Na, wer kennt sie noch, die Napster-App? (Screenshot: Wayback-Machine)

Fast vergessen (15): Was wurde eigentlich aus Napster?

Zwischen dem epochalen Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ des Philosophen Walter Benjamin und der Entwicklung des MP3-Formats ab 1982 liegen nicht einmal 50 Jahre. Allerdings 50 Jahre, in denen sich besonders die Verteilung und Vermarktung von Musik grundlegend verändert hat. Der Weg führte vom Rundfunk und von der Schallplatte geradeweg hin zur flächendeckenden Versorgung der Menschen mit digitalisierter Musik.

Ein Zwischenschritt, dessen Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann, stellt Napster dar, die erste massentaugliche Tauschplattform für Musikdateien. Die Gründer, Shawn Fanning und Sean Parker, waren noch keine Zwanzig als sie Napster im Oktober 1999 offiziell starteten. Genauer: Schon ab Juli oder August des Jahres gab es eine funktionierende Version der Verteil-Software, die von einer verschworenen Gemeinde ausführlich getestet wurde. Am 3. Oktober 1999 wurde die Napster-Website samt Download-Möglichkeit der App freigeschaltet.

Prinzipien der MP3-Komprimierung (Abb.: Wikimedia)
Prinzipien der MP3-Komprimierung (Abb.: Wikimedia)

Da war das MP3-Format beinahe schon ein alter Hut, denn ab Mitte 1998 waren bereits die ersten MP3-Player auf dem Markt – zum Beispiel der legendäre Rio PMP3000 von der für ihre Grafik- und Soundkarten bekannten Firma Diamond Multimedia. Der PMP3000 erreichte Europa nie, aber sein Nachfolger, der Rio 500, war mein erster MP3-Player – den ich Mitte 1999 aber auch nur über Umwege für (soweit ich mich erinnere) gut 600 US-Dollar in den Vereinigten Staaten orderte, was mit eine Menge Lauferei mit dem Zoll bescherte. Übrigens blieb ich den Rio-Playern treu: Meinen Rio Karma aus dem Jahr 2003 habe ich bis etwa 2013 regelmäßig benutzt und besitze ihn noch heute.

Der Rio Karma - einer der besten MP3-Player aller Zeiten
Der Rio Karma – einer der besten MP3-Player aller Zeiten (Foto: privat)

Das Problem für uns Pioniere der MP3-Musik: Wie an digitalisierte Songs kommen? Natürlich gab es schon ab etwa 1992 Software, mit der man dem PC Musik von der Platte oder CD zuführen konnte, die dieser dann in MP3-Dateien umwandelte, aber entweder man digitalisierte im stillen Kämmerlein vor sich hin, oder man kannte einen, der auch aus seiner Platten- und CD-Sammlung fleißig MP3-Dateien verfertigte. Zumal das Internet nicht nur in Deutschland noch ziemliches Neuland war. Denn dass es genial wäre, man könne mit Gleichgesinnten rund um den Globus übers Netz Musik tauschen, lag auf der Hand.

Und es fand auch vor Napster schon statt – in Usenet-Gruppen und über Diskussionsforen. Die Verrückten unter uns, zu denen ich mich auch zählen muss, sammelten alles, was Klang hergab. Andere waren nur an Hits interessierte, und eine besondere Sorte Musikliebhaber machten es sich zur Aufgabe, verschollen geglaubte Aufnahmen, die es nie bis zur CD geschafft hatten, in MP3-Dateien umzuwandeln und entsprechenden Freaks zum Download zur Verfügung zu stellen.

Ein erstes Unrechtsbewusstsein regte sich bei mir erst so um 2000 herum. Den Rechtstreit um Urheberrechte, den Rio-Hersteller Diamond auszufechten hatte, beobachte ich eher gleichmütig. Was taten wir denn anderes als die Teenager der Siebzigerjahre, die jede neu erworbene LP sofort auf Kassette überspielten, um sie auf die eine oder andere Art weiterzugeben? In jener Ära hatten wir Liebhaber der populären Musik ja noch nicht einmal etwas gegen Bootleg-Aufnahmen, also Platten mit illegalen Mitschnitten von Live-Konzerten.

Und so sah Napster als legaler Dienst 2004 aus (Screenshot: Wayback Machine)
Und so sah Napster als legaler Dienst 2004 aus (Screenshot: Wayback Machine)

Und um auf Walter Benjamin zurückzukommen: Uns erschien die unbeschränkte Reproduzierbarkeit von Musik als eine Folge einer Art Naturrechts. Die Entertainment-Konzerne, insbesondere die Plattenfirmen sahen das natürlich anders. Sie erhoben das Urheberrecht zum höchsten juristischen Gut, weil es ja die Basis ihrer Umsätze und – ab etwa 1965 – märchenhafte Gewinne bildete. Bei den Musikanten waren die Meinungen geteilt. Die einen fühlten sich von den Konsumenten bestohlen, die anderen freuten sich über die Beachtung und Wertschätzung ihrer Kunst.

Geschichte wiederholt sich, heißt es, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Seitdem Streaming-Plattformen wie Spotify Milliarden von Usern haben, wird Musik wieder so gut wie kostenlos geteilt, und die Künstler verdienen am Streaming nur noch sehr kleines Geld. Während die einen dies beklagen, weil es an ihrer Existenzgrundlage knabbert, freuen sich andere über die wachsende Popularität und verdienen ihre Brötchen vor allem mit Live-Auftritten. Nebenbei: Das ist der Grund für die zunehmend kostspieligen Tickets für Gigs.

Im Falle von Napster erkannten die Unterhaltungsgiganten die Gefahr recht schnell. Auch, weil man mit dem Thema MP3-Player schon Erfahrung gesammelt hatte. Schon früh im Jahr 2000, also wenige Monate nach dem Start der Plattform, schwappte eine Welle von Klagen über Shawn und John und Sean. Konzerne wie Warner und Sony und Konsorten schickten die RIAA (Recording Industry Association of America), also ihren US-amerikanischen Lobbyverband vor, der Napster in eine Lawine von Einzel- und Sammelklagen einhüllte. Am Ende setzte sich die Industrie durch, im Juli 2001 wurde die Plattform zwangsweise abgeschaltet.

Das Grundprinzip von P2P-Netzwerken (Abb. via Wikimedia)
Das Grundprinzip von P2P-Netzwerken (Abb. via Wikimedia)

Die schiere Existenz von Napster und rund einem Dutzend anderer Plattformen für den Tausch von Musikdateien und die irrwitzig rasch wachsende Akzeptanz durch Musiklieberhaber:innen führten noch vor dem Napster-Ende dazu, dass legale Download-Angebote im Internet auftauchten; manche mit sehr kleinem und/oder hoch spezialisiertem Bestand, andere als Anbieter ganzer Back-Kataloge großer Plattenfirmen. Schon im Januar erschien Apple mit iTunes auf der Bildfläche, im Gepäck ein gewaltiges Programm von überaus populärer Musik. Andere Anbieter folgten im Monatsrhythmus.

Auch Napster selbst machte sich umgehend ehrlich und bot ab 2002 Musikdateien zum legalen Download an, gefördert von einsichtigen Musikern wie Dave Matthews, der seine Aufnahmen exklusiv über Napster anbot. Erfolgreich war diese Reinkarnation der ersten weltweit akzeptierten Musiktauschbörse nicht wirklich, jedenfalls nicht im Vergleich zu den „Großen“ der Branche. Aber bis Mitte 2022 konnte man noch Napster Abonennt:in werden. Und dann kündigte die Firma (mit der Shawn und Sean nichts mehr zu tun haben) Napster 3.0 an.

Das neue Napster 3.0 - eine Ankündigung (Screenshot)
Das neue Napster 3.0 – eine Ankündigung (Screenshot)

Mitte 2022 brachten die derzeitigen Inhaber der Marke ein Paper heraus, in dem sie ein Napster für das Web3 ankündigten. In blumigen Worten priesen sie ein vertieftes, music-only Ökosystem an, das Produzenten, Rechteinhaber und Fans näher zusammenbringen wird. Und das irgendwie mit Hilfe der Blockchain-Technologie. Na ja…

Wenn man etwas über Napster und Shawn Fanning liest, wird in den Texten oft unterschlagen, dass der gute Shawn auch ein P2P-Pionier war, beziehungsweise, dass er mit Napster das erste wirklich große und erstaunlich störungsfreie PCP-Netzwerk in die Welt setzte. Damit stellte er schon 1998 das bis dahin für das Internet geltende System aus Servern und Clients in Frage und machte eine Technologie salonfähig, die heute die Basis für unendlich viele Web-Dienste bildet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert