The real Donald Trump twittert pausenlos...

Ist Twittern bloß das Leserbriefschreiben der Jetztzeit?

Das Ding, das in der Wikipedia immer noch „Mikrobloggingdienst“ heißt, ist seit Januar 2017 und vielleicht für alle Zeiten untrennbar mit dem Namen des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika verbunden: Donald Trump ist vermutlich der Größte Twitterer aller Zeiten. Nun hat der GröTwaZ dem armen Twitter seinen kurz angebundenen Stempel aufgedrückt und den Dienst nachhaltig verändert – zum Beispiel in Sachen Wirkung. Denn im größten anzunehmenden Unglücksfall könnte er mit zwei, drei Tweets einen Atomkrieg auslösen.

Ob das der Grund ist, weshalb sich politische Führungskräfte anderer Nationen twittermäßig eher zurückhalten oder ihre Nutzung des Dienstes schwer zurückgeschraubt oder gar aufgegeben haben, ist nicht bekannt. Dass sich aber Promis aus den Bereichen Sport und Showbusiness in Scharen von Twitter abgewendet haben und in voller Mann-Frau-Stärke zu Instagram übergewechselt sind, lässt sich nachweisen. Was bleibt also? Oder: Was ist bloß aus Twitter geworden?

So niedlich sah Twitter im Jahr 2007 aus...
So niedlich sah Twitter im Jahr 2007 aus…
Der Verfasser dieser Zeilen legt ein Geständnis ab: Noch 2010 äußerte er öffentlich, dass das, was er zu sagen habe, nicht in 140 Zeichen auszudrücken sei und er deshalb keinen Twitter-Account anzulegen gedenke. Und lag mit der Einschätzung, das Ding werde sich bald so verkrümeln wie Second Life und dergleichen, komplett falsch. Denn die Macher*innen rund um Twitter waren kreativ und fleißig und spendierten dem Dienst eine um die andere Innovation, die dazu führten, dass das 140-Zeichen-Gefängnis gesprengt wurde. Immerhin 330 Millionen User sind weltweit auf Twitter aktiv – also keine Karteileichen.

...und so zehn Jahre später in der Trump-Ära.
…und so zehn Jahre später in der Trump-Ära.
Eine besondere Beziehung entstand zwischen den klassischen Printmedien sowie dem TV und Twitter. Ungefähr ab 2013 hieß es in jeder Redaktionskonferenz: Guck doch mal, was die Twitter-Gemeinde dazu schreibt. Ja, bei den in Sachen Social Media weniger fitten Redakteuren war Twitter gleichbedeutend mit „das Netz“. Das hatte (und hat) viel zu tun mit einer eher unscheinbaren Erfindung, die der Digital-Aktivist Chris Messina den Twitteranern aufs Auge drückte: dem Hashtag. Weil Twitter ab 2009 begann, Begriffe, die von Usern mit einem vorangestellten Lattenkreuz („#“) als Schlagworte gekennzeichnet waren, zu verlinken, konnten Rechercheure mit einem Suchdurchlauf alle Tweets zu einem Thema finden (sofern gehashtagged) und auswerten.

Als Spiegel Online noch Leserbriefe "abdruckte" (1999)
Als Spiegel Online noch Leserbriefe „abdruckte“ (1999)
Eine praktische Sache für Journalisten. Und die User erkannten die Möglichkeiten, die Deutungshoheit über dieses oder jene Thema zu gewinnen. Twitter wurde immer mehr zu einem Instrumente für Leute, die ihre Meinung der Welt kundtun wollen. Was den Autor dieser kleinen Kolumne zu der steilen These veranlasst: Twittern ist das Leserbriefschreiben der Jetztzeit. Denn wer sich mit den passenden Hashtags öffentlich zu einem aktuellen Thema äußert und seine Tweets dabei mit Kreativität und Witz würzt, hat gute Chancen, in vielen der Medien (insbesondere der Online-Ableger klassischer Printmedien) zitiert zu werden. Also genau das, was in den vergangenen rund 150 Jahren (so lange gibt es den klassischen Leserbrief ungefähr) jeder Besserwisser, Klugscheißer und Querulant mit seinen Episteln an die Gazetten erreichen wollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert