So richtig klar war mir in jenen Jahren nicht, welchen Berufsweg ich einschlagen sollte. Mit dem Examen an der Kunstakademie allein konnte ich nichts anfangen, und mein Sekretärinnendiplom hätte mir bestenfalls eine Karriere als Verwaltungsangestellter eingetragen. Und eigentlich wollte ich nur eines: schreiben. Das peilte ich ja schon seit 1979 an. Erste Erfahrungen hatte ich im Feuilleton der Rheinischen Post mit Filmkritiken und beim Stadtmagazin „Überblick” mit Reportagen gemacht. Anfang 1984 fiel mir dann der Katalog des Düsseldorfer Unternehmens Data Becker in die Hand. „Data Welt” nannte sich das DIN-A5-Heftchen im dunkelroten Umschlag mit der Anmutung einer Schülerzeitung. Darin fand sich neben den Liste der Hard- und Software, die man auch im Ladenlokal an der Merowingerstraße kaufen konnte, eine Reihe kurzer Artikel unter dem Stichwort „Tipps & Tricks”. Das Highlight stellte aber der Leitartikel des Herausgebers Dr. Achim Becker dar, in dem er ein buntes Panorama der Homecomputerzukunft entwarf. Und genau in dieser Ausgabe hatte man eine Anzeige platziert, die besagte: „Wir suchen Computerfreaks, die schreiben können.”
Darüber regte ich mich schrecklich auf und verfasste einen Brief an die Verlagsleitung, die es damals schon gab, obwohl dieser Verlag bis dahin erst diese Katalog und drei oder vier schmächtige Bücher zum C64 herausgebracht hatte. „Sie sollten,” schrieb ich, „lieber Journalisten suchen, die schreiben können und trotzdem was vom Computer verstehen!” Ein paar Tage später rief mich jemand von Data Becker an und vereinbarte einen Termin. Ausgerechnet am Altweiberdonnerstag des Jahres 1983 lief ich an der Merowingerstraße auf. Data Becker füllte mit seinem Laden etwa ein Viertel der Erdgeschossfläche im modernistischen Bau, den der Mann, den sie „Auto” nannten in den Siebzigerjahren dort hatte errichten lassen. Später lernte ich, dass Wilhelm „Auto” Becker und mehr noch sein eitler Sohn Helmut sich ein wenig übernommen hatten und ganz froh waren, dass die jüngeren Brüder Achim und Harald nicht nur ein eigenes Unternehmen namens „Data Becker” gegründet hatten, sondern ihnen auch noch die Verantwortung für eine Menge unnützer Fläche abnahmen.
Man betrat den Laden durch ein schmales Türchen. Geradeaus war die Verkaufstheke samt Kasse aufgebaut, und dort wurde mir der Weg gewiesen. Links neben dem Eingang befand sich der Zugang zum engen Treppenhaus, das in die erste Etage führte. Dort war nicht viel davon zu erkennen, dass hier an einem Zukunftsmarkt gearbeitet wurde. Im nur unzureichend mit Stellwänden gegliederten ehemaligen Ausstellungsraum für Pkw standen ein paar Schreibtische auf dem gefliesten Boden. Ganz hinten in der Ecke wurde gerade ein bisschen Karneval gefeiert. Dann kam Claus Wagner, der Verlagsleiter, begrüßte mich und führte mich zu seinem Büro. Rechter Hand gab es einen Durchgang und zwei durch deckenhohen Falttüren abgeteilte Räume, die früher für Verkäuferschulungen und Präsentationen genutzt wurden. Dann öffnete Claus eine schwere Metalltür, und wir standen in der Verkaufsetage für Luxuskarossen. Um das ganze autogerecht zu halten, war dieser Teil ein Halbetagen aufgeteilt, die mit Rampen verbunden waren. Und eine halbe Etage tiefer, zum Innenhof gelegen, fand sich eine Reihe von Verkäuferboxen mit Fenstern in den dünnen Holzwänden. Dort unterhielten wir uns. Ich hatte den Eindruck, dass mein Einwand bei Claus Wagner auf fruchtbaren Boden gefallen war, denn nach wenigen Minuten meinte er, wir sollten doch gleich mal mit dem Chef sprechen. So lernte ich gleich auch den Gründer und echten Computerfreak Dr. Achim Becker, von seinen Leuten gern „Doc” genannt, kennen. Der saß in einer Box doppelter Größe, die mit einer Jalousie versehen war, hinter seinem Schreibtisch – leicht gebeugt, wie es hochgewachsene Kerle oft tun. Braungebrannt war er, denn die Beckers waren bekannt dafür, mit dem ganzen Clan zusammen im Frühjahr Ferien auf Teneriffa und im Sommer auf Sylt zu machen. Ich erinnere mich noch genau an seinen prüfenden Blick und die recht hohe Stimme, die fragte: „Und, was machen wir jetzt mit Ihnen?”
Es entspann sich ein lockeres Gespräch zu dritt über den Homecomputer, über die Zukunft, über Computerbücher und -zeitschriften. Zwischendurch kam eine dürre Frau mit lustigem Mützchen, offensichtlich schon leicht besäuselt, rein und wollte mir die nicht vorhandene Krawatte abschneiden. Sie hatte eine brennende Kippe in der Hand, was den Doc ziemlich wütend machte. Also schob sie ab. Schließlich die Frage: „Überlegen Sie sich was. Dann reden wir darüber.” Ich zog mit Claus Wagner ab, und der sagte auf dem Rückweg leichthin: „Wollen Sie nicht ein Buch für uns schreiben?” – „Klar,” antwortete ich ohne die geringste Idee zu haben, worüber ich schreiben sollte und wie das vonstattengehen sollte. Auf dem Heimweg kam mir dann der Einfall: Es sollte ein Buch sein für die Leute, die sich so einen C64 gekauft hatten und nicht die leiseste Vorstellung davon hatten, was man damit anfangen könnten. Ideen würde ich aufschreiben. So entstand das Konzept für „Das Ideenbuch zum C64“. Weder besaß ich einen solchen Brotkasten, noch hatte ich auch einen Hauch von Wissen über Hard- und Software.
Dann hatte ich wieder einen Termin mit Claus Wagner, der das Konzept umstandslos akzeptiert hatte. Ich unterschrieb einen Vertrag, der mir ein ordentliches Garantiehonorar einbrachte, und dann gingen wir in den Laden, wo wir mit Hilfe von Verkaufsleiter Ralf Wimmershoff eine Komplettausstattung C64 zusammenstellte, die ich auf Leihbasis gestellt bekam. So entstand das sechste aller Data-Becker-Bücher in knapp zwei Monaten, in denen ich jede freie Minute damit verbrachte, mich in dieses merkwürdige Betriebssystem einzuarbeiten und das Programmieren in Basic zu erlernen. Das ergab ein sehr lebensnahes Manuskript, denn jedes Kapitel spiegelte exakt meinen jeweiligen Wissensstand wieder.
Wer die ersten Data-Becker-Bücher kennt, weiß, dass die Druckfahnen mit dem Nadeldrucker gefertigt wurden. Die Fahnen wurden dann abgefilmt, um daraus dann Druckvorlagen zu erzeugen. So erschien ich irgendwann im Mai oder Juni wieder an der Merowingerstraße, im Gepäck eine Diskette mit dem Manuskript. Eine freundliche Helferin führte mich in einen dieser Falttürenräume, wo auf Bürotischen eine komplette C64-Ausrüstung samt Epson-Drucker stand. Hier, so die junge Frau, könne ich das Buch ausdrucken. Endlospapier und Farbbänder seien reichlich vorhanden. Leider hatte ich zuhause nie etwas ausgedruckt. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie das ging. Hilfe war nötig. Im zweiten Falttürenraum, in den ich einen Blick warf, werkelten zwei Jungs an drei oder vier 64ern mit entsprechend vielen Bildschirmen. Auf dem einen Tisch standen leere Bierflaschen, es lagen leere Chipstüten herum, und die Burschen unterhielten sich auf eine Weise, dass ich nichts verstand. Später stellte sich heraus, dass es sich um Wolfgang Schellenberger und Michael Tischer handelte, die gerade dabei waren, eine in Maschinensprache geschriebene Anwendung zu debuggen. Es war vermutlich Wolfgang, der mir dann in Strümpfe half…
(Zuerst erschienen in der Rainer’schen Post, dem Allzweck-Blog von Rainer Bartel)