Der Sinclair ZX81 - der Computer, der am TV hing

Komma acht, Komma eins – oder: Eine kleine Historie der frühen Computerjahre (2)

Dann war das Buch gedruckt und lag stapelweise im Verkaufsraum herum. Ich war so stolz als hätte ich meinen ersten Roman veröffentlicht. Hätte ich gewusst, dass diesem „Ideenbuch” über die Jahre fast einhundert weitere Titel folgen würde, wäre ich gelassener gewesen. Dann hatte ich einen Termin mit Dr. Achim Becker. Wieder saß er braungebrannt und leicht gebeugt hinter seinem Schreibtisch, und wieder unterhielten wir uns über Trends und Technik, über Männer und Maschinen und wohin der ganze Markt wohl unterwegs ist. „Tja,” sagte er zum Schluss, „und was machen wir jetzt zusammen, außer dass wir Ihre nächsten Bücher verlegen?” Auf diese Frage hatte ich gewartet und eine Antwort vorbereitet: „Wie wär’s,” gab ich zurück, „wenn wir aus diesem kleinen Katalog namens Data Welt eine richtige Computerzeitschrift machen?” Damit hatte ich den Hauptpreis gewonnen, denn angesichts des überschaubaren Angebots von zwei Magazinen deutscher Sprache zum Thema Homecomputer hatte der Doc auch schon darüber nachgedacht. Und so kam es, dass ich Chefredakteur der Data Welt wurde, die der Chip und der Computer persönlich Konkurrenz machen sollte.

Man wird sich vorstellen können, dass mein neuer Job so etwas wie eine Traumerfüllung darstellte: eine Zeitschrift machen! Ich sah mich schon als Großjournalist, als Blattmacher, als den Chefredakteur, der die Computerzeitschrift an sich revolutioniert hatte. Stand aber in der schnöden Realität des Jahres 1984 im Hause Data Becker an der Merowingerstraße in Düsseldorf vor ganz banalen Problemen. Eines davon bestand darin, dass ich ja überhaupt keine Erfahrung mit der Produktion einer regelmäßig erscheinenden Zeitschrift hatte. Gut, die paar Jahre im Umfeld des „Überblick” hatten mich in den Redaktionsalltag reinriechen lassen, weil ich dort aber immer nur als Reporter oder Nachrichtenspringer tätig gewesen war, war dabei mehr als eine Geruchserinnerung nicht entstanden. Eine wie auch immer geartete Infrastruktur gab es bei Data Becker natürlich auch nicht. Beziehungsweise: Es gab eine, die für die Produktion des DIN-A5-Katalogheftchens zusammengestoppelt worden war.

Und das Zusammengestoppelte sah man der ursprünglichen „Data Welt” auch an. Das Cover im eher weindüsteren Rot versehen mit schreierischen Überschriften in Weiß sollte Käufer locken. Der Inhalt bestand aus faksimilierten Fahnen aus dem Nadeldrucker mit ein paar eingestreuten Fotos in Briefmarkengröße. Die kleine „Data Welt” neben die schon damals enorm professionell produzierte „Chip” zu legen, führte bei mir zu tiefen Depressionen. Wären da nicht die beiden festangestellten Grafik-Designer der Firma Data Becker gewesen: Cäcilia „Ceci” Jordan und Matthias Ziert. Die hatten sich im Mangel eingerichtet und strickten mit Bordmitteln unermüdlich Buchcover, Werbemittel, die „Data Welt” und alles weitere, was sonst so an Drucksachen beim Homecomputerpionier gebraucht wurde. Den beiden Schätzchen übergeordnet war die Abteilungsleiterin für Propaganda und Reklame; eine spindeldürre, nervöse und ständig umher wieselnde Dauerraucherin, die es schaffte, in jedem Aschenbecher im Umkreis von 50 Metern eine weiter vor sich hin qualmende Kippe zu hinterlegen und diese nach und nach wegzuquarzen. Alicia Clees hieß sie und war wenig erfreut von der Sonderrolle, die ich als fester freier Mitarbeiter einnehmen sollte.

Denn der Vertrag, den ich mit Dr. Becker geschlossen hatte, besagte, dass ich für den gesamten Inhalt (Text und Bild), die Reinzeichnerei und die Produktion von mindestens drei Ausgaben der „Data Welt” pro Jahr verantwortlich zu zeichnen hätte und dafür mindestens je 5.000 DM bekommen sollte. Das „mindestens” bezog sich auf den zu Anfang völlig unvorstellbaren Fall, dass Verkaufs- und Anzeigenerlöse einen Überschuss ergeben würden. Dann, so hatten wir besprochen, würde ich am Gewinn beteiligt. Nun waren schon Mitte der Achtziger 15.000 DM pro Jahr kein wirklich hoher Honorarumsatz für einen Freiberufler; für mich war es jedoch im hohen Alter von 32 Jahren das bis dahin höchste garantierte Jahreseinkommen meines Lebens. Zumal ja noch die Tantiemen aus dem Verkauf meiner Bücher kommen würden. Wenige Monate zuvor hatte ich mir Briefpapier und Visitenkarten mit dem Namen „Rainer Bartel Textagentur” drucken lassen, um nach außen als bereits etablierter Allzwecktexter antreten zu können. Dazu hatte mir einer meiner alten Chefs aus der kleinen PR-Agentur im Herzen der Stadt geraten. Nun wurde die „RB Textagentur” Dienstleister der Firma Data Becker GmbH – ein fantastisches Gefühl!

Dass dieses Projekt schon mit der dritten Ausgabe – die vermutlