Kindle Paperwhite (Foto: Amazon)

Kleine Weltgeschichte der E-Book-Reader – Es gab ein Leben vor dem Kindle…

Mit dem E-Book-Reader, kurz auch eReader genannt, ging es mir wie bitten dem PDA: Als ich von Sonys Data Discman hörte, wollte ich unbedingt einen haben. Die Vorstellung, anstelle eines Koffers voller Wälzer nur ein paar Mini-CD-Roms in den Urlaub mitzunehmen, um dort der Lektüre frönen zu können, faszinierte mich. Tatsächlich wurde das Gerät als „Electronic Book“ beworben, und Bertelsmann brachte tatsächlich ein paar Dutzend Titel für den Data Discman auf dem Markt. Und wäre darunter auch nur einer gewesen, der mich interessiert hätte, wer weiß, ob ich mir 1991 nicht solch ein Device angeschafft hätte.

Der Sony Data Discman von 1990 (Foto: siehe Bildnachweis unten)
Der Sony Data Discman von 1990 (Foto: siehe Bildnachweis unten)

Zwischendurch gab es ein paar obskure Versuche, elektronische Buchleser an den:die Leser:in zu bringen, aber erst das 1999 vorgestellte Rocket eBook erregte wieder meine echte Aufmerksamkeit. Und beinahe hätte ich mir solch ein Ding für fast 1.200 D-Mark bestellt. Als ich es dann aber auf irgendeiner Messe in die Finger bekam, schmolz meine Begeisterung dahin wie eine Eiswaffel im Sonnenschein. Erstens war das LC-Display so mies, dass ich schon nach fünf Versuchsminuten Augenzucken bekam. Zweitens: Das Gerät von der Größe eines kleinen Folianten war schwer, richtig schwer.

Nun lese ich am liebsten im Bett. Und die Vorstellung, das schwere Brett ständig auf den Knien balancieren zu müssen, schreckte mich final ab. Da war ich wohl nicht die einzige Leseratte, der es so ging, denn das Rocket eBook war ein kommerzieller Flop. Zumal es auch nur ganz wenig deutschsprachige Literatur für das Monster gab. Der Hersteller versuchte noch, die Maschine in aufwendigen Verkleidungen, immer bemüht, den Eindruck zu erwecken, es handle sich um ein echtes Buch, für teuer Geld in den Markt zu drücken, aber vergebens.

Das schwere Rocket eBook von 1999 (Foto: siehe Bildnachweis unten)
Das schwere Rocket eBook von 1999 (Foto: siehe Bildnachweis unten)

Wieder kühlten das öffentliche Interesse – und mein persönliches auch – schnell ab. Tatsächlich war es wieder einmal DIE eine technische Innovation, die alles änderte: E-Ink. Die grundsätzliche Idee vom elektronischen Papier ist ziemlich alt, geht auf die Siebzigerjahre zurück und wurde – wen wundert’s – von Rank Xerox vorangetrieben. Ein gewisser Nick Sheridon entwickelte am legendären Palo Alto Research Center (PARC) eine Technologie, die er Gyricon taufte. In einem Gel waren winzige Kügelchen in einem Raster angeordnet. Jede Mikrokugel hatte eine weiße und eine schwarze Seite. Durch gezieltes Anlegen von Spannung ließ sich nun jede einzelne Kugel drehen, aus den auf schwarz gestellten Bällchen entstanden dann Zeichen und sogar Bildchen. Xerox setzte große Hoffnung auf das Prinzip und gründete sogar eine Firma namens Gyricon LLC. Über all die Jahre wurde aber klar, dass sich Kügelchen-Displays nie wirklich kostengünstig herstellen lassen würden; die Firma wurde 2007 endgültig geschlossen.

Das Prinzip der Elektrophorese (Abb. siehe Bildnachweis unten)
Das Prinzip der Elektrophorese (Abb. siehe Bildnachweis unten)

Um es klarzustellen: Diese PARC-Entwicklung zielte zunächst überhaupt nicht auf die Darstellung von Büchern, sondern gehörte in die Xerox-Strategie der Digitalisierung und digitale Weiterleitung von Dokumenten, quasi als nächster Schritt nach der Fernkopie beziehungsweise dem Fax. Der erste, der die Idee eines elektronischen Buches formulierte, war Jacob Josephson, Professor am MIT Media Lab. Ihm war klar, dass es einer Technologie bedurfte, mit deren Hilfe Buchstaben so schwarz auf weiß dargestellt werden wie gedruckt auf Papier. Die Arbeiten des von Josephson geleiteten Teams bauten auf dem Gyricon-Prinzip auf, das sich wiederum an der Elektrophorese orientiert. Vereinfacht geht es bei diesem Prinzip darum, Partikel bis hinunter auf Molekülgröße durch ein elektrisches Feld zu bewegen.

