Nur 62 Jahre wurde er alt, Jay Miner, der als Urvater des Amiga gilt. Zeit seines Lebens litt er an Problemen mit den Nieren; die letzte Jahre lebte er mit einer Spenderniere seines Schwester, und 1994 starb er dann an seiner chronischen Krankheit. Wie man leicht nachrechnen kann, stand er altersmäßig näher an Jack Tramiel als beispielsweise an Chuck Peddle, einem anderen Computerhelden. Wie der war aber das Chip-Design sein Handwerk und seine Kunst. Und auch wenn er weltweit bis heute wegen seiner Arbeit an den Custom-Chips des Amiga verehrt wird – seine Methode, Chip-Sätze zu entwickeln, hat die Computerindustrie mehr verändert als seine Mitgliedschaft im Amiga-Team.
Tatsächlich hatte Jay Miner seine Finger beim Design und der Entwicklungen von Hunderten spezialisierter Chips im Spiel, wobei deren Anwendungen von der Joystick-Steuerung über die berühmten Grafik- und Sound-Chips des Amiga bis hin zu medizinischen Geräten wie Defibrillatoren reicht. Begonnen hat er mit dieser Tätigkeit übrigens schon in der Zeit vor der Erfindung des Mikrochips, also zu Zeiten, als es sich bei diesen sogenannten „Chip-Sätzen“ noch um Platinen mit diversen Bauteilen handelte. So war er auch aktiv im Bereich elektrischer Messinstrumente (Voltmeter etc.) und sogar Taschenrechner. Das Prinzip von Custom-Chips besteht ja darin, in einem solchen diskreten Bauteil spezielle Funktionen fest zu verdrahten. Damit ist ein Custom-Chip das ziemliche Gegenteil einer CPU. Die Vorliebe für solche spezialisierten Chips teilte Jay übrigens mit Steve Wozniak, dem Erfinder des Apple II, der – wie sein Nachfolger, der Macintosh – mit einer ganzen Reihe Custom-Chips ausgestattet war.
Der Großmeister der Custom-Chips
Tatsächlich war dieser Apple II der erste und lange Zeit der einzige persönliche Computer mit solchen spezialisierten Chips. Die meisten anderen Entwickler setzten nämlich darauf, die CPU alles rechnen zu lassen, wobei der Apple II ab etwa 1982 zum Vorbild wurde und die meisten Homecomputer zumindest Custom-Chips für Sound und Grafik enthielten. Heutzutage werden die CPUs samt und sonders bei diesen Aufgaben durch Chip-Sätze entlastet. Das Besondere an diesen Teilen ist, dass die Programmierung fest eingebrannt ist. So kann jeder der drei originalen Amiga-Chips, Agnus, Denise und Paula, nur eine einzige Sache, und das lässt sich auch nicht ändern.
Jay Miner war weder unternehmerisch begabt, noch ein besonders guter Teamleiter. Dass er im Amiga-Team seinerzeit eine tragende Rolle spielte, hatte vermutlich mehr mit seinem Alter zu tun – er war gut 20 Jahre älter als die meisten Kollegen und ganz klar der Senior in der Mannschaft. Um ehrlich zu sein: Ein großer Visionär war er auch nicht. Seine Ideen rund um den Computer für jedermann waren eher schlicht und unterschieden sich wenig von denen anderer führender Persönlichkeiten der Branche. Und letztlich ist der legendäre Amiga, der heute noch eine gewaltige Fangemeinde hat, das Produkt eines Kompromisses, der auf Betreiben von Jay zustande kam. Das Start-up namens HiToro, das er mitgegründet hatte, bekam Geld von einem Investor nur, weil man versprach eine Spielkonsole zu entwickeln. Tatsächlich aber wollte man den besten Homecomputer aller Zeiten designen. Also zeichnete man das Ding so, dass aus dem gewollten Spielcomputer durch Ausbau ein waschechter und extrem leistungsfähiger Personalcomputer gemacht werden konnte. Um dieses Bestreben, von dem die Geldgeber gar nichts wissen wollten, zu tarnen, taten Jay und seine Kumpanen so, als würden sie besonders viele daran arbeiten, die Joystick-Steuerung zu verbessern, während man in Wahrheit intensiv die Entwicklung von Agnus, Denise und Paula vorantrieb.
Die Krankheit und das Ende
Nach allem, was man weiß und was Menschen berichten, die Jay Miner gut kannten, war er ein liebenswerter Kerl, dem sein Cockapoo (eine Kreuzung aus Cocker Spaniel und Pudel, die ganz aus der Mode gekommen ist) Mitchy überall hin folgte. Und so ist es mehr als ein Gag, dass auch ein stilisierter Pfotenabdruck die Innenseite der ersten Amiga-Generation ziert, auf der außerdem die Unterschriften alle Teammitglieder zu sehen sind. Will man die Persönlichkeit Jay Miner verstehen, muss man sich zudem vor Augen führen, dass er in den wilden Jahren des Homecomputers bereits so krank war, dass er mehrmals in der Woche zur Dialyse musste, um sich einer Blutreinigung zu unterziehen. Vielleicht liegt hier auch die Ursache dafür, dass Jay in den vielen schwierigen Situationen zwischen Atari und ihm und später bei Commodore dazu neigte, jedem Streit aus dem Weg zu gehen.
So angemessen es ist, Jay Miner als Vater des Amiga zu sehen, so sehr wird oft übersehen, dass er der vielleicht fleißigste und innovativste Chip-Entwickler der Siebziger- und Achtzigerjahre überhaupt war und im selben Maße wie Steve Wozniak die Art und Weise, wie über gut 30 Jahre Custom-Chips entwickelt wurden, maßgeblich beeinflusst hat.