Tobias Groten in einer WDR-Dokumentattion (Screenshot: WDR)

Computerhelden (15): Tobias Groten, der digitale Pionier aus dem schönen Ahaus

Als mich die Agentur, für dich kurz nach der Jahrtausendwende tätig war, zu einem Neukunden nach Ahaus schickte, fragte ich: Ahaus, wollt ihr mich veräppeln? Denn unsere Neukunden aus den Bereichen IT und Telekommunikation saßen doch eher in München, Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf. Aber, Ahaus? Am Rande des Münsterlandes, beinahe schon jenseits der niederländischen Grenze? So lernte ich Tobit und seinen Vater kennen: Tobias Groten. Dass Tobit mit einem ausgesprochen netten und kollegialen Kommunikationsleiter namens Dieter van Acken ausgestattet war, lernte ich den digitalen Pionier beim ersten Mal gar nicht kennen. Und weil Tobias Grote nie viel Zeit hat, beschränkten sich unsere Begegnungen auch später auf kurze Momente.

Man traf sich in der Kantine, die eigentlich ein 24-Stunden-Restaurant für die Tobit-Mitarbeiter war. Er trug grobes Schuhwerk, Jeans und weißes Hemd sowie die Wuschelfrisur, an der man ihn auch heute noch erkennt. Drei Fragen, drei Antworten, fertig. Das meiste, was ich über den heimattreuen IT-Unternehmer weiß, habe ich von Dieter van Acken. Denn die Anhänglichkeit an seinen Geburtsort ist nur eine Seite des Mannes. Neben Ahaus steht seine Familie, der er bei allem Stress ein präsenter Ehemann und Vater ist, im Mittelpunkt. Er liebt die Musik, vor allem die soulige, funkige, rockige, kann prima feiern und hat eine Vorliebe für sehr schnelle Autos. Eine Anekdote aus jenen frühen Jahren sagt, er habe seinen Superduper-Mega-Porsche gern nachts auf der ohnehin wenig befahrenen A31 gern mal mit Tempo 300 bewegt. Außerdem habe er Spaß daran, mit Mitarbeitern und Geschäftspartner kurze, ultraschnelle Spritztouren zu unternehmen.

Tobias Groten auf der Bühne, April 2019 (Foto: Facebook, Profil TG)
Tobias Groten auf der Bühne, April 2019 (Foto: Facebook, Profil TG)
Bevor wir aufs Ernsthafte kommen: Wenn ich in meinem CeBIT-Gedächtnis von 1986 bis 2017 krame, sind mir zwei unverzichtbare Partys hängengeblieben: die Burn-In-Party von Symantec und die tägliche Standparty bei Tobit Software. Die artete in manchen Jahren am letzten Messetag einigermaßen aus, und die Legende sagt, dass einmal ein Polizeieinsatz nötig wurde, um die Gemeinde der Feiernden vom Messegelände zu vertreiben. Ähnlich legendär aber auch das jährliche Musikevent in Ahaus. Ab 1998 als After Dark Festival auf den Wiesen im Schlosspark abgehalten, ab 2004 als Nightclubbing in einem Club in Ahaus und später direkt auf dem Tobit-Campus holten Groten und seine Leute Künstler und Bands wie James Brown, Kim Wilde, Die Fantastischen Vier, Joe Cocker, Tito and Tarantula, Grace Jones, 2Raumwohnung, Madness, Kool & the Gang und Jamiroquai ins Münsterland.

Man hätte meinen können, derlei strahlende Ereignisse müssten Tobit in Deutschland weltberühmt gemacht haben. Aber außerhalb der Region und der Computerszene nahm man davon wenig Notiz. Auch das Engagement des großen Sohns der Stadt für Ahaus fand jenseits der regionalen Presse nur wenig Echo. Aber um persönlichen Ruhm ging es dem vor digitalen Ideen nur so sprühenden Kerl nie. Selbst als van Acken in der Harald-Schmidt-Show ein Stück aus dem Nachlass von Marylin Monroe ersteigerte, bliebt Groten im Hintergrund. Er hatte ja auch immer genug zu tun. Und zwar Dinge, die so wohl nur am Standort Ahaus möglich wären. So entstand am Ortsrand, unweit der Autobahn, ein Firmengebäude, das architektonisch von außen schon auffällig daherkam, drinnen aber schon um 2002 herum das digitalste Bauwerk weit und breit, ja, vielleicht sogar in ganz Deutschland war.

Der Tobit-Campus bei Nacht (Foto: Tobit)
Der Tobit-Campus bei Nacht (Foto: Tobit)
Tatsächlich war ich beim ersten Besuch nach einem Rundgang mit van Aken nachhaltig beeindruckt. Nicht nur darüber, dass an jeder Ecke ein Monitor an der Wand hing, der über die diversen Termine und Meetings Auskunft gab, sondern auch über die Ausstattung der Arbeitsplätze und die extrem kollegiale Kooperation in einer Struktur, auf die der Begriff „flache Hierarchie“ mehr als angemessen war. Der Hausherr selbst bewohnte ein Büro mit Überblick über den Patio. Immer heiß auf den neuesten technischen Sch… hatte er sich damals von der berühmten Tablet-Firma Wacom (damals ebenfalls Kunde von uns) einen der ersten echten Pen-PCs installieren lassen, also einen riesigen, schräg in die Tischplatte eingelassenen Bildschirm mit stiftempfindlicher Oberfläche. Groten behauptete, außer ihm würde nur der Wacom-Chef ein solches Ding haben. Aus diesem Firmengebäude (mit der wunderbaren Kantine!) wurde über die Jahre der Tobit-Campus – übrigens mit einem integrierten, sagen wir, Hotel, in dem Gäste oder eingeladene Experten nächtigen können. Außerdem weitere, hochtechnisierte Arbeitsräume, das Laboratorium.

Und wie konnte das alles Realität werden? Weil dieser Tobias Groten, ein in der Wolle gefärbter Computer-Freak, schon an etwas dachte und glaubte, das er „Unified Messaging“ nannte, also das Verteilen von digitalen Informationen jeder Art über ein dezidiertes System mit Client-Server-Architektur. Ob Abruf, Fax, E-Mail, Dokumentenaustausch oder Chat: Alles sollte zusammengefasst, sozusagen „vereint“ ausgeliefert werden. Übrigens eine Idee, der er nicht nur formulierte, sondern realisierte, als in Deutschland ungefähr 99 Prozent der Unternehmen Mail als Kommunikationskanal noch nicht eingeführt hatten. Das Ding nannte er „David“ und bezeichnete es als Kommunikationsserver. Um ehrlich zu sein: Erfunden hat Groten den Begriff „Unified Messaging“ nicht. Aber als ein Dutzend US-amerikanischer Firmen dies in Form von Services anbot, die mehr oder weniger gut funktionierten, war David in Unternehmen ab Installation sofort voll einsatzfähig. Das brachte Geld. Viel Geld, nicht nur aus Deutschland und Europa, sondern auch aus den USA und dem Rest der Welt. Das lange Zeit einzige Produkt der Tobit-Software wurde kontinuierlich und mit erheblichem Aufwand weiterentwickelt, modernisiert, erweitert und einfach immer besser gemacht. Und zwar so, dass David noch heute eine weltweit anerkannte Lösung darstellt.

lytfass - schon wieder eine typische Groten-Idee (Screenshot: Tobit Software)
lytfass – schon wieder eine typische Groten-Idee (Screenshot: Tobit Software)
Um diesen Grundpfeiler seines Unternehmen herum erdachte Groten über die Jahre ständig neue Sachen; meist getrieben von seinen persönlichen Vorlieben und Bedürfnissen wie seinerzeit bei ClipInc und Radio.fx, ausgefeilten und -gefuchsten Online-Musikrekordern, mit dem man auf denkbar komfortabelste Weise Songs aus Streaming-Angeboten, auch von Spotify, mitschneiden und als MP3 abspeichern kann. Wie so oft entstand dieses Projekt, weil sich Tobias Groten darüber ärgerte, dass es so schwierig war, Songs aus Radiosendungen ohne Drumherum aufzunehmen bzw. Spotify-Song downloaden zu können. Aber, das ist nur ein Beispiel. Seit einigen Jahren dreht sich alles um die Digitalisierung verschiedener Prozesse, die in unterschiedlichen Branchen bisher mehr oder weniger zu Fuß abgewickelt werden. So ein Ding ist wayter, ein absolut realitätstaugliches Bestellsystem für Gastronomiebetriebe, mit dem die Gäste per eigenem Smartphone ordern, was sie haben wollen. Oder lytfass, ein System, mit dem Ladenbesitze und Wirte beliebige Wunschinhalte auf per HDMI angeschlossene Displays zaubern können. Ein Großprojekt heißt chayns; man könnte es als Website-Builder beschreiben, aber das Ding ist mehr: Ausgangspunkt einer digitalen Identität mit allem, was man als Nutzer im Web darstellen und anbieten will.

Tobias Grotens aktuell aber dominierendes Thema heißt „Smart City„, und dazu hat er natürlich jede Menge Ideen … die er natürlich zuerst in Ahaus installieren und testen lässt. Es steht zu vermuten, dass er mit seinem Erfindungsreichtum, seiner Kreativität und seiner Energie noch lange nicht am Ende ist. Deshalb sage ich: Digitalfreunde dieser Welt, schaut auf Ahaus, schaut auf Tobit und schaut auf Tobias Groten, es könnte sein, dass ihr dabei die Zukunft seht.

Und hier ein spannendes WDR-Video über Tobias Groten und Tobit:

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