John von Neumann vor seinem MANIAC (Foto via Wikimedia, public domain)

Computerhelden (23): John von Neumann – Genie, Visionär, Machtmensch

Ja, klar, John von Neumann, schonmal gehört… Erst ein Roman und ein Film haben mir in den letzten Monaten bewusst gemacht, in welchem Ausmaß und auf wie vielen Gebieten dieser österreichisch-ungarische Mathematiker die Grundlagen für das gelegt hat, was wir heute als Informationstechnologie kennen. Der Roman „MANIAC“ des chilenischen Autors Benjamin Labatut, dessen Titel sich auf den Namen von Neumanns ganz persönlichen Computer bezieht, dreht sich in seinem ausführlichen Mittelteil um dieses Genie, wo es in einigen Dutzend kurzen Kapiteln aus Sicht verschiedener Menschen beschrieben wird. Und im Blockbuster „Oppenheimer“ von Christopher Nolan ist dieser John von Neumann die Leerstelle, das schwarze Loch der Geschichte, denn Nolan lässt von Neumann schlicht und einfach nicht vorkommen.

Dabei war dieser manchmal skrupellose Mensch die entscheidende Kraft hinter der Entwicklung der US-amerikanischen Atombombe und eben nicht Robert Oppenheimer. Im Gegensatz zu diesem hatte von Neumann gedeckt durch den US-Präsidenten und die zuständigen Behörden völlige Narrenfreiheit und war eine von nur einer Handvoll Personen, die die Geheimstadt Los Alamos nach Lust und Laune besuchen und wieder verlassen durften. Ohne den von ihm von A bis Z konzipierten MANIAC wären die nötigen Berechnungen rund um die Kernspaltung in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen. Und im Gegensatz zu Oppenheimer, den der aus der Entfernung zugeschaltete Albert Einstein nicht allzu ernstnahm, sah der Erfinder der Relativitätstheorie von Neumann als adäquaten Gesprächspartner.

Budapest, John von Neumanns Geburtsort (Foto via pixabay)
Budapest, John von Neumanns Geburtsort (Foto via pixabay)

Dabei kam der Übergang vom reinen Denker zum Macher, der von Neumann mit seiner Beteiligung am Manhattan-Projekt wurde, um das Jahr 1942 herum ziemlich abrupt. Man kann auch sagen, dass er sich von der Mathematik und der theoretischen Physik lossagte, nachdem beide Gebiete für ihn persönlich auserzählt waren. Der Computer aber, der galt ihm als etwas ganz Praktisches, als Maschine zum Zwecke der Zukunftsgestaltung.

Begonnen hatte János Neumann, den alle nur Jansci nannten, als mathematisches Wunderkind im Budapest vor dem ersten Weltkrieg. Schon mit sechs Jahren verblüffte er nicht nur seine Lehrer, sondern Universitätsprofessoren mit seinen Rechenkünsten, die nicht auf irgendwelchen eingepaukten Tricks beruhten, sondern auf einem tiefgehenden Verständnis der Mathematik. Jansci hatte ein phänomenales Gedächtnis und konnte ganze historische Abhandlungen und literarische Werke wie Goethes Faust auswendig. Später studierte er gleichzeitig an der ETH Zürich, an der technischen Universität Berlin und in Budapest. Seine Dissertation gilt als eine der grundlegenden Schriften zur Mengenlehre.

Der Campus von Princeton, von Neumanns langjährige Heimat (Foto via pixabay)
Der Campus von Princeton, von Neumanns langjährige Heimat (Foto via pixabay)

Komplexeste Gleichungen, für die deren Lösungen andere Mathematiker ganze Tafelwände vollschreiben musste, löste er im Kopf und bewies wie nebenbei einige mathematische Probleme. Alles fiel ihm leicht, vor allem, alles andere auszuschalten, wenn er an einer Lösung arbeitete. In den Phasen solcher konzentrierter Arbeit wurde aus dem umgänglichen Dr. Jekyll ein Soziopath wie Mr. Hyde. Wie sein Umgang mit anderen Menschen oft geprägt war von einem an Verachtung grenzenden Zynismus.

Einen epochalen Anteil hatte er an der Beschreibung der Hilbert’schen Beweistheorie, die er als universelle Basis aller Mathematik sah. Die Veröffentlichung der Unvollständigkeitssätze durch den Österreicher Kurt Gödel traf ihn tief, weil er als Erster und vielleicht als Einziger verstand, dass damit die Vorstellung von einem ungestörten mathematischen Kosmos ein für alle Mal erledigt war. Er wandte sich beinahe unmittelbar von der Mathematik ab und der Quantentheorie zu.

