Bud Light in Las Vegas

Auf ein Dosenbier mit Bill Gates. Oder: Windows schlägt GEM

Nun war es ja nicht so, dass der Chefredakteur der durchaus erfolgreichen Computerzeitschrift Data Welt einfach so zu den wichtigen Messen reisen durfte: Gut, eine Woche CeBIT und drei Tage Systems waren auch schon 1985/86 drin, aber zu den wichtigen internationalen Events reise dann doch, bitteschön, der Herausgeber himself. Aber letztlich macht Erfolg unverzichtbar, und so durfte der nämliche Chefred tatsächlich zur Comdex 1987 nach Las Vegas düsen. Wow. Und zwar allein und auf Basis wirklich schlechter Reisevorbereitungen, für die, ähem, jemand anderes im Hause zuständig war. Sagen wir so: Bis zur Landung auf dem McCarran-Airport lief noch alles glatt. Beim Mietwagen ging’s dann schon los: We haven’t received any reservation, sir. Aus lauter Mitleid überließen mir die Mietwagenleute einen leicht ranzigen Mitsubishi Colt mit Automatik.

Mit dem hoppelte ich dann Richtung Strip, weil man für mich ein Zimmer im Flamingo Hilton gebucht hatte. Dass damals während der Comdex Überbuchungen gang und gäbe waren, hatte man mir nicht verraten. Also hieß es: Sorry, sir, your room is no longer available. So landete ich in einem Motel am unteren Ende der Durchgangsstraße, da wo es die kleinen Casinos für die Profi-Gambler gab. Man sprach an der Rezeption Vietnamesisch, und der Pool inmitten der Anlage war mit einem gut sechs Meter hohen Maschendrahtzaun umgeben. Immerhin gab’s gleich nebenan einen 24/7 Liquor Store…
Was sollte noch schiefgehen? Genau: Um meine eigentlich von Europa aus erledigte Akkreditierung tatsächlich zu erhalten, drückte ich mich sage-und-schreibe sechs Stunden im Pressezelt an den Messehallen herum. Dann war ich angekommen, und zwar offiziell. Ich besuchte als erstes alle Ständen, an denen sich mir bekannte deutsche Mitarbeiter der Aussteller aufhielten und landete dann am Presseschalter der Softwarefirma Microsoft. Aber da bekam ich als unbekannter German nicht mal ne Pressemappe. Das sah bei Lotus ganz anders aus. In Nullkommanix war da ein junger PR-Officer, der sich um mich kümmerte und mich mit breitem Redeschwall in die neuen Produkte einführte. Ob ich übermorgen schon Abendtermine hätte? Ich schüttelte den Kopf und erhielt als Gegenleistung die Einladung zu dem Event, den Mitch Kapor für seine Keynote nutzen wollte.

Ort dieser Veranstaltung war eine Disco westlich der Gleise. Keine Ahnung wie das heute ist. Damals musste man, um die Bahnstrecke zu überqueren rund 13 Meilen Richtung Norden bis nach Uptown Las Vegas, dem Schmuddelbezirk der Wüstenstadt fahren, um dann auf der anderen Seite wieder nach Süden zu brausen. In südlicher Richtung wären es sogar 21 Meilen gewesen. Jedenfalls hatte ich die Verkehrsdichte und die Entfernung deutlich unterschätzt und kam gut eine Dreiviertelstunde zu spät an. Der Tanzpalast war von A bis Z im Stile einer Tankstelle angerichtet und lag in einem düsteren Winkel des Gewerbegebiets – übrigens nur knapp 800 Meter Luftlinie von meinem Motel entfernt. Ich betrat den Schuppen und landete auf einem Plateau, auf dem wohl das Büffet platziert gewesen war. Einige Stufe tiefer, da wo sonst wohl getanzt wurde, saßen gut 200 Medienvertreter brav auf Stühlchen und lauschten dem großen Mitch Kapor, dem Mister 1-2-3. Der präsentierte übrigens Lotus Agenda, der erste persönliche Organizer für MS-DOS.

