Wie Günther Schabowski mir mein erstes Handy verschaffte…

Mit einem Ziegelstein jenseits der Mauer –  Wie Günther Schabowski mir mein erstes Handy verschaffte

Eine Mobil-Telefon-Erinnerung von Udo Eling

Udo Eling (1 von 1)
Radpartner und meist erstaunter Betrachter meiner Technikverliebtheit: Udo Eling

Okay, die Sache mit dem Handy, das eigentlich auch gar kein Handy war, hatte nur mittelbar mit dem SED-Genossen zu tun, der ganz analog durch Ablesen eines Zettels die DDR Grenze zum Einsturz brachte.

Immerhin: durch seinen verschusselten Auftritt und die anschließende voraussetzungsfreie Öffnung des eisernen Vorhangs lernte ich ausgerechnet im fernen Köln ein Mädchen aus Ostberlin kennen.

Und kurz darauf…Ostberlin selber. Mit zwei Koffern in der Hand und westlichen Vorstellungen einer halbwegs entwickelten Kommunikationsgesellschaft im Kopf wechselte ich meinen ständigen Wohnsitz kurz nach dem Ende der real existierenden DDR – in die Prenzlauer Allee, Berlin –Ost.

Kommunikativ völlig von der Rolle      

„Prenzlauer Allee, bitte!“ fröhlich, optimistisch und leicht angeheitert besteigen wir am Ku’damm ein Taxi. Der Fahrer verstummt, zögert, greift dann mit hörbarem Schnaufen ins Handschuhfach und zerrt widerwillig einen Fahrplan heraus, der neuerdings ganz Berlin abbildet.

Prenzlauer Allee, das muss irgendwo im Osten sein. Und irgendwie in den Osten will und kann er nicht, der Taxifahrer. Weil sich da halt keiner auskennt. Und überhaupt, was wollen die Ossis jetzt dauernd auf dem Ku’damm. Und warum können die sich überhaupt plötzlich ein Taxi leisten. Schweigen kann so beredt sein.

Die kleine Szene hat zwar immer noch nichts mit dem Thema zu tun, beschreibt aber ein bisschen die Stimmung um 1990 nachdem die erste Vereinigungs -Euphorie abgeklungen war.

Udo Eling am Grenzübergang (1 von 1)
Auf der Radreise entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erinnert sich Udo – vermutlich auch an dieses Telefonabenteuer

Vor mein erstes Handy indes hatte das Schicksal den Weg in die informationstechnische Kreidezeit, nein, besser Blei(stift) Zeit gesetzt. Denn so etwas wie ein Telefon gab es im gesamten Prenzlauer Berg damals in einer gewöhnlichen Privatwohnung…naja…nicht, also garnicht.

Stattdessen hing an jeder Tür eine kleine Papierrolle, an einer Schnur befestigt und daneben ein Bleistift. „War vorhin hier, komm doch vorbei, Gruß Jan“, stand dann zum Beispiel auf dem Zettel. Frühe SMS in krakeligen Blockbuchstaben.

Eine herrliche Zeit der Unmittelbarkeit. In einer derart unterentwickelten Kommunikationsgesellschaft weist man andere Lebewesen, die an deiner Tür schellen, nicht ab, man wundert sich auch nicht über „unangemeldetes Erscheinen“. Man freut sich – oder freut sich nicht. Menschlicher Kontakt ist da einfach etwas Selbstverständliches.

Für einen jungen Autor, der vorzugsweise mit Redaktionen in Köln zu tun hatte, war die zweifellos interessante zwischenmenschliche Sonderlage allerdings nicht ganz frei von Herausforderungen.

Telefonieren im Theater

Ich schrieb damals Texte auf einer Art frühem Laptop, der eine Speicherkapazität von mehreren 100 Megabite hatte. Außerdem hatte ich einen hochmodernen Laserdrucker in den Osten importiert, der ungefähr so aussah, wie man sich heute Elektrogeräte der Ost-Firma Robotron vorstellen würde. Allein: das Ding tat seinen Dienst.

Und tatsächlich gab es einigen Straßen weiter – kurz hinter dem HO Laden mit den letzten Restbeständen einer eben untergehenden Zeit – bereits einen Schreibwarenhandel, der sogar – ich konnte mein Glück kaum fassen – ein Faxgerät besaß. Leider freilich kein Telefon.

Allerdings: es gab auch Fernsprecher in der ehemaligen Hauptstadt der damals noch nicht ganz so ehemaligen DDR. Topaktuelle Kartentelefone sogar und zwar… zwei Stück. (Die wenigen öffentlichen Münztelefone, die noch mit Groschen arbeiteten, lasse ich hier mal außen vor, mein Vorrat an DDR – Geld war äußert begrenzt).

Udo Eling im Grenzgebiet (1 von 1)
Udo im Grenzgebiet – damals mit uns bei den Dreharbeiten für den WDR. Einige Jahre früher zwischen den Kommunikationswelten

Einer dieser Kartenapparate jedenfalls befand sich im Turm des französischen Doms auf dem Gendarmenmarkt, der andere im Foyer des Maxim Gorki Theaters. Warum auch immer man die beiden Pilotfernsprecher ausgerechnet dort installiert hatte, ein Geheimtipp waren sie jedenfalls nach kurzer Zeit nicht mehr.

Man hatte also die Wahl, ob man sich in die illustre Schlange von Schlipsträgern, Wichtigheimern und Glücksrittern auf den Stufen der Wendeltreppe zur Domspitze einreihen wollte oder ob man einen mindestens halbstündigen Aufenthalt in kulturell hochwertiger Umgebung eines der renommiertesten Sprechtheater des Ostens bevorzugte.

Sprechtheater gab es dort übrigens täglich zu hören. „Nein, Frau Müller, ich bin im Osten, nein ich kann nicht zurückrufen, verdammt nochmal. Nein, ich hab hier keine Nummer, nein, ich bin…ach was…“

Tja. Niemand zwischen Hamburg und München konnte sich halbwegs vorstellen, dass hier einer mit seinem Pilotenköfferchen und dem Maßanzug irgendwo im zugigen Zwischenreich der Fernmündlichkeit gestrandet war und nur EINEN Wunsch hatte: lass meinen Gesprächspartner JETZT da sein…

Ich jedenfalls hastete nun regelmäßig von meinem Schreibwarenladen aus, in dem mein Fax hoffentlich den Weg durch brüchige Vorkriegsleitungen gen Westen gefunden hatte,  in Richtung Mitte und entschied mich oft erst im letzten Moment für Kultur oder Kirche, für Aufstieg oder Foyer. Und dann der Anruf. Der Redakteur? Zu Tisch. Das Fax? Nö, du, hab ich noch nicht gelesen, ruf doch einfach in ner halben Stunde nochmal…Verdammt, ich stehe hier…siehe oben!

7000 Mark kostet die Freiheit

So konnte es nicht weitergehen. Meine berufliche Zukunft stand…auf den Stufen des französischen Doms? Auf der Leitung? Nein, auf dem Spiel stand sie. Denn die immer fremder werdenden Westredakteure konnten und wollten sich seltsamerweise meinen neuen Kommunikationsgewohnheiten nicht anpassen. Sätze wie: „Wo kann ich dich erreichen?“ oder „Ich ruf zurück!“ waren ihnen einfach nicht auszutreiben. Und ich? Ich war einfach nicht AUFzutreiben.

Schottland_Neues-Dreh (2 von 9)
So muss ich zu der Zeit die Udo beschreibt in etwas ausgesehen haben. Neues-Dreharbeiten

Da erinnerte ich mich an einen alten Freund aus dem Westen. Technikpionier und Computervorreiter. Es war niemand anderes als: der Digisaurier (der spätere natürlich). War er es nicht gewesen, der schon früh diesen unglaublichen Ziegelstein zu jeder Besprechung mitgeschleppt hatte? Einen unförmigen schwarzen Plastikkasten mit einem gewaltigen Telefonhörer vorn dran, den er fast feierlich jedesmal in irgendeiner gut sichtbaren Ecke platzierte. Und um den wir uns andächtig versammelten, wenn er irgendwann dann doch mal fiepte. Er fiepte selten – wer wusste schon, dass einer Anfang der 90er mit einer mobilen Telefoneinheit herumlief. Doch wenn, dann strahlte alles diese beglückende Normalität einer gerade erlebten Zukunft aus, dieses wohlige Schaudern, wenn inmitten eines fast unbegreiflichen Übermorgen die gelassene Stimme des Technikpioniers in den beruhigend konventionell gestalteten Hörer hineinrief: Spanik?!

Kurz: der Mobilfunkladen in der Kantstraße (Westberlin natürlich), den ich nach längerem Zögern aufsuchte, war eine typische Elektroleitungsbude für ganz besondere Spezialisten. Ein Mobilfunktelefon? Kein Problem. Ja, sogar ins Auto konnte man das Ding einbauen. Vorn ans Armaturenbrett kam der oben erwähnte Hörer, dann wurden Kabel durchs gesamte Autoinnere verlegt, wozu die gesamte Innenverkleidung fachgerecht heruntergerissen werden musste, damit schließlich im Kofferraum die Empfangseinheit platzsparend untergebracht werden konnte. Dann musste es nur noch fiepen…und um das Ganze zu demontieren hatte man dann lediglich den Hörer aus der Halterung zu friemeln, den Ziegelstein aus dem Kofferraum zu wuchten (Vorsicht: Verkabelung!) und beides ineinanderzustecken. Dann noch die Antenne draufschrauben. Fertig. Siemens Porty! Ein angeblich D-netz-fähiges, deutlich handlicheres Gerät, etwa in der Größe einer Herrenhandtasche, gab es übrigens auch. Man riet allerdings ab. Ob und wann diese neumodische Technik kommen würde, war doch zu ungewiss.

Die Freiheit, in der Prenzlauer Allee (mit Blick auf die Metzer Straße und das berühmte Metzer Eck) individuell telefonieren zu können, kostete 7000 Mark, D-Mark, denn ich hatte auch noch die Faxanschlusseinheit dazu geordert. Ein seltsam unbeholfen zusammengelötetes Gewirr aus Kabeln, Aufsteckmodem und Telefondose. Es knackte, rödelte und vibrierte, aber: es funktionierte.

Siemens Porty brachte die Zukunft nach Ostberlin, während in den Straßen noch der schwere Dunst der Braunkohleöfen hing. Wenige Jahre vorher wäre man wegen des Besitzes einer solchen raffinierten Spionagetechnik vermutlich noch verhaftet worden.  Immer öfter sah man jetzt neben Anzug – auch Portyträger in den 3 Kneipen im Prenzlauer Berg (jawohl 3, wir sind immer noch Anfang der 90er Jahre!) Stolz stellten die Glücksritter ihre schwarzen Ziegelsteine auf die Kneipentische und warteten, dass es fiept. Es fiepte selten. Und wir grinsten still. An UNSEREM Porty hing derweil ein Anrufbeantworter.

Porty brachte Aufträge, Kommunikation und Telefonrechnungen von über 500 D-Mark in Monat. Im Gorky Theater konnten wir jetzt sicheren Schrittes das Foyer durchqueren. Wir waren frei. Aber warum rief der blöde Redakteur eigentlich nicht zurück?

Familie Eling (1 von 1)
Das Mädchen aus Ostberlin und Udo heute – und dazu der Sohnemann Jonas. Die Handylose Zeit war nicht nur schlecht ;-)

Ein halbes Jahr später zogen wir gemeinsam nach Köln. Es geht doch nichts über direkte Kommunikation. Ach ja, irgendwann wurden das C-Netz und Porty abgeschaltet. Die Vergangenheit der Zukunft hatte begonnen. Und das Mädchen aus Ostberlin? Muss morgen früh raus und hat gerade „gute Nacht“ gesagt. Und unsere IPhones sind auch schon am Ladegerät – die Akkus halten nicht sehr lange…

ENDE

 

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