Aaron Swartz bei einer Demo für die Freiheit des Internets

Internethelden (7) John Perry Barlow und Aaron Swartz – der Poet und der Aktivist

Wer heute so im Netz surft und shoppt und socialized, aber vor etwa 1998 noch nicht drin war, kann sich kaum vorstellen, welche utopischen Hoffnungen ein großer Teil der ersten Generation User mit dem Internet verband. Allen Menschen sollte dieses gigantische Netz zur Verfügung stehen, und das Wissen sollte frei über die Knoten flottieren. Ja, bei denen, die sich philosophisch und/oder politisch mit dem Internet befassten, kursierte der Slogan „Information will frei sein!“. Aber wie das so in der weltbeherrschenden, noch andauernden Phase der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist: Alles muss verwurstet werden, nichts ist umsonst. Spätestens mit dem Börsengang von Yahoo im Jahr 1996 wurde auch das Internet, speziell das World Wide Web zur unternehmerischen Kampfzone.

Grateful Dead, John Perry Barlows Familie (Illustration: Matt Panuska)
Grateful Dead, John Perry Barlows Familie (Illustration: Matt Panuska)
Aber die alten Aktivisten fanden sich nicht damit ab. Schon 1996 präsentierte der Poet und Songschreiber der legendären Rockgruppe Grateful Dead, John Perry Barlow, die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace. Darin macht Barlow klar, dass es Nationalstaaten unmöglich sein wird, das Internet zu kontrollieren, deshalb sollten sie sich einfach raushalten. In den sechzehn Artikeln beschreibt er den Cyberspace als Geflecht von Gedanken, Beziehungen und Transaktionen. Da diese Sphäre rein virtuell sei, also nicht materiell, hätten Konzepte wie Eigentum, Identität, Bewegung und (künstlerischer) Ausdruck keine Bedeutung mehr. Insofern sei prinzipiell jede Information, die in den virtuellen Netzen kursiert, frei – sie könne ganz grundsätzlich niemandem gehören.

John Perry Barlow, Poet und Internet-Philosoph, im Jahr 2010
John Perry Barlow, Poet und Internet-Philosoph, im Jahr 2010
Wie man sich denken kann, fußt dieses radikale Manifest in der utopischen Ideenwelt der Hippies und anderer Bewegungen der Siebziger- und Achtzigerjahre, die jedes System ablehnen, das allein auf einer Wirtschaftsordnung basiert, ohne die wahren, spirituellen Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen. Diese Unabhängigkeitserklärung fasst aber auch die gesamte antikapitalistische Denkwelt der frühen Pioniere des persönlichen Computers zusammen. Eine der Bewegungen, die Barlow inspirierte, die dann aber auch seine Ideen aufnahm, war die Open-Access-Bewegung, die ab 1990 die freie Verfügbarkeit ALLER wissenschaftlichen Dokumente forderte, die unter Verwendung öffentlicher Mittel entstanden sind.

Occupy-Wallstreet-Demo im September 2011
Occupy-Wallstreet-Demo im September 2011
Was vor knapp 30 Jahren noch nach unerfüllbarer Forderung klang, ist heutzutage im wissenschaftlichen Publikationsbetrieb Standard. Aber schon in den frühen Nullerjahren spaltete sich ein radikaler Flügel von der Open-Access-Bewegung ab, der jegliches Urheberrecht an jedwedem Inhalt ablehnt und unter anderem das Eigentum an Content dafür verantwortlich macht, dass die Freiheit des Internets immer mehr zur Freiheit der Internetunternehmen geworden ist. Und es war der umtriebige Digital Native Aaron Swartz, der 2008 mit einem Manifest die Guerilla-Open-Access-Bewegung ausrief – also im Jahr der weltweiten Finanzkrise, der Geburtsstunde der Occupy-Aktionen. Im Zentrum des Textes steht der Begriff „Sharing“, also Teilen, und die These „Es ist nicht unmoralisch Wissen zu teilen – es ist eine moralische Verpflichtung!“

Damit gab Swartz allen Bootleggern, Raubkopierern und Betreiber von Sharing-Plattformen, also allen, die schon seit dem Zeitpunkt, an dem die technische Reproduzierbarkeit von Kunst und Wissen die Massen erreichte, Inhalte klauten und/oder illegal verteilten, eine nachträgliche Rechtfertigung. Die Tragik des Aaron Swartz aber liegt wohl darin begründet, dass seine Thesen gleichzeitig die „moralische“ Basis für die Sharing-Economy darstellt und letztlich die umstrittenen Geschäftsmodell sozialer Netze wie Facebook legitimiert. Denn: Wird das Urheberrecht abgelehnt, lässt sich mit dem Verkauf von Content kaum noch Geschäft machen, also müssen Plattformen, auf denen Inhalte kursieren, andere Geschäftsmodelle wählen – zum Beispiel das Schürfen, Veredeln und Verkaufen von Nutzerdaten.

Die Creative-Commons-Plattform (Screenshot)
Die Creative-Commons-Plattform (Screenshot)
Befördert haben Barlow und Swartz (und einige andere) aber die weite Verbreitung von Lizenzmodellen jenseits des US-amerikanischen Copyright-Prinzips oder auch des deutschen Urheberrechts. Gemeint ist natürlich Creative Commons, eine Plattform, die es Urhebern erlaubt, detailliert zu formulieren, wer unter welchen Bedingungen und auf welchem Weg von ihnen erzeugte Inhalte zu nutzen und zu verbreiten.

Aaron Swartz im Jahr 2008
Aaron Swartz im Jahr 2008
Swartz selbst war radikaler Aktivist, hat quasi als (selbsternanntes) Vorbild mehrere Millionen wissenschaftlicher Papiere illegal heruntergeladen und öffentlich verfügbar gemacht, was ihm eine Anklage samt massiver Strafandrohung eintrug. Kurz vor Beginn des Prozesses im April 2013 wählte Aaron Swartz den Suizid und schied freiwillig aus dem Leben. Bekannt ist, dass er chronisch depressiv war; gleichwohl machten einige seiner Freunde und Wegbegleiter die Staatsanwaltschaft für seinen Tod mitverantwortlich. Der fantastische Dokumentarfilm „The Internet’s Own Boy“ hat Aarons Leben und Wirken nachgezeichnet und auch die Ursachen für seinen Selbstmord beleuchtet.

[Titelbild: Alec Perkins via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 2.0; Foto J.P.Barlow: cellanr via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 2.0; Grateful Dead: Matt Panuska via pitchfork.com; Occupy: via Wikipedia; Aaron Swartz: Fred Benenson via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 2.0]

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