Bill Gates 1987
Bill Gates im Jahr 1987, man beachte Frisur und Brille

Das erfuhr ich später, denn zunächst wollte ich meine Nerven beruhigen. Etwas weiter hinten standen Tische, auf denen man Getränkedosen im Angebot hatte. Da ging ich hin und checkte die Auslagen. Better take this, quatschte mich wer an und deutete auf den Tisch mit den Bud-Light-Dosen. Ich sah mich um und erkannte ein unscheinbares Männlein im mausgrauen, schlechtsitzenden Anzug mit zu großer Brille und einer sehr merkwürdigen Frisur. Nun waren Fotos der großen Macher damals nicht sehr verbreitet, und mein persönliches Bild von Bill Gates stammte aus seinen ganz jungen Jahren. Aber das hier, dass war er wirklich, der damals schon bedeutendste PC-Mensch, der legendäre William Gates III. Persönlich und himself.
Ich folgte seinem Rat und trank eine Büchse Bud auf Ex. Während des Schluckens überlegte ich mir schlaue Fragen für ein informelles Interview, aber als ich mir was zurechtgelegt hatte, war er auch schon verschwunden. Vermutlich, um bei seinen Entwicklern so etwas wie Outlook in Auftrag zu geben.

Das alles zu einer Zeit, als richtige Computer noch mit Eingaben in eine Befehlszeile gesteuert wurden und Microsoft Word als die Spitze der, na ja, grafisch-orientierten Bedienung (optional per Mouse bedienbar!) galt, während da unten bei den Heimcomputerchen oder diesem merkwürdigen Macintosh mit Bildchen hantiert wurde, als seien die Fisher-Price-Activity-Center für Nerds. Hätte ich Bill Gates gefragt, was er denn so vom Atari ST hielte, hätte er vermutlich mit einer Gegenfrage reagiert: Atari What? Möglicherweise hätte er aber schon von GEM gehört, oder vielleicht hatte ihm jemand schon so einen ST vorgeführt. Man weiß es nicht. Dass ihm angesichts des noch anzukündigenden Windows 2.0 in den Sinn gekommen wäre, dass der Altkonkurrent Digital Research ihm mit seiner grafischen Benutzeroberfläche GEM schon ein paar Nasenlängen voraus war, ist kaum zu vermuten. Aber es war so.

Data Welt 2/86
Als man GEM und Windows noch in Vergleichstests schickte

Geschichte wiederholt sich, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Der erneute Sieg von Microsoft über Digital Research, war die tragische Variante. Denn der Sieg von MS-DOS als Standardbetriebssystem für IBM PC über CP/M 86 war Resultat einer Farce. Die gängige Legende sagt, dass DRI-Chef Gary Kildall und seine Gattin beim Surfen waren und deshalb den Besuch von IBM-Vertretern versäumten, die damals ein Betriebssystem für den PC suchten. In Wahrheit lief die Sache weniger legendär, eine eher unfähige Aushilfe an der DRI-Telefonzentrale soll einen entscheidenden, wichtigen und dringenden Rückruf verbockt haben – erzählte mir mal Reinhard Gründer, der Chef des deutschen DRI-Ablegers, von dem noch die Rede sein wird. Tragisch ist aus heutiger Sicht, dass sich GEM nicht als Benutzeroberfläche für DOS hat durchsetzen können. Jeder ST-Fan wird das bestätigen können.

Tatsächlich hatte ich das GUI (Graphical User Interface) schon Ende 1986 auf einem IBM-kompatiblen PC im Live-Einsatz erlebt. Und war schwer begeistert. Zu Besuch war ich bei Digital Research in München und wollte mit Reinhard Gründer über irgendetwas anderes reden. Kaum da, sagte er: Wollen Sie mal was Neues sehen? Ich nickte, und er setzte sich an einen Computer und startete GEM für DOS. Okay, damit verwandelte sich die öde Kiste nicht gleich in einen hippen ST und schon gar nicht in einen coolen Mac. Aber GEM lief rund und machte alles einfacher. Währenddessen ließen wir in der Redaktion manchmal einen PC Windows 1.0 laufen, um Multitasking vorzuführen: Vier Uhren in vier Fenstern. Denn mehr konnte es nicht…

Auf der Comdex 1987 war dann von GEM eigentlich kaum die Rede, und der Firma Digital Research ging’s auch nicht mehr so richtig gut. Man sagt, beim Deal mit Atari habe Jack Tramiel Mr. Kildall sehr heftig über den Tisch gezogen, und DRI habe praktisch nichts daran verdient. Wir wissen, wie’s mit dem einstigen MS-Konkurrenten weiterging. Man entwickelte DRI-DOS, scheiterte erneut an der Vermarktung und geriet dann in die Klauen von Novell. Wo dann DRI-DOS einen zweiten, erfolgreichen und sogar profitablen Frühling erlebte. Als MS-DOS-Konkurrent bei den vorinstallierten Betriebssystemen.

Man erzählt sich, dass es Gary Kildall zu Tode gegrämt hat, dass nur Bill Gates und Steve Jobs als Götter des Kleincomputerolymps gefeiert wurden, er aber als Erfinde von CP/M, dem ersten ernsthaften und real funktionierenden Betriebssystem außerhalb der UNIX-Welt in Vergessenheit geraten sei. Schließlich, und da hatte er Recht, hätte es weder Apple, noch Microsoft ohne die Existenz von CP/M je gegeben. Übrigens: Gates und Kildall sind sich überhaupt nur zweimal begegnet und haben, so sagt man, nicht mehr als je ein kurzes Hello miteinander gewechselt.

6 Gedanken zu „Auf ein Dosenbier mit Bill Gates. Oder: Windows schlägt GEM“

  1. Man beachte doch vor allem auch die Krawatte, passend zu den Sofakissen. So hab ich ihn höchst selten gesehen. Aber für den CR der Data Welt hat er sich echt in Maske geschmissen. Reschpekt!

    1. Zuviel der Ehre: Das Foto ist eines der offiziellen Bill-Gates-Fotos von 1987. Als ich ihn traf, war er eher – sagen wir – nachlässig gekleidet und frisiert ;–))

  2. Ach ja, noch was: GEM war viel viel besser als Windows 1. Als ich 1987 bei Microsoft anfing hat niemand intern mit Windows gearbeitet, alle mit nacktem DOS. Ich wurde leider mit einer Version von 1DIR auf meiner Maschine erwischt und musste Abbitte leisten.
    Aber die Architektur von Windows war vielversprechend. Und nachdem die Performance-Probleme mit der Version 2.0 so leidlich und mit der Version 3 weitgehend behoben waren, hatte Microsoft auch mit der Unterstützung unabhängiger Third-Party-Entwickler Erfolg. Es war wie damals immer: Microsoft hatte das schlechtere Produkt, aber die besser Strategie.

    1. Windows 1 war ja auch nicht für ernsthaftes Computern gedacht, sondern eher als Proof of Concept. Das hatten die bei DRI nicht nötig: Ich habe mit der allerersten GEM-Version für DOS schon ernsthaft gearbeitet.
      Ansonsten: Der letzte Satz stimmt aber sowas von…

  3. Eine Sache ist verwunderlich in diesem Artikel. Bill Gates hätte gewusst was Atari ist. Als der ST entwickelt wurde bot Microsoft an das Betriebssystem zu stellen und waren mehr als nur interessiert. Tramiel hatte jedoch kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Gates.

    1. Schätze auch, dass Bill Gates Kenntnis von der ST-Entwicklung gehabt hat, aber „Atari What?“ hätte er wohl trotzdem gesagt, weil er im Herbst 1987 sicher nicht gern gelesen hätte, dass er bei Atari nicht hatte landen können ;–))

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