Echte Kunst mit Windows 7 Paint (Grafik: Ahmet Broge)

Kleine Weltgeschichte der Malprogramme – Von MS Paint bis GIMP

Ach, was sind wir Digisaurier doch so vergesslich. Oder, wer unter uns Veteran:innen erinnert sich noch an die Aufregung als wir zum allerersten Mal ein Bild auf dem Computer malten? Also, so mit der Maus und virtuellen Stiften und Pinseln; monochrom selbstverständlich. Die Ergebnisse sahen in der Regel weniger schön aus als das, was Kindergartenkinder mit Fingerfarben auf Papier zaubern. Und anfangs natürlich nur in Schwarzweiß. Wer sich heute umschaut, findet im Internet wahre Kunstwerke, die mit altgedienten Malprogrammen wie MS Paint erzeugt wurden – wie das Titelbild von Ahmet Broge oder die netten Paint-Grafiken von Birgit Wiedenhöft. Und dann sind da noch die Profi-Grafiker, die alles aus dem Adobe Illustrator holen…

Basis dafür, dass wir in die Lage versetzt wurden, auf dem Bildschirm zu malen ist die Erfindung der Rastergrafik, meistens Pixelgrafik genannt. Und die ist uralt, wurde also spätestens im Hochmittelalter erfunden. Da vertrieben sich gelangweilte Burgfräuleins die Zeit bis der Ritter vom Raubzug zurückkam mit Stickereien. Auf den Rahmen wurde ein Stück Gewebe gespannt; dorthinein setzten die edlen Damen dann Kreuzstich für Kreuzstich, zogen also einen Faden durch den Stoff, versetzten die Nadel um 90 Grad, um den Faden an der Vorderseite wieder erscheinen zu lassen, der so ein Kreuz bildet. Das war dann ein Bildpunkt.

Die gute, alte Kreuzstichstickerei - Rastergrafik aus dem Mittelalter (Foto: public domain)
Die gute, alte Kreuzstichstickerei – Rastergrafik aus dem Mittelalter (Foto: public domain)

In der Regel besaß die Stickerin eine Vorlage, also eine Zeichnung auf Papier. Die hatte sie mit einem Raster(sic!) aus Linien in gleich große Kästchen aufgeteilt. In jedem dieser Kästchen war entweder ein farbiges Quadrat zu sehen oder nichts. Das Prinzip wird klar: 1 (Farbe) oder 0 (nichts). Über die Jahrhunderte fand die Kreuzstichmethode als Hilfsmittel in der Malerei Anwendung, zum Beispiel, um eine Vorlage maßstabsgerecht zu vergrößern. Freiluftkünstler nahmen Rahmen mit, die durch horizontal und vertikal gespannte Drähte ein Raster vor dem abzumalenden Motiv bildeten. Dass die Sache auf dem digitalen Grundprinzip beruhte, machte die Übertragung auf den Computer einfach – die Methode kam zuerst beim Kathodenstrahlbildschirm und beim Nadeldrucker zum Einsatz. Die Fläche des Monitors wurde in ein Raster aus gleichgroßen Bildpunkten zerlegt, von denen jeder eine Speicheradresse besaß – man nennt dies eine Bitmap. Stand eine 1 an dieser Stelle, gab es einen Leuchtpunkt, wenn Null, dann nicht.

MacPaint, die Mutter aller Malprogramme (Screenshot via computerhistory.org)
MacPaint, die Mutter aller Malprogramme (Screenshot via computerhistory.org)

Das ganze Thema der grafischen Benutzeroberflächen, das Mitte der Siebzigerjahre ausgehend vom Xerox-PARC die Welt eroberte, beruhte auf dieser Idee. Und so nimmt es nicht weiter wunder, dass es von Beginn an (1984) ein Malprogramm namens MacPaint gehörte, das für den stolzen Preis von knapp 200 US-Dollar zu haben war. Das hat der großartige Bill Atkinson ungefähr 1982 in Pascal geschrieben, und zwar so effizient, dass die Programdatei nur rund 8.500 Zeilen umfasste. Natürlich hatte es zuvor schon Versuche gegeben, Malprogramme auf die Menschheit loszulassen, aber keines war so konsequent auf die Benutzung mit der Maus ausgelegt. Vor allem: Atkinson hatte ein Dateiformat erfunden, dass es möglich machte, mit MacPaint gemalte Bilder in anderen Anwendungen zu verwenden.