Inzwischen hatten sich die Hochschulen der USA um ihn gerissen, und er hatte sich für Princeton entscheiden, weil man ihm dort maximale Freiheiten einräumte. Tatsächlich hat von Neumann dort nie gelehrt und bei seinen Forschungen nur sehr eingeschränkt deutlich gemacht, welche Möglichkeiten ihm Princeton bot. Und so wie er die Mathematik bis an einen möglichen Endpunkt getrieben hatte, so schob er auch die theoretischen Grenzen der Quantenphysik bis an den Rand dessen vor, was in den Vierzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts vorstell- und formulierbar war.

Los Alamos - John von Neumann und das Manhattan-Projekt (Foto via Indilible Adventures)
Los Alamos – John von Neumann und das Manhattan-Projekt (Foto via Indilible Adventures)

Politisch verhielt sich John von Neumann – im Gegensatz zum anderen berühmten Exil-Ungarn Edward Teller, dem „Vater der Wasserstoffbombe“ – indifferent. Ja, er wurde US-Bürger und verstand sich auch als solcher, nahm aber nie auch nur annähernd patriotische Positionen ein. Seine Beteiligung am Manhattan-Projekt war – nach allem, was nachweisbar ist – nicht durch den Wunsch getrieben, Nazi-Deutschland zuvorzukommen, sondern für ihn ein weiteres großes Experiment rund um die Anwendung von Computer-Power.

Übrigens: Ganz nebenbei leistete von Neumann auch noch einen entscheidenden Beitrag zur Spieltheorie, die heutzutage die allumfassende Basis für die Wirtschaftswissenschaft im Kapitalismus bildet. Und wer weiß, was er noch erdacht hätte, hätte er sich nicht nur so ganz nebenbei mit der Humanmedizin befasst. Tatsächlich aber widmete sich von Neumann ab den Fünfzigerjahren am von ihm gegründeten Institute for Advanced Studies in Princeton ganz und gar der Informatik und der Kybernetik, definierte eine ganze Reihe grundlegender Konzepte rund um den Computer und muss aus heutiger Sicht als „Vater der Künstlichen Intelligenz“ betrachtet werden.

John von Neumann und Kollegen in Los Alamos (Foto via computerhistory.com)
John von Neumann und Kollegen in Los Alamos (Foto via computerhistory.com)

Die moralische Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse und derer praktischer Anwendung war ihm völlig fremd – Skrupel kannte er als einer der wenigen Beteiligten am Manhattan-Projekt überhaupt nicht, und die Vorstellung, der Computer können in Gestalt von KI-Systemen die Herrschaft über die Menschheit antreten, schreckte ihn keineswegs. Es ging ihm immer und ausschließlich um den Fortschritt, ums Machbare. Dass er dabei so weit ging, Skripte eines Mitarbeiters rund um das Thema „Artificial Life“ zu stehlen und als Basis eigener Schriften zu verwenden, zeigt die dämonische Seite des John von Neumann.

Präsident Eisenhower überreicht von Neumann die Urkunde zum Orden (via Wikipedia, public domain)
Präsident Eisenhower überreicht von Neumann die Urkunde zum Orden (via Wikipedia, public domain)

Wir verdanken ihm grob geschätzt die Hälfte aller grundlegenden Konzepte rund um den Computer, rund um die Informationstechnologie und die Datenkommunikation, darunter ganze praktische wie die von-Neumann-Architektur, bei der Befehle und Daten in einem gemeinsamen Speicher gehalten und verarbeitet werden, und die Darstellung von Computerbefehlen in Form einer Maschinensprache, aber auch die Idee neuronaler Netze, ohne die das, was wir heute „Künstliche Intelligenz“ nennen, nicht vorstellbar wäre. Und außerdem hat er mit MANIAC I (Mathematical Analyzer Numerical Integrator And Computer Model I) einen der ersten Computer modernen Typs so entworfen, dass dieser tatsächlich gebaut und erfolgreich betrieben werden konnte.

Ja, John von Neumann hatte zwei Seiten. Da war der lebenslustige gesellige Mann, der schnelle Autos und gutes Essen liebte (aber Alkohol mied), der ganze Partys mit seinen schmuddeligen Witzen und selbstverfassten Limericks unterhalten konnte. Da war aber auch der sture Einzelgänger, der Kollegen an Diskussionen über Probleme, an denen er arbeitete, nur so weit beteiligte, wie es ihm nutzte. Da war vielleicht der intelligenteste Mensch, den das Zwanzigste Jahrhundert hervorgebracht hat, und da war der lange leidende Mann, den der Krebs nach und nach von innen auffraß und am Ende sein Gehirn lähmte.

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