Biohacking: Würden Sie sich einen Chip implantieren lassen?

Zigtausende Menschen auf der ganzen Welt – allein in Deutschland geschätzte viertausend – haben Biohacking bereits hinter sich: Sie haben sich einen Chip implantieren lassen, weil sie auf mehr Komfort im Alltag hoffen. Denn der reiskorngroße Mikrochip unter der Haut kann Schlüssel, Bank- und Gesundheitskarten ersetzen und noch einiges mehr. Kritiker dagegen warnen vor Totalüberwachung und mangelnden Datenschutz. Wie stehen unsere Leser und Zuschauer zum Biohacking? Würden Sie sich einen Chip implantieren lassen?

Quelle des Aufmacherbildes: Youtube / Dangerous Things / Von Flollie – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5773910

Tatsächlich spaltet diese Frage die IT-Gemeinde sehr heftig in zwei Lager: „Nein, niemals, auf gar keinen Fall“, sagen die einen. „Da kann man doch sicher rund um die Uhr überwacht werden. Außerdem spritze ich mir doch keine Technik unter die Haut.“

„Ich würde es machen, das ist doch praktisch“, sagen die anderen. „Das Smartphone führe ich auch ständig mit mir herum, und da bin ich wirklich dauernd online.“

Implantierung des Chips mittels einer Spritze. (C) Youtube / Digisaurier

Liegt die Wahrheit vielleicht irgendwo dazwischen? Werden wir uns auch diesmal an eine neue Technologie gewöhnen und die Vorzüge irgendwann zu schätzen wissen? Oder schaufeln wir uns unser eigenes Datengrab und entblößen uns noch mehr als mit Facebook, Google & Co.? Die Zukunft wird es zeigen. Doch erst einmal der Reihe nach…

Was ist Biohacking?

Biohacking gibt es in verschiedenen Varianten und bezeichnet zunächst einmal den Willen, sich die Errungenschaften der Biologie und Umweltwissenschaften so zunutze zu machen, dass die gewünschte Veränderung zu einer Verbesserung führt. Auch Selbstversuche in der Medizin gehören zum Biohacking, und bei Kleidung mit integrierter Technik, die dem Körper helfen kann (Wearables), sind die Grenzen fließend.

So klein ist der Chip der US-Firma „Dangerous Things“. (C) dangerousthings.com

Mittlerweile ist Biohacking in all seinen Facetten kein ungewöhnliches Phänomen mehr, sondern ein klarer Trend. Ausgehend von der deutlich größeren Bewegung in den USA, wo die Firma „Dangerous Things“ zu den bekanntesten Anbietern gehört, hat sich auch in Deutschland eine Biohacking-Szene gebildet, die stetig wächst. So fand in Berlin mit dem „FlowFest“ die erste Biohacking-Konferenz statt, 2018 in München schon die zweite. Für 2019 ist das Festival am 6. Juli auf der Praterinsel München geplant.

Laut Biohack.me sind Menschen, die ihren eigenen Körper durch die Implantation von kybernetischen Geräten verändern, sogenannte „Grinder“.

„Es sind leidenschaftliche Individuen, die glauben, dass die Werkzeuge und das Wissen der Wissenschaft jedem gehören. Grinder üben funktionelle extreme Körperveränderungen aus, um den menschlichen Zustand zu verbessern. Sie hacken sich mit elektronischer Hardware, um die menschlichen Fähigkeiten zu erweitern.“

Frühere Formen des Biohackings, teilweise auch extremere, stellten die Kollegen von Intelligente Welt 2015 in einem fünfminütigen Video vor:

Wie lässt man sich den Chip implantieren?

Ein Stich, ein Klick – schon ist man „gechipt“. Mit einer speziellen Spritze wird der Mikrochip, der etwa so groß ist wie ein Reiskorn, im Bogen zwischen Daumen und Zeigefinger ungefähr einen Zentimeter unter der Haut abgesetzt.

Technikblogger Hannes Schleeh hat sich kürzlich einen Chip einsetzen lassen. (C) Youtube / Digisaurier

Der Vorgang selbst ist weniger schmerzhaft als das Stechen eines Tattoos, und nach gut einer Woche bemerkt man den Fremdkörper nicht mehr – so berichten es die Anwender, Pardon, die Träger des Chips. In den allermeisten Fällen löst die Technik keine Reaktionen im Körper aus.

Dazu empfehlen wir die ersten 30 Minuten der Digisaurier-Live-Sendung, die sich schwerpunktmäßig dem Thema Biohacking widmet. Technikblogger Hannes Schleeh, der sich erst kürzlich auf einem Kongress durch die schwedische Firma Biohax einen Chip implantieren ließ, berichtet im Interview mit Moderator Christian Spanik über seine Erfahrungen – und warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hat.

Was bringt der Chip unter der Haut?

Schon 2017 hatten sich 150 Angestellte des Start-ups Epicenter in Schweden einen Chip implantieren lassen, um damit „lästige“ Mitarbeiter-Ausweise zu ersetzen.

Türen öffnen ohne Schlüssel, aber mit Chip in der Hand. (C) dangerousthings.com

Zum Beispiel öffnen sich Türen bei Epicenter mit einem bloßen Wink mit der Hand, und auf ähnliche Weise gelangt man zum Snack aus dem Automaten. Das Ziel ist es, Schlüssel und Bankkarten überflüssig zu machen. Mittlerweile nutzen schon einige tausend Schweden das System.

In Fitnessstudios ersetzt der Chip den Mitgliedsausweis, bei der schwedischen Bahngesellschaft das Zugticket – „mal eben“ die Hand scannen ist einfacher und schneller. Die Biohacking-Szene arbeitet bereits an vielen weiteren Einsatzmöglichkeiten. Zum Beispiel könnte in Zukunft das Auto mit dem Hand-Chip gestartet werden.

Biohacking soll das Leben in vielen Bereichen erleichtern. (C) Youtube / Dangerous Things

Fragt man deutsche User nach sinnvollen Anwendungen, werden oft Gesundheitsdaten genannt – etwa für den Fall, dass Sanitäter bei Verunglückten, die nicht ansprechbar sind, den Chip auslesen könnten, um schnell wichtige medizinische Informationen zu erfahren. Ebenso empfinden viele den Einsatz bei Alzheimer- und Demenzpatienten als sinnvoll.

Mikrochip der US-Universität von Illinois. (C) John Rogers/University of Illinois

US-Forscher haben sogar bereits einen Chip entwickelt, der drahtlos von einem Mobilgerät mit Strom versorgt wird und dabei eine echte Kommunikation ermöglicht. Ziel ist es, den Träger auf gefährliche Veränderungen seiner Vitalparameter hinzuweisen.

„Ich würde mich freuen, wenn ich in Deutschland damit bezahlen könnte – das wäre meine bevorzugte Killerapplikation. Jetzt aber werde ich mir erstmal meine Visitenkarte drauf abspeichern. Ich will das Ding unbedingt programmieren. Mit der iOS-App geht nur das Auslesen, mit der Android-App aber schon das Beschreiben.“ (Hannes Schleeh)

Wie funktioniert der Chip?

Wie man es von kontaktlosen Bankkarten oder von Lagerverwaltungssystemen kennt, so nutzen auch die Biohacking-RFID-Chips die NFC-Technologie, die eine Kommunikation im „Nahfeld“ ermöglicht. Über elektromagnetische Wellen fließen Daten zwischen Chip und Lesegerät – wobei Letzteres auch ein NFC-fähiges Smartphone sein kann. Der implantierte Chip selbst kann keine Daten lesen und auch nicht über das Nahfeld hinaus aktiv senden.

Biohacking: Was ist mit dem Datenschutz?

Im Gegensatz zum eher kritisch eingestellten deutschen User sehen die Schweden das Thema Datenschutz und auch das Teilen von privaten Informationen weniger problematisch. Partys ähnlich wie Tupperabenden, bei denen Chips implantiert werden, sind keine Seltenheit in dem Land.

Deshalb kommt es beim Biohacking vor allem auf die Einhaltung der geltenden nationalen Gesetze an. Umso wichtiger für das Unternehmen, für maximale Transparenz zu sorgen. Zwar werden Mitarbeiter nicht im eigentlichen Sinne überwacht, indem zum Beispiel laufend Biodaten übertragen werden – aber eine verschärfte Anwesenheitskontrolle, bis hin zur Aufzeichnung von Pausen, ist so natürlich leicht möglich.

Fazit

Obwohl die IT-Gemeinde schon eine große Portion Technikaffinität mitbringt, scheiden sich beim Thema Biohacking die Geister. Biohax-Gründer Jowan C. Österlund sieht die Entscheidung bei jedem Einzelnen:

Jowan C. Österlund, Gründer von Biohax. (C) Biohax

„Biohacking ist das ‚Internet of us‘ – ich entscheide, welche Informationen auf dem Chip sind.

Nicht von der Hand zu weisen ist der Datenschutz-Aspekt. Und dass es viele „gruselt“, Technik in den Körper gespritzt zu bekommen, ist sicher nachvollziehbar.

Wahrscheinlich kommt es auf die Kreativität der Anwendungen an, ob sich mit Mikrochips unter der Haut eine Technologie abzeichnet, die zu unserem ständigen Begleiter werden könnte – so wie es bereits jetzt das Smartphone ist.

Text: René Wagner

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