MS Paint lebt immer noch - hier als App in Windows 10 (Screenshot: DS)
MS Paint lebt immer noch – hier als App in Windows 10 (Screenshot: DS)

Seien wir ehrlich: Beinahe alle Malprogramme, die seit 1984 für das eine oder andere Betriebssystem rauskamen, haben die von Atkinson entwickelten Prinzipien kopiert. Dass man zum Beispiel ein Malgerät (Pinsel, Stift, Spraydose etc.) und eine Farbe oder ein Muster dafür auswählen kann, um dann drauflos zu malen. Das Füllwerkzeug gab es schon in MacPaint, den Radierer, den Auswahlrahmen, automatische geometrische Formen und so weiter. Fortschritt war (und ist) also nur im Detail möglich. Der wichtigste Schritt in der Weltgeschichte der Malprogramme war sicher der hin zur Bildbearbeitung, besonders zur Bearbeitung von digitalen Fotos – wie er von Adobes Photoshop gegangen wurde. Fast alle Vertreter dieser Gattung wiesen heutzutage zumindest rudimentäre Werkzeuge dafür auf.

Das legendäre Deluxe Paint - damals ein Quantensprung (Screenshot via computerhistory.org)
Das legendäre Deluxe Paint – damals ein Quantensprung (Screenshot via computerhistory.org)

Wem die Adobe-Produkte Photoshop und Illustrator zu teuer sind oder wer die rigide Software-Miet-Politik des Herstellers nicht mitmachen will, findet im Open-Source-Programm GIMP eine ziemlich gleichwertige Alternative. Aber: Wer GIMP anwendet, wird sich manchmal nach einem richtig einfachen Malprogramm sehnen. Kein Problem, Windows-User haben seit Win7 wieder das gute, alte Paint an Bord, seit Windows 10 natürlich als App. Diese Anwendung fühlt sich an wie ein lieber alter Pantoffel, wer lange dabei ist, erinnert sich an Windows-3.11-Zeiten; mehr als das, was Paint kann, braucht man eigentlich nicht für kleine Krakeleien und grafische Skizzen.

MyPaint, die Open-Source-Alternative für Profis (Screenshot: mypaint.org/DS)
MyPaint, die Open-Source-Alternative für Profis (Screenshot: mypaint.org/DS)

Genau zwischen diesen beiden Polen – hier Photoshop und GIMP, da MS Paint – bewegt sich das Angebot an Malprogrammen. Hervorheben kann man den Corel Painter, der vom Sketcher für den Mac abstammt und für ernsthaftes Arbeiten ein Grafiktablet voraussetzt – dann ist er eine absolute Profilösung. Die große Ausnahme bildet Tux Paint, ein Programm, das konsequent für Kinder entwickelt wurde, deshalb eine für Erwachsene ungewohnte Oberfläche bietet, aber von Kids ganz intuitiv benutzt wird. Geheimfavorit der Nerds ist aber MyPaint, eine Open-Source-Lösung, die für Linux, Windows und MacOS vorliegt und den oben erwähnten Profianwendungen kaum nachsteht.

Tux Paint, das Malprogramm speziell für Kinder (Screenshot: DS)
Tux Paint, das Malprogramm speziell für Kinder (Screenshot: DS)

Nachdem Malprogramme auf Desktop-PCs und Notebooks über die Jahre ein wenig aus dem Fokus des Interesses verschwunden sind, haben sie mit der Einführung des iPads, also der Tablets, eine Renaissance erlebt. Denn es fühlt sich eben beinahe natürlich an, mit einem Stift in der Hand auf der waagerecht gelegten Oberfläche eines solchen Flachcomputers zu malen und zu zeichnen. Die Anwendungen sind dieselben, aber die Zahl derjenigen, die sich die digitale Malerei als Hobby auserkoren haben, wächst wieder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert