Ja, werden jetzt viele Digisaurier sagen, das kennen wir doch alles schon, also wie die Firma Commodore entstand und wie sie zugrundegerichtet wurde. Aber man kann die Commodore-Story auch ein bisschen anders erzählen und vor allem mehr Scheinwerferlicht auf die wichtigsten Akteure lenken. Genau das haben wir mit diesem Dreiteiler im Sinn. Spannend ist das allemal, weil das Schicksal von Commodore stellvertretend für einige Firmen steht, die wie Kometen am Digitalhimmel aufstiegen, einige Zeit stolz leuchteten, um dann abzustürzen; ganz anders also als die Fixsterne der Branche: IBM, Intel, Hewlett-Packard.
Jack Tramiel steht stellvertretend für das Schicksal vieler polnischer Juden. Geboren wurde er 1928 in Łódź, der Stadt in Mittelpolen mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Europas, gleich nach Warschau. Über seine Eltern und deren Berufe und überhaupt seine Familie hat er nie gesprochen. Anzunehmen ist, dass Jacek Trzmiel (das polnische Wort für „Hummel“) mit seinen Leuten in das bereits 1939 von den Nationalsozialisten erzwungene Ghetto ziehen musste. Da war er elf Jahre alt. Auch über seine Schulbildung hat er nie irgendeine Aussage gemacht; vermutlich endete diese irgendwann zwischen 1939 und 1942, weil die NS-Besatzer ab Mitte 1942 den Betrieb von Schulen in den Ghettos verboten.
Die Evakuierung des Lagers begann am 6. April 1945 mit 850 Häftlingen. Die SS setzte 600 Häftlinge in Marsch und ließ 250 nicht marschfähige zurück, sie wurden am 10. April von amerikanischen Soldaten der 84. US-Infanterie Division, unter denen sich auch der spätere Außenminister Henry Kissinger[5] befand, befreit. Auf dem Marsch ins KZ Bergen-Belsen wurden mehrere Häftlinge erschossen, die marschfähigen Häftlinge erreichten Bergen-Belsen am 8. April, das nur wenige Tage später von britischen Verbänden ebenfalls befreit wurde. Zu den Häftlingen gehörte auch der spätere Unternehmer und Computerpionier Jack Tramiel, Gründer von Commodore International. [Quelle: Wikipedia]
…Hauptsächlich um die englische Sprache zu lernen und eine Berufsausbildung zu bekommen. Nebenbei besuchte ich eine IBM-Schule für Bürotechnik. [Quelle: DW 3/86]
Auf das Thema Schreibmaschine war schon in den Jahren bei den US-Streitkräften in Deutschland gekommen; mehrere Monate hatte man ihn als Helfer in einer armee-eigenen Werkstatt für die Reparatur von Büromaschinen eingesetzt. Nach insgesamt drei Jahren und sieben Monaten quittierte er den Dienst. In der IBM-Abendschule hatte er gelernt, elektrische Schreibmaschinen zu reparieren, was ihm einen schlecht bezahlten Job in der Bronx eintrug. Mit 50 Dollar die Woche war er nicht in der Lage Frau und Kind durchzubringen, sodass er nachts zusätzlich Taxi fuhr.
Und dann erwachte der Unternehmen in Jack Tramiel. Er kam zu der Erkenntnis, dass er nur als Selbstständiger in der Lage sein würde, seiner Familie ein gutes Auskommen zu verschaffen, denn selbst als seine Frau ebenfalls arbeiten ging, reichte es nicht. Mit einem Kumpel aus Armeetagen eröffnete er einen kleinen Laden in der Bronx, in welchem Jahr genau, wusste er nicht zu sagen. Rechnet man von der Umbenennung der Firma in „Commodore“ zurück, dürfte sich diese Veränderung 1952 oder 1953 abgespielt haben. Die Idee erwies sich als nicht besonders clever, denn die Anzahl möglicher Kunden hielt sich in der Bronx doch sehr in Grenzen.
Der Plan war, selbst elektrische Schreibmaschinen herzustellen. Weil die beiden Freunde weder das Kapital noch das Fachwissen hatten, eigene Modelle zu entwickeln, kamen sie auf die Idee Produkte anderer Hersteller in Lizenz nachzubauen. Das Konzept und die Tatsache, dass sie Ex-Militärangehörige waren, überzeugte zwei Banken, die je 25.000 Dollar Startkapital freigaben. Nur: Alle US-amerikanischen Hersteller winkten ab – sie trauten den Burschen aus der Bronx nicht zu, so etwas auf die Beine zu stellen. Immerhin gelang es ihnen, als Händler für ausländische Marken wie Olympia und Adler tätig werden zu dürfen.
Eine Geschichte, die Jack Tramiel vermutlich nur einmal erzählte und von der er nicht wollte, dass sie veröffentlicht wird, erklärt seinen Umzug nach Toronto im Jahr 1955. Ihm war der Boden in der Bronx zu heiß geworden. Dort hatten die Mobster (die wir fälschlicherweise „Mafia“ nennen) sich auf erfolgreiche kleine Firmen spezialisiert, bei denen sie Schutzgelder kassierten – besonders gern bei denen, deren Inhaber jüdisch waren. Weil seinen alten Kumpel das nicht betraf, stellte Jack ihn vor wie Wahl mit nach Kanada zu kommen oder ihm die Firmenanteile abzukaufen. Tatsächlich hielt der Partner (dessen Namen Tramiel übrigens nie erwähnte) noch ein Jahr lang die Stellung, bevor er ebenfalls nach Toronto übersiedelte.
Ebenfalls eine Tatsache, die Tramiel selbst nie berichtete: Für Vertragsverhandlungen kam er spätestens 1957 erstmals wieder nach Deutschland. Vermutlich besuchte er die Standorte der Firmen in Wilhelmshaven und Nürnberg. Im Gegensatz zu vielen Menschen, die den Holocaust überlebt hatten, fiel es Jack nicht schwer nach Deutschland zu reisen. Eher im Gegenteil, denn in späteren Jahren äußerte er mehrmals, dass der dieses Land sehr möge und gern hier war. Das mag damit zusammenhängen, dass Jack Tramiel eben nicht „bloß“ Auswanderer war, sondern sich als Kosmopolit verstand und sich gern in anderen Ländern aufhielt. Nur Polen hat er – soweit bekannt – nie wieder besucht.
Im Zusammenhang mit Everest lernt Jack nun Erik Markus kennen, über den er folgendes erzählt:
…lernte ich den englischen Vertreter für diese Firma kennen, Erik Markus – einen gebürtigen Berliner. Er war der Schwiegersohn von Willy Feiler, der früher in Berlin Additionsmaschinen produziert hatte, Deutschland aber 1936 verlassen musste, weil er Jude war. Wir verstanden uns auf Anhieb und er wurde mein Vorbild. Er brachte mir bei, wie man ein wirklicher Geschäftsmann wird; er hat mir in jeder Beziehung ungeheuer geholfen. Er verschaffte mir Kontakt zu Firmen in der Tschechoslowakei. Ich wollte nämlich in Kanada Schreibmaschinen in Lizenz fertigen… [Quelle: DW 3/86]
Erik Markus, über den in den Archiven nichts zu finden ist, dürfte zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre älter gewesen sein als Jack. Er wurde sein Mentor, und seine Verbindung zu Firma seines Schwiegervaters sollte für Tramiel und Commodore von entscheidender Bedeutung werden. Aber schon die Verbindung zu den tschechischen Consul-Werken brachte das junge Unternehmen schlagartig nach vorn. Denn in Kanada galt damals die Regel, dass bei öffentlichen Aufträgen kanadische Anbieter bevorzugt würden. Weil Jacks Bude nur die Teile aus Tschechien importierte und die Schreibmaschinen in Kanada zusammenbaute, galten sie als kanadische Produkte.
Außerdem gelang Tramiel sein erster großer Geschäftscoup: Er schloss einen Vertriebsvertrag mit der kanadischen Filiale der großen US-Warenhauskette Sears & Roebuck, die seine Maschinen exklusiv und äußerst erfolgreich vermarktete. Was seiner Firma einen stetigen Strom ordentlicher Einnahmen brachte. Erik Markus war es, der anregte, einen klingenden Markennamen für die Typewriter zu finden, der dann auch Firmennamen werden sollte. Sie müssen lange nachgedacht und die Namen vieler anderer Hersteller analysiert haben. Jack hätte gern etwas Militärisches wie General, Admiral oder so gehabt, aber diese Namen waren besetzt. Die von ihm selbst in die Welt gesetzte Version für die Namensfindung geht so:
Eines Tages war ich mit Erik in Berlin, und während wir gerade mit dem Taxi unterwegs waren, diskutierten wir alle möglichen Namensvorschläge – plötzlich sah ich ein Auto mit dem Typenschild Commodore; tja, und weil unsere Wunschnamen General und Admiral schon besetzt war, nannten wir die Schreibmaschinen Commodore. Und so entstand 1958 dieser berühmte Firmenname. [Quelle: DW 3/86]
Willy Feiler, der in den Fünfzigerjahren aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt war und die Produktion seiner Tischrechner in Berlin wiederaufgenommen hatte, brachte Schwiegersohn Erik auf die Idee, den US-amerikanischen Markt zu betreten. Und zwar nach demselben Muster wie es die tschechischen Consul-Werke mit Jack in Kanada gemacht hatten. Das kam zum richtigen Zeitpunkt, denn das Geschäft mit den elektrischen Schreibmaschinen aus amerikanischer Fertigung lief zunehmend schlecht. Schuld waren die extrem billigen Importmaschinen aus Japan, die vor allem das Geschäft mit Privatkunden versauten. Ein zweites Standbein käme da gerade recht.
Nie ganz geklärt – und über die Details schwieg sich Jack Tramiel zeitlebens aus – wurde, wie es dazu kam, dass die Commodore International 1962 die Firma Feiler in Berlin mit immerhin 200 Mitarbeitern übernahm. Es war dies der erste Schritt, der aus der kanadischen Firma Commodore ein international agierendes Unternehmen machte. Und dieses Standbein in Deutschland wird in der weiteren Historie von Commodore bis zu deren ruhmlosen Ende im Jahr 1994 eine bedeutende Rolle spielen.
[Im Part II unserer Commodore-Story wird es um die Rolle des Investors Irving Gould in der Unternehmensgeschichte gehen.]
[Bildnachweis – Titel: Consul-Schreibmaschine via Zbrojovka Brno; Jack Tramiel beim DW-Interview: privates Archiv; Titelbild DW 3/86: privates Archiv; KZ Ahlem: Herbert Budowle für die US Army, via Wikimedia, public domain; Brooklyn Cigar Company: Szenenbild aus dem Jim Jarmusch Film „Smoke“ von 1995; Jack Tramiel und Söhne: privates Archive, Quelle unbekannt; Hudson Commodore: Morven via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0; Feiler-Addiermaschine: Arnold Betzwieser, Steuerberater/Rechtsbeistand, „kleine Ausstellung historische Bürotechnik“]