Weil das mit den Kügelchen nicht so gut funktionierte, kam die Josephson-Truppe auf Mikrokapseln. In diesen Mikrokapseln schwimmen elektrisch geladene, weiße Teilchen in einer viskosen Flüssigkeit (zum Beispiel Öl). Im Ausgangszustand schwimmen die weißen Partikel an der Oberseite der Kapsel; werden sie elektrisch angeregt, sinken sie an die Unterseite – die Kapsel erscheint nun schwarz. Josephson und seine jungen Kollegen meldeten 1996 das erste, grundlegende Patent an und gründeten auf dieser Basis 1997 das Unternehmen E Ink Corporation.

Der 9,7-Zoll-Reader Onyx Boox (Foto: siehe Bildnachweis unten)
Der 9,7-Zoll-Reader Onyx Boox (Foto: siehe Bildnachweis unten)

Heute ist die Firma Teil der taiwanesischen E Ink Holding, betreibt nach wie vor Forschung und lebt von den Einnahmen aus der Vergabe von Lizenzen. Alle Produkte, die den Patenten der Company folgen, sind vom Aufbau her gleich: Die Mikrokapseln sind in transparenten Folien eingelagert, die in unterschiedlichen Maßen produziert und dann zwischen Glas- oder Acrylglasscheiben gelegt als Displays dienen. Der Fortschritt der E-Ink-Technologie der vergangenen rund 25 Jahre war gewaltig; praktisch alle zwei Jahre konnte die Auflösung verdoppelt werden, und seit 2008 gibt es E-Ink auch in Farbe.

Die Technik, mit der Text auf ein E-Ink-Display gebracht wird, ist im Vergleich zu der von Tablets relativ simpel. E-Ink-Displays sind sehr langlebig und brauchen sehr, sehr wenig Strom für die Anzeige. Denn wenn sich am Displayinhalt nichts ändert, braucht das zugehörige Gerät gar keine elektrische Energie. Ebenfalls drastisch verbessert hat sich die Latenz; die Zeit, die nach dem Umblättern gebraucht wird, damit eine neue Seite angezeigt wird, ist seit 2007 um den Faktor 120 geringer geworden.

ALLE ernstzunehmenden aktuellen E-Book-Reader arbeiten mit E-Ink. Entscheidend für den Erfolg der eReader war sicher, dass die Hersteller ab etwa 2006 damit begannen, den Displays eine Hintergrundbeleuchtung zu spendieren. Bei den Geräten davor ging es einem wie mit einem stinknormalen Buch: bei zu geringem Umgebungslicht konnte man nicht lesen. Die heutigen Modelle sind samt und sonders unabhängig von externem Licht, aber gleichzeitig dank E-Ink auch in hellstem Sonnenschein gut zu lesen.

Das aktuellste Modell: Amazon Kindle paperwhite (Foto: siehe Bildnachweis unten)
Das aktuellste Modell: Amazon Kindle paperwhite (Foto: siehe Bildnachweis unten)

Und wieder: Hätte es eine vernünftige Auswahl an interessanten Titel gegeben, hätte ich mir im Jahr 2005 mit ziemlicher Sicherheit einen Sony Librié EBR-1000EP für rund 300 Euro gekauft. In Japan verkaufte sich das Ding mit der Auflösung von 800 mal 600 Pixeln bei 170 dpi auf einem 8-Zoll-Display ganz gut, in den USA eher schlecht und in Europa so gut wie gar nichts. Nach Angaben von Sony passten 500 Bücher in den Speicher. Betrieben wurde das Ding mit 4 AAA-Batterien, die für ungefähr 10.000-mal Blättern gut waren. Das Gerät hatte einen Klappdeckel und wurde mit Tasten gesteuert.

Mit der Verfügbarkeit von E-Ink kam es zu einer Welle an Devices, teils von Herstellern, von denen man vor 2004 und nach 2007 nie wieder etwas gehört hat. Denn 2007 war das Jahr, in dem sich alles änderte. Amazon brachte den Kindle auf den Markt. War ja klar, dass Jeff Bezos interessiert auf diese Geräteklasse schielen würde, denn damals war Amazon ja noch in erster Linie ein Onlinehandelshaus für Bücher und CDs. Und das Erschließen neuer Vertriebskanäle war immer schon Jeffs Hobby. Ganz ähnlich wie Steve Jobs sondierten die Amazonen den Markt und waren von den existierenden E-Book-Readern nicht überzeugt. Also ließ man einen eigenen eReader entwickeln und bauen.

Seitdem ist die Kindle-Welt ein eigenes E-Book-Universum, denn jeder Kindle ist an das Amazon-Buchangebot gebunden. Seitdem zerfällt die E-Book-Welt eben auch in die Amazon-Hemisphäre und den Rest. Dieser Rest hatte und hat auch sein eigenes Format: EPUB (ein Akronym für „electronic publishing“). Das basiert auf einem offenen Standard der mittleren Neunziger und wurde 1999 in der Version 1.0 veröffentlicht. Nach einigen Änderungen brachte die Version 2.0 dann 2007 den Durchbruch. Aus Textdokumenten ein EPUB-Dokument zu machen, ist heutzutage unaufwändig und über Onlinedienste problemlos zu realisieren.

Tolino Epos 3: Das Spitzenmodell (Foto: siehe Bildnachweis unten)
Tolino Epos 3: Das Spitzenmodell (Foto: siehe Bildnachweis unten)

Inzwischen stellen die allermeisten Verlage bei fast allen neuen Titeln auch eine EPUB-Version als E-Book her, die dann online gekauft und downgeloadet werden kann. Beim Kindle geschieht das über den E-Book-Reader selbst, bei allen anderen Geräten kann man ein elektronisches Buch auch herunterladen und mit einem geeigneten Tool (zum Beispiel Calibri) selbst auf den eigenen eReader ziehen. In Deutschland haben die großen Buchhandelsketten (unter anderem Thalia und Hugendubel) ein eigenes Ökotop eingerichtet. Unter dem Markennamen Tolino (ehemals auch Kobo) gibt es nicht nur eine Palette an Geräten, sondern auch einen eigenen Onlinebuchshop.

Bei Amazon werden aktuell (Stand: Oktober 2023) acht verschiedene Kindle-Reader mit unterschiedlichen Displays, Größen und Funktionsumfängen zu Preisen zwischen 90 und 450 Euro angeboten. Bei Tolino sind es zurzeit vier Geräte, die zwischen 90 und 170 Euro kosten. Von PocketBook gibt es zwei Modelle für ca. 130 und um die 220 Euro. Und dann ist da noch der luxuriöse Boox Nova für über 300 Euro. Wer jetzt erst ins Lesen per E-Book-Reader einsteigt, muss sich entscheiden, ob er sich von Amazon abhängig machen will oder nicht. Die konkrete Auswahl des richtigen Gerätes – dies als ganz dringende Empfehlung – sollte man in jedem Fall von einem Hands-on-Test abhängig machen, also ganz real mal diesen oder jenen E-Book-Reader testen – zum Beispiel bei Freunden. Ansonsten kann man mit den preiswertesten Geräten der Marken Kindle und Tolino auch nicht viel falschmachen.

Calibri: Damit kommen die Bücher auf den eReader (Screenshot)
Calibri: Damit kommen die Bücher auf den eReader (Screenshot)

Großartige Innovationen sind im Bereich der E-Book-Reader kaum zu erwarten. Im Bereich der Belletristik und der Sach- und Fachbücher sind die Standards gesetzt. Ein wenig Bewegung könnte noch in Sachen Farbe kommen, zumal der Hang zu bunten Kinderbüchern und bunten Bildbänden auch in die E-Reader-Welt schwappt. Bei diesem Thema bin ich altmodisch: Bücher mit Bildern habe ich am liebsten in der guten, alten gedruckten Form.

[Bildnachweis – Sony Data Discman: Michael Lawrie via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DEED; Onyx Books: Medvedev via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DEED; Kindle Paperwhite via Amazon]; Tolino Epos 3: via goodreader.com; Elektrophorese: Senarclens via https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Electrophoretic_display_001.svg unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DEED;]

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