Internethelden (16/17/18): Cerf, Kahn und Postel – die Netzgroßväter mit den Detailerfindungen

Ja, gut, Otto und Lise Normalsurfer:in müssen nicht wissen, wie genau das funktioniert mit dem Datenverkehr im Internet. Aber uns Digisaurier, die wir gern an die Wurzeln gehen, sollte das schon interessieren. Vor allem, wenn man bedenkt, wie lange eine Handvoll kluger Köpfe an diesem Thema geforscht und entwickelt haben. Denn es ist keineswegs trivial, den Datenaustausch über Telefonleitungen zwischen völlig unterschiedlichen Systemen zu organisieren. Gebraucht werden Protokolle, also Regeln, die bestimmen, wie diese Daten aufgeteilt werden und eindeutig identifiziert werden können. Drei Personen waren an dieser Entwicklung federführend beteiligt: Robert E. Kahn, genannt Bob, Vinton G. Cerf, genannt Vint, und der 1998 viel zu früh verstorbene Jonathan B. Postel, genannt Jon.

Der Zustand des ARPAnet im Jahr 1984 (Abb. via scihi.org)
Der Zustand des ARPAnet im Jahr 1984 (Abb. via scihi.org)

Im Oktober 1969 startete das legendäre ARPAnet, die Urmutter dessen, was wir heute Internet nennen. Die Idee war, die Großrechner verschiedener US-amerikanischer Universitäten und Forschungseinrichtungen miteinander zu verbinden. Das Grundproblem: Rechenzeit war knapp und teuer und ungleichmäßig verteilt. Da konnte es passieren, dass ein junger IT-Student mehrere Wochen warten musste, um ein von ihm geschriebenes Programm testen zu können. Könnte dieser Forscher, statt das ausgebuchte Elektronenhirn seiner Uni nutzen zu müssen, auf einen Rechnersystem einer anderen Institution mit freien Ressourcen zugreifen, ließen sich viele Aufgaben drastisch beschleunigen.

Dass man Daten ganz grundsätzlich über Telefonleitungen übertragen konnte, wusste man schon seit den späten Fünfzigerjahren. Allerdings arbeiteten die Großrechner jener Zeit mit unterschiedlichen, teils proprietären Systemen. Es ging also darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Basis für den erwünschten Datenverkehr waren die Paketvermittlung und das Paket-Switching, das Paul Baran und Donald Davies Anfang der Sechziger erfunden hatte. Ihnen ging es darum, Daten verschicken zu können, ohne dass spezialisierte Switches an fest definierten Knoten die Vermittlung übernahmen. Eigentlich war das schon der Durchbruch, weil diese Entdeckung Netze aus autonomen Systemen überhaupt erst ermöglichten.

Als sich Mitte der Sechziger das US-Militär für das noch nicht in Betrieb befindliche Arpanet interessierte, kam Bewegung in die Sache. Das Interesse der Streitkräfte war ähnlich gelagert wie das der Forschungseinrichtungen, denn auch an verschiedenen Standorten des Militärs gab es Großrechner, die man gerne vernetzen wollte. Nun also die Frage nach den Protokollen

Das Schichtenmodell des TCP/IP (Abb. via Microsoft)
Das Schichtenmodell des TCP/IP (Abb. via Microsoft)

Vint Cerf und Bob Kahn hatten mit der Entwicklung des Transmission Control Protocols (TCP) bereits vor dem Start des ARPAnet begonnen und konnten eine brauchbare Version des Protokolls 1973 vorstellen. Ihr Verdienst ist aber nicht nur die Definition des TCP an sich, sondern die Idee, es in mehrere Schichten aufzuteilen, von denen jede eine ganze bestimmte Aufgabe zu übernehmen hat. Bis heute ist dieses Protokoll die Basis für jede Form des Datenverkehrs im Internet. Heute spricht man verkürzenden vom TCP/IP, wobei das Internet Protocol (IP) die Basis für das Adresswesen im Internet bildet und unmittelbar am TCP andockt.

Picture of Jon Postel from http://www.postel.org/pr.htm ([http://www.postel.org/images/usc-postel-photo.jpg actual picture]) License: ''Photo by Irene Fertik, USC News Service. Copyright 1994, USC. Permission granted for free use and distribution, conditioned upon inclusion of attribution and copyright notice.
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Standardisiert war das TCP von 1973 noch lange nicht. Im Umfeld der IT-Forschung existierte aber bereits ein System, mit dessen Hilfe die Standardisierung verschiedener Dinge vorangetrieben wurde: RFC – Request for Comments nennt es sich. Wer beispielsweise ein Protokoll wie TCP entwickelt hat, veröffentlicht dieses und bittet eingeladene Kolleg:innen um Kommentare dazu. Das RFC zum Internet ist möglicherweise das interessantes Dokumentenwerk der gesamten Informationstechnologie. Und der Hüter dieses RFC war fast 30 Jahre lang ein gewisser Jon Postel.

Großrechner im Jahr 1959 (Foto via schockwellenreiter)
Großrechner im Jahr 1959 (Foto via schockwellenreiter)

In den Zeiten als es noch kein wirklich funktionierendes Datennetz gab, existierte ein RFC-Dokument in der Regel als Schreibmaschinenskript, manche Kolleg:innen lieferten aber auch handschriftliche Notizen, und Jon machte es sich zur Aufgabe, diesen Input sauber zu dokumentieren. Erst das RFC 793 von 1983 führte zur allseits anerkannten Standardisierung des TCP. Die beteiligten Forscher:innen nutzten das RFC aber auch zum Austausch von anderen Dingen – legendär die hier veröffentlichten Aprilscherze. Und auch die Nachricht vom Tod des Jon Postel wurde als RFC 2468 bekanntgegeben.

Unterschiedlicher als Kahn und Cerf einerseits und Postel andererseits können Menschen kaum sein. Während die beiden Erstgenannten durchweg als seriöse Forscher mit Schlips und Kragen auftraten, war ausgerechnet der strenge Ordnungshüter des RFC ein Typ wie ein Späthippie mit langem Bart und lässiger Kleidung. Zusammen mit Paul Baran und Donald Davies aber zählen Bob Kahn, Vint Cerf und Jon Postel zu den Forschern, ohne die es das Internet nicht geben würde.

Ein Gedanke zu „Internethelden (16/17/18): Cerf, Kahn und Postel – die Netzgroßväter mit den Detailerfindungen“

  1. Lieber Christian,

    ich möchte einfach mal Danke sagen für diesen Blog und die vielfältigen Themen, über die du schreibst. Ich weiß nicht mehr, wie und wann ich auf deine Seite stieß und seit wann du meinen RSS-Reader befüllst, aber ich erinnere mich, dass ich als Jugendlicher immer sehr gerne „neues“ in 3sat gesehen habe. Ich lese deine Anekdoten sehr gerne und freue mich immer über jeden neuen Post hier. Danke!

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