen und nicht in Schnipsel wie die besseren Modelle. Aber hey, es stand Commodore drauf. Also konnte ich natürlich nicht umhin, das Teil zu kaufen.
Es hat dann so zehn, 15 Jahre treue Dienste geleistet, bis irgendwann der Motor ausgefallen ist und ich meinen „Commodore Secret Line AV250″ schweren Herzens zum Wertstoffhof bringen musste. Aber bis dahin hat mir das Shreddern manchen Blattes Papier immer ein Grinsen ins Gesicht gezaubert.“
Hannes zu seiner letzten Erfahrung mit der Vermarktung des Namens Commodore.

Und falls Simpson das hier liest: Viel Erfolg! Aber bitte, bitte macht keine Commodore-Smartphones. Davon haben wir schon genug. Und auch keine Kappen oder Tassen – lasst diesen Teil des Geschäfts den echten Fans ;-)
Was denkt ihr? Werdet ihr dem neuen Commodore eine Chance geben? Oder ist das alles nur romantische Verklärung einer Zeit, die unwiederbringlich vorbei ist? Schreibt es in die Kommentare – wir sind gespannt auf eure Meinungen!
Übrigens: Zu dem Thema haben wir auch ein Video auf Youtube gemacht. Könnt Ihr hier sehen: