Ist der Vogel in Wahrheit kleiner als er scheint? (eigenes Bild)

Debatte: Wie relevant ist Twitter wirklich?

Dass es um das Digitalverständnis deutscher Medienmacher*innen nicht besonders gut bestellt ist, darf mal als Binsenweisheit werten. Im Grunde zerfällt die Menge der Journalistinnen und Journalisten in nur zwei Kategorien: Diejenigen, die irgendwie das Gefühl haben, dieses ganze Internet sei schon irgendwie wichtig, und diejenigen, die das Netz für eine Bedrohung ihres Berufes halten. Besonders deutlich wird das beim Thema Twitter.

Wenn etwas "die Netzgemeinde" begeistert (Screenshot)
Wenn etwas „die Netzgemeinde“ begeistert (Screenshot)
Eine Floskel, bei der jedem die Haare zu Berge stehen, der schon etwas länger im Internet unterwegs ist, lautet: „Netzgemeinde“ – wie in dieser Überschrift auf der Website eines öffentlich-rechtlichen Medienversenders: „Regenstaufer Storch-Video begeistert die Netzgemeinde“. Der Begriff suggeriert, als gäbe es innerhalb der Gesamtbevölkerung die Gruppe der Web-Bewohner oder irgendeine Kirche oder Sekte. Benutzt wird dieser sinnlose Terminus dann, wenn Redakteure mal eben bei Google nachgeguckt haben, wie oft Thema X auf Facebook und Twitter genannt wurde.

Umgekehrt nutzen viele Medienschaffende Twitter aber auch, um das zu erkennen, was sie für aktuelle Themen handeln. Ist ja auch einfach; man muss sich ja nur die Trending Topics anschauen. Die Pfiffigen unter denen, die (Achtung: Klischee!) täglich die Spalten füllen müssen, kennen sich mit Hashtags aus. Die Zeichenfolgen mit dem Lattenkreuz vorn dran sind ja eine ureigene Twitter-Erfindung und feiern dieses Jahr den zehnten Geburtstag.

Twitters "Trends für dich" (Screenshot)
Twitters „Trends für dich“ (Screenshot)
Die neugierige Redakteurin gibt also ein Thema, das sie für relevant hält, als Hashtag in die Suche ein und – schwupps – kriegt sie die Meinung der Netzgemeinde. Der gewiefte Kollege schaut sich die Liste „Trends für dich“ an und weiß sofort, was die Menschen da draußen interessiert. Das macht nicht viel Arbeit, und so ganz verkehrt kann man damit nur selten liegen. Die Methoden der Twitter-Auswertungen haben sich aber inzwischen derart verselbständigt, dass kaum ein*e Journalist*in noch hinterfragt, wer genau denn überhaupt Tweets absetzt.

Der vielleicht berühmteste Twitterer aller Zeiten (Screenshot)
Der vielleicht berühmteste Twitterer aller Zeiten (Screenshot)
Gut, dass ein gewisser Donald Trump die Finger nicht stillhalten kann, wenn er sein Smartphone in den Händen hat, wissen inzwischen alle. Aber, wie setzt sich die Menge der wirklich aktiven Twitter-User eigentlich zusammen? Studien dazu gibt es kaum, schon gar keine aktuellen. Dafür sind die registrierten Twitter-User statistisch bestens durchforscht. Nur tweeten eben nicht alle 330 Millionen Twitterer ständig. Man kann nur mutmaßen, dass weniger als 10 Prozent der User tatsächlich nennenswert oft eigene Texte in den Twitter-Kosmos schicken.

Schon fast ein typischer Twitter-Influencer (Screenshot)
Schon fast ein typischer Twitter-Influencer (Screenshot)
Was sich nachverfolgen lässt, sind die Spuren von Meinungsmachern (wie der erwähnte Präsident der Vereinigten Staaten), die sich regelmäßig, meistens sogar mehrfach täglich über diesen Kanal äußern. Im deutschsprachigen Raum dürften das – dies als Ergebnis von Stichproben über den Zeitraum von zwei Wochen – kaum mehr als 2000 Personen sein. Die müsste man als „Influencer“ dieses sozialen Netzwerkes betrachten. Und die bestimmen durch ihre hohe Twitter-Aktivität genau das, was gewisse Redakteur*innen als Meinung der „Netzgemeinde“ betrachten.

Repräsentativ für Standpunkte und Ansichten der Gesamtbevölkerung ist das allein schon deshalb nicht, weil die demografischen Daten der Twitter-Nutzer eine relativ kleine, ja, fast elitäre Filterblase abbilden. Twitter selbst gibt an, 80 Prozent seiner Nutzer seien „wohlhabende Millennials„. Und die sind es also, die gewissen Medienvertreter*innen als Netzgemeinde dienen…

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