Jimmy Wales at Wikimania 2015 (Quelle: Wikimedia)

Internethelden (10): Jimmy Wales – die schillernde Persönlichkeit, die uns Wikipedia gab

Hierzulande kennen wir Jimmy „Jimbo“ Wales vor allem, wenn nicht ausschließlich als Wikipedia-Erfinder. Und nur Menschen, die selbst zur Mitmach-Enzyklopädie beitragen oder sich intensiver für Internethelden interessieren, wissen, dass es sich um eine ziemlich schillernde Persönlichkeit handelt. Nachdem er sich offiziell erheblich aus der Wikipedia-Organisation zurückgezogen hat, ist er vor allem als Sprecher auf allen möglichen Veranstaltungen unterwegs, der die Idee vom freien Internet predigt. Dass er das tut, ist Beleg dafür, dass es sich bei der Forderung nach der Freiheit des Internets um eine irgendwie linke oder gar antikapitalistische handelt – im Gegenteil.

Denn Jimbo Wales ist durch und durch ein Libertärer, geschult an der Philosophie der Ayn Rand und den sozio-ökonomischen Thesen des Friedrich von Hayek. Sowohl Rand, als auch Hayek plädieren für einen uneingeschränkten Kapitalismus mit keinen oder nur sehr geringen Eingriffen des Staates. Ja, in der radikalen Ausprägung des Libertarismus wird die Abschaffung des Staates an sich gefordert. Zusammen bilden die verschiedenen Positionen, die schon den sehr jungen Wales geprägt haben, das Fundament für den globalisierten Neoliberalismus. Der stellt das Selbsteigentum über alles und predigt die absolute Selbstverantwortung der Menschen.

Jimmy Wales spricht auf der Wikimania 2018 in Kapstadt (Quelle: Wikimedia)
Jimmy Wales spricht auf der Wikimania 2018 in Kapstadt (Quelle: Wikimedia)
Inspiriert wurde Jimbo sicher von seiner Mutter, die wie ihre Mutter zuvor, eine libertäre Privatschule betrieb, in der jeweils nur vier Schüler den Unterricht nach eigenen Vorstellungen gestalteten. Auch der Sohn war dort Schüler und soll angeblich schon mit vier Jahren fließend habe lesen können. Auch den Highschool-Abschluss machte Wales auf einer nicht-staatlichen Schule. In Huntsville, Alabama, geboren und aufgewachsen, besuchte er eine der wichtigsten Universitäten dieses Bundesstaates, der zum alten Süden der USA zählt. Auf der Auburn University studierte er Finanzwirtschaft. Für ein Promotionsstudium, das er nicht beendete, wechselte er nach Indiana.

Aber 1994 mit 28 Jahren wurde er Händler für Futures und Optionen an der Chicagoer Börse. Er war so erfolgreich, dass er in nur zwei Jahren ein kleines Vermögen (Weniger als eine Million Dollar, wie er immer betont…) erwarb. Jimbo hatte das Glück, sehr früh mit Computern in Berührung gekommen zu sein und die Rechner als willkommenes Werkzeug zu betrachten. Klar, dass er auch die ersten Tage des Internets miterlebte und sich sofort für das weltweite Web begeisterte. Und zwar so sehr, dass er 1996 zusammen mit zwei Partner Bomis gründete, eine Web-Plattform auf der man kostenlos werbefinanzierte Foren zu den Themen Unterhaltung, Sport, Science-Fiction, Erotik und Pornografie nutzen konnte.

Auf diesem Hintergrund wird zunächst kaum verständlich, warum ausgerechnet dieser erzkapitalistische Typ 2000 eine Non-Profit-Organisation für den Betrieb einer jedermann zugänglichen und kostenlosen Enzyklopädie im Web gründete und in die zugehörige Stiftung 500.000 US-Dollar aus dem eigenen Vermögen einbrachte. Deshalb besagt auch eine (durch nichts belegte) These, eigentlich habe Wales die Wikipedia gestartet, um sie – ähnlich wie viele der heute wertvollsten Unternehmen – rasch an die Börse zu bringen und den großen Reibach zu machen; er sei aber zu spät gekommen und wäre mit einer kommerziellen Wikipedia genau in die platzende Internet-Blase geraten. Viel wahrscheinlicher ist der familiäre Einfluss – Pädagogen mit libertären Positionen postulieren auch, dass nur eine umfassende Bildung für Chancengleichheit in nicht regulierten Märkten sorgt und deshalb jedem Menschen zugänglich sein sollte.

CeBIT 2014: Wales erklärt Wikipedia Zero (Quelle: Wikimedia)
CeBIT 2014: Wales erklärt Wikipedia Zero (Quelle: Wikimedia)
Und genau das ist das, was Jimbo Wales seit dem Start der Wikipedia immer wieder vorträgt: Dieses offene, ausschließlich durch die freiwilligen Mitmacher kontrollierte Lexikon im Web soll das Wissen der Menschheit der gesamten Menschheit zugänglich machen. Dieser Ansatz war es auch, der ihn auf die Idee für das (gescheiterte) Projekt Wikipedia Zero brachte. Um auch Menschen in Weltgegenden ohne oder mit kaum brauchbarem Internet-Zugang an der Wikipedia teilhaben zu lassen, sollten die existierenden Artikel ohne Fotos, Grafiken und andere Bildelemente als reiner Text nicht nur über das Web, sondern u.a. auch per SMS abrufbar sein. Die technische Entwicklung im globalen Süden hat die Idee rasch überholt.

Jimmy Wales schillert auch auf andere Weise. 2012 heiratete er in dritter Ehe Kate Garvey, die ehemalige persönliche Assistentin des Ex-Premierministers Tony Blair und verlegte seinen Lebensmittelpunkt ins Vereinigte Königreich. Seit demselben Jahr berät der die britische Regierung kostenlos innerhalb eines Projekts, das Methoden für mehr Transparenz bei der politischen Entscheidungsfindung und für mehr Bürgerbeteiligung bei Gesetzgebungsvorhaben erarbeiten soll. Als einziges Mitglied einer Google-Kommission zum Thema „Recht auf Vergessenwerden“ plädierte er 2014 gegen die von diesem Komitee vorgeschlagenen Schutzmechanismen und berief sich dabei auf das seiner Meinung nach übergeordnete Recht auf Meinungsfreiheit.

Wie so vieles im Leben des Jimbo Wales sind gerade seine in den letzten zehn Jahren oft, öffentlich und gern auch pointiert vorgetragenen Positionen auf den ersten Blick widersprüchlich. Nur wenn man seinen philosophischen und politischen Background kennt und berücksichtigt, ergibt sich das Bild eines Evangelisten des uneingeschränkten Libertarismus.

[Titelbild: VGrigas (WMF) via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0; Wikimania 2018: Alina Vozna via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 4.0; CeBIT: Bernd Schwabe in Hannover via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0]

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