Ohne eine wichtige Computerfrau der Geschichte wären Filme, Games und auch wissenschaftliche Simulationen wohl längst nicht so überzeugend: Die heute 68-jährige Computergrafik-Pionierin Nadia Magnenat-Thalmann hat die Fachwelt immer wieder mit neuen virtuellen Menschen überrascht – und baut jetzt sogar „echte künstliche“. Ihr Roboter Nadine ist so humanoid wie kaum ein anderer.
Aufmacherbild: (C) Heinz Nixdorf MuseumsForum / Jan Braun
Ziemlich genau zwanzig Jahre ist es her, dass ein besonderer Stargast im ZDF die Zuschauer verblüffte. 16 Millionen Zuschauer sahen, wie Marilyn Monroe die Goldene Kamera in Empfang nahm und sich dafür in ihrer unnachahmlichen Art bedankte. Genau 34 Jahre nach ihrem Tod!
Zwar verwies Moderator Thomas Gottschalk in genauso unnachahmlicher Art darauf, dass bei Marilyn Monroe „noch Luft nach oben“ sei (und der kurz eingeblendete Publikumsgast Günter Strack „deutlich besser gelungen“), doch die Verblüffung über die computergrafisch hergestellte Szene war groß – schließlich hatte man so etwas bis 1996 noch nicht gesehen. Nadia Magnenat-Thalmann dagegen schon länger: Die Professorin der Informatik an der Universität Genf hatte die Sequenz fürs ZDF erstellt, auf Basis jahrelanger Forschungen zur „Funktionsweise“ des Menschen.
Diese Computerfrau will Menschen lebensecht nachbilden
1989 hatte sie an der Fakultät der Sozial- und Wirtschafts-Wissenschaften der Schweizer Universität ein Labor gegründet, das interdisziplinär arbeitete, um ein Ziel zu erreichen: realitätsnahe Computeranimationen von Menschen. In diesem MIRALab arbeiten mittlerweile mehr als 30 Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Hier dreht sich alles um Avatare, die aus drei Komponenten geschaffen werden: Computergrafik, Simulation und künstliche Intelligenz – für eine möglichst lebensechte Optik, Bewegung und Verhaltensweise.
Kooperationen mit Auto- und Flugzeugherstellern, vor allem auch im medizinischen Bereich zielen auf eine Verbesserung von Produkten ab, in deren Mittelpunkt der Mensch steht – weshalb dessen Beschaffenheiten und Verhaltensweisen quasi „virtualisiert“ werden, auch um mögliche Gefahren auszuschließen. Hinter die Kulissen kann schauen, wer den Youtube-Kanal des Labors durchstöbert.
Sensation vor 30 Jahren: Monroe trifft auf Bogart
1987 gelang der Schweiz-Kanadierin ein Durchbruch: die erste Computeranimation mit historischen Persönlichkeiten. Wieder ist bzw. war es Marilyn Monroe: In einem Kurzfilm trifft die Schauspielerin auf Humphrey Bogart – allerdings in Sachen Optik und Gestik noch arg eingeschränkt. Doch liegt dieser Film fast dreißig Jahre zurück. Die besondere Leistung bestand darin, dass die 3D-Animation durch Rekonstruktion alter 2D-Fotografien generiert wurde.
Nochmal fünf Jahre zurück hatten Nadia und ihr Mann Daniel ein außerirdisches Strichmännchen am Computer entstehen lassen. Innerhalb von 8 Minuten (das Original ist sogar 13 Minuten lang) stellt es mit New York so einiges an.
Virtuell umgesetzt hat Nadia Magnenat-Thalmann auch die erste Programmiererin der Geschichte: Ada Lovelace (siehe Titelbild des Artikels) wurde in einer Ausstellung im Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn als lebensgroße Kopie in Szene gesetzt. Die Ausstellung „Am Anfang war Ada“ widmete sich Frauen in der Computergeschichte, die wir bereits in eigenen Beiträgen vorgestellt haben.
Eine Computerfrau mit sagenhaft vielen Forschungen
Die Liste der Forschungen und Veröffentlichungen, auf die Nadia Magnenat-Thalmann zurückschauen kann, ist so lang, dass sie sagenhafte 94 PDF-Seiten füllen. „Da wären zum Beispiel ihre frühen biomedizinischen Beiträge zur 3D-Darstellung, Rekonstruktion und Animation des Herzens und die Verwendung computergraphischer Methoden zur verbesserten Erkennung der Blutmangelversorgung des Herzens“, schwärmte Prof. Dr. Franz-Erich Wolter in seiner Laudatio 2009 anlässlich der Verleihung des Titels „Doktor rerum naturalium honoris causa“ der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der Universität Hannover.
Nicht ohne zu erwähnen, „dass es in der damaligen Forschergemeinde recht viele Stimmen gab, die den damals ehrgeizigen Plan zur dreidimensionalen Animation von Menschengestalten bei den seinerzeitigen Rechner- und Hardware-Kapazitäten für unrealistisch hielten“. Tatsächlich musste sich die Forscherin bei ihren Drittmittel-Förderungsanträgen gegen diesen Widerstand durchsetzen.
„Ich möchte meinen Schöpfungen Leben einhauchen.“
Dieser Wunsch, dem sie seit über 35 Jahren nachgeht, wird nicht nur am MIRALab in Genf in die Realität umgesetzt – die Wissenschaftlerin leitet auch das Institut für Medieninnovation der technischen Universität von Singapur. Im Mittelpunkt der Forschung stehen „soziale Roboter“, die dem Menschen so ähnlich wie möglich sehen und ihm im Alltag möglichst viel Arbeit abnehmen.
Soziale Roboter sind ihr nächstes „großes Ding“
Wie weit Nadia Magnenat-Thalmann mit ihrer Forschung ist, beweist der Roboter „Nadine“, optisch wie eine jüngere Version seiner Schöpferin. Der Roboter ist erstaunlich humanoid, lebensgroß und in gewisser Weise intelligent, reagiert auf Gesten und Aktionen. Nadine erkenne ihr Gegenüber und sogar dessen Gefühlslage, erklärt ihre Erbauerin: „Mit jedem Gespräch, jeder Interaktion, lernt sie dazu und kann später darauf zurückgreifen. Und sie gibt nie zweimal dieselbe Antwort.“
Hier kann man sehen, wie Nadine auf Fragen reagiert:
Ob virtuelle oder echte Avatare: Nadia Magnenat-Thalmann will mit ihren Forschungen noch einiges erreichen – bis hin zu kleineren Robotern, die vielleicht Kindern beim Lernen helfen oder Eltern vor Gefahren warnen. Statt 350.000 Franken, die Nadine gekostet hat, sollen die kleinen Gefährten nur 1000 kosten; selbst für Roboter wie Nadine sind schlappe 15.000 angepeilt.
„Avatare werden zwischen uns und der Technik vermitteln – als Interface zwischen Mensch und Computer. Wenn wir Marilyn erschaffen können, können wir alles.“