Commodore-MM6 - einer der Verkaufserfolge im Taschenrechnermarkt (Foto: via Wikimedia - siehe Bildnachweis unten)

Die Commodore-Story – Part II: Irving Gould, Retter und Killer der Company

Eine der schwierigsten Fragen der Commodore-Historie ist, ob und inwieweit Jack Tramiel tatsächlich ein Digitalpionier war, also ob er bei der Transformation seines Unternehmens in eine Elektronik-Company überhaupt eine technische Vision hatte. Betrachtet man den Zeitpunkt und die Umstände des Eintritts in den Markt der elektronischen Taschenrechner, kann die Antwort nur lauten: Nicht im Mindesten! Auch das in Part I bereits zitierte große DATA-WELT-Interview zeigt deutlich, dass Jack Tramiel nie etwas anderes war als Geschäftsmann, als ein Kämpfer, der um jeden Preis SEIN Unternehmen haben und zum Erfolg führen wollte. Vermutlich wäre ihm das auch mit – sagen wir – einer Kette Hamburger-Bratereien gelungen. Aufgrund seiner Ausbildung kannte er sich prächtig mit der Mechanik von Büromaschinen aus, Elektronik war ihm bis zu seinem Lebensende eher suspekt. Dass Commodore überhaupt eine Elektronikfirma wurde, hat die Company ihrem ersten, wichtigsten und letztlich mächtigsten Investor zu verdanken: Irving Gould.

Eines der wenigen offiziellen Fotos von Irving Gould - hier für eine Commodore-Reklame (Foto via commodore.ca)
Eines der wenigen offiziellen Fotos von Irving Gould – hier für eine Commodore-Reklame (Foto via commodore.ca)
Die Geschichte seines Einstiegs bei Commodore International, die im deutschen Sprachraum kaum bekannt ist (was übrigens für Irving Gould selbst auch gilt…), gehört zu den abenteuerlichen, von Zufällen geprägten Epsisoden von Jack Tramiels Firma. Der hatte nach dem Kauf von Willy Feilers Tischrechnerschmiede im Jahr 1962 nichts anderes im Sinn als Wachstum. Damals war Commodore noch so gut wie schuldenfrei. Weil aber um 1964/65 der Absatz der Schreib- und der Addiermaschinen stockte, wollte Tramiel die kanadische Ladenkette Wilson’s Stationers kaufen, um so einen neuen, selbst kontrollierten Vertriebsweg zu bekommen.

Also lieh sich Tramiel drei Millionen kanadische Dollar von Atlantic Acceptance Corporation (AAC), einem 1953 gegründeten Finanzinstitut, das auf Darlehen für Auto- und Immobilienkäufe sowie Kredite an kleine und mittlere Unternehmen spezialisiert war. Commodore sollte sagenhafte 11 Prozent Zinsen zahlen, außerdem sollte AAC drei Direktorenposten im Laden übernehmen. Zu der Zeit vergab AAC eine Reihe hochriskanter Kredite, im Juni platzte eine Transaktion von fünf Millionen CAN$, und die Firma ging pleite. Das in Commodore investierte Geld war ebenfalls futsch, und Tramiel stand ziemlich dumm da.

Die Gruppe "Kraftwerk" brachte sogar einen eigenen Taschenrechner heraus (Foto: via openculture.com - siehe Bildnachweis unten)
Die Gruppe „Kraftwerk“ brachte sogar einen eigenen Taschenrechner heraus (Foto: via openculture.com – siehe Bildnachweis unten)

Auftritt Irving Gould. Tramiel hatte die Ladenkette an der Backe, die er aber noch gar nicht bezahlt hatte. Gould, der als Investor unterwegs war, half Commodore aus der Patsche. Er arrangierte den Weiterverkauf von Wilson’s Stationers an ein US-Unternehmen und kaufte sich mit 400.000 Kanada-Dollars ins Unternehmen ein. Weil die Anteile im Zuge der Krise stark gefallen waren, bekam er so 17 Prozent von Commodore International. Weil die Company in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern immer wieder Liquiditätsprobleme hatte, musste Gould regelmäßig einspringen und hielt schließlich das größte Paket Anteile. Jack Tramiel sprach später gern von dem „Mann, für den ich gearbeitet habe“, wenn er von den Unternehmensentscheidungen der späten Siebziger erzählte.

Auch Irving Gould hatte mit dem technologischen Fortschritt jener Jahre nichts am Hut, er war Finanzier durch und durch, und das wurde Commodore in den Neunzigerjahren zum Verhängnis. Stand 1965 rettete er die Firma zum ersten Mal, und 1971/72 brachte er Commodore dann auf einen prinzipiell nachhaltigen Weg. Tramiels Laden litt zunehmend unter dem Preisdruck von Produkten aus Japan, die in den USA und Kanada immer billiger angeboten wurden. Kostete eine elektrische Schreibmaschine die Siebzigerjahre hindurch fast immer um die 300 US-Dollar, bekam man einen Typewriter aus Japan 1970 auch schon mal für weniger als 100 US-Dollar. Da konnte Commodore nicht mithalten.

Die Patentschrift zu Jack Kilbys Taschenrechner-Design (Abb. via Espacenet - siehe Bildnachweis unten)
Die Patentschrift zu Jack Kilbys Taschenrechner-Design (Abb. via Espacenet – siehe Bildnachweis unten)
Jack Kilby, ein heftig unterschätzter Digitalpionier, hatte ab 1967 bei Texas Instruments (TI) an der Entwicklung einer handtellergroßen, elektronischen Rechenmaschine gearbeitet, erste Prototypen entstanden um 1968/69. Eine Patentschrift wurde im Jahr 1970 eingereicht und 1971 bestätigt. Tatsächlich aber fertigte die kalifornische Firma Compucorp 1969 einen solchen elektronischen Rechner, der aber noch per Kabel mit Strom versorgt werden musste. Bald traten auch die japanischen Firmen Sanyo, Sharp und Canon mit eigenen Entwicklungen in diesen Markt ein. Gould hatte Drähte zu Texas Instrument und erkannte bei einer Japanreise das Potenzial der elektronischen Taschenrechner.

Und so wurde Commodore zu einem Mitspieler in einem rasant wachsenden Markt. Allerdings: Weil es in der Company keinerlei Knowhow in Sachen integrierte Schaltungen gab, musste man die entscheidenden Baugruppen bei TI einkaufen. Und da war man dann schon hintendran am technischen Fortschritt. Denn die Ära der Mikroprozessoren hatte begonnen. Texas Instruments brachte den TMS1000, und Intel entwarf den 4004 für das japanische Unternehmen Busicom, das dann auch den ersten Taschenrechner mit Mikroprozessor baute. 1971 brachte eine Firma namens Bowmar den ersten in den USA für 240 US-Dollar erhältlichen echten Taschenrechner auf den Markt; der beherrschte die vier Grundrechenarten und besaß ein rotes LED mit acht Stellen – dieses Display bezog Commodore dann für seine Maschinchen von Bowmar.

Bowmar-Calculator - einer der frühsten Taschenrechner (Foto: via vintagecalculators.com - siehe Bildnachweis unten)
Bowmar-Calculator – einer der frühsten Taschenrechner (Foto: via vintagecalculators.com – siehe Bildnachweis unten)
1974 war Commodore dann dank Irving Goulds Initiative und Jack Tramiels Organisationstalent ganz dick drin in diesem Geschäft. Man unterbot die Preise der direkten Konkurrenten und eroberte die Märkte in Kanada, Großbritannien und auch Deutschland (hier entstand eine Vertriebspartnerschaft mit dem Versandkaufhaus Neckermann). Aber kaum ein Jahr später hatte die technologische Entwicklung Commodore wieder links überholt. Wieder war es Gould, der den richtigen Riecher hatte und Tramiel auf die neuen Geräte mit CMOS-Technologie aufmerksam machte. Es wurde aber auch Zeit. Dank der eigenen Chip-Herstellung konnte Texas Instruments die Commodore-Preise deutlich unterbieten – und zwar mit Devices, die wesentlich mehr Funktionen besaßen. Das Jahresergebnis 1975 lag – nach 60 Millionen Verkaufserlösen im Vorjahr – bei zwei Millionen Verlust.

Tramiel suchte einen neuen Lieferanten für die integrierten Schaltungen und stieß auf das 1969 gegründete Unternehmen MOS-Technology. Mit deren Chips, die Commodore sehr günstig einkaufen konnte, war man wieder konkurrenzfähig. 1974 waren acht fähige Ingenieure von Motorola zu MOS-Technology gewechselt, unter ihnen Chuck Peddle, was zu einem heftigen Rechtsstreit führte, den sich MOS-Technology nicht leisten konnte. Weil gleichzeitig eine Flut billigster Taschenrechner-ICs aus Japan und auch aus Taiwan nach Nordamerika hinüberschwappte, geriet der Laden in sehr ernsthafte Schwierigkeiten.

Chuck Peddle, der Prozessormagier
Chuck Peddle, der Prozessormagier und Entwickler des 6502 (Foto via Wikimedia)
Erneut getrieben durch Irving Gould kaufte Commodore die Chip-Schmiede im September 1976 für relativ kleines Geld und benannte den Laden in Commodore Semiconductor Group um. Damit war Gould ein Coup gelungen, denn Commodore hatte nun Zugang zum absolut wichtigsten Elektronik-Knowhow dieser Tage. Es war dann Chuck Peddle, der Jack Tramiel im Herbst 1976 davon überzeugte, dass der kommende Zukunftsmarkt von Computern handeln werde. Und so entschied Tramiel, Peddle bei der Entwicklung eines persönlichen Computers freie Hand zu lassen. Ob Gould diese Entscheidung wirklich mit Überzeugung mittrug, ist nicht überliefert.

Der rasante Aufstieg „seines“ Unternehmens überzeugte ihn auf jeden Fall. Gould aber unterschätzte die ungeheure Leidenschaft von Jack Tramiel für „seine“ Firma und hatte einfach nur Dollarzeichen in den Augen, nachdem Commodore mit dem C64 einen ganz eigenen Markt eröffnet und beherrscht hatte. Die Spannungen zwischen Gould und Tramiel wuchsen in den ersten Achtzigerjahren ins Unermessliche, und Leute, die dabei waren, sprechen von einer tiefen Antipathie zwischen den beiden. Jedenfalls verließ der Gründer Jack Tramiel 1984 die inzwischen Commodore Business Machines genannte Company im Streit.

Christian und sein Amiga (Foto: privat)
Weil es Irving Gould an technischem Verständnis mangelte, konnte er die vielen, vielen sinnlosen Entwicklungen im Unternehmen nicht richtig einschätzen. Auch die Entscheidung, ab 1985 ganz auf das Amiga-Team zu setzen, trug er nur mit deutlicher Skepsis. Und doch: Die immer noch rasanten C64-Verkäufe weltweit und der ordentliche Vertriebserfolg des 128ers waren es, die den Wert des Unternehmens stetig steigen ließen. Auch der Markteintritt der ersten Amiga-Modelle 1987 sah gut aus. Allerdings war die Organisation durch zahlreiche Zukäufe und Eröffnen diverser Fertigungsstätten und Entwicklungslabore Ende 1988 eine Katastrophe. CEOs einiger nationaler Töchter führten sich auf wie Landesfürsten, das Geld wurde für Werbung und Messeauftritte aus dem Fenster geworfen – es trat ein, was Jack Tramiel schon 1985 vorhergesagt hatte.

Spätestens ab 1990 lief alles aus dem Ruder. Niederlassungen und Abteilungen konkurrierten miteinander, die Amiga-Entwicklung stockte, die anfangs ordentlich verkauften PC-Kompatiblen wurden zu Ladenhütern, die Umsätze gingen zurück. Irving Gould, damals schon 70 Jahre alt, hatte einen Statthalter namens Mehdi Ali eingesetzt und nahm kaum noch Einfluss auf die Firmengeschicke. Leute, die dabei waren, sagen, dass Gould ab 1990 jedes Interesse an Commodore verloren hatte. Er ließ Ali machen, und der machte vor allem Fehler. Natürlich pochte Gould immer noch darauf, die Profite zu maximieren, eine Forderung, die Ali durch Billigproduktion und Reduzierung von Entwicklungskosten zu erfüllen versuchte. Anfang 1994 ging als erstes Commodore Australien pleite. Im April 1994 wurden alle Entwicklungslabors geschlossen. Während des Frühjahrs suchte Ali Käufer für verschiedene Unternehmensteile – fand aber keine. Und am 19. April 1994 kam das Ende für das Unternehmen Commodore, so wie wir alles es als Computerschmiede kannten und liebten.

Immer wieder spannend, das dreieinhalbstündige Gespräch mit Chuck Peddle, das die Leute vom Computer History Museum führten – natürlich besonders das, was er über Commodore zu erzählen hat:

[Bildnachweis – Titel: via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0; Kraftwerk-Taschenrechner: via openculture.com, unbekannte Lizenz; Taschenrechner-Patent: via Espacenet (Patentsuche); Bowmar-Taschenrechner: via vintagecalculators.com, Lizenz unbekannt; Chuck Peddle: Jason Scott via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 2.0;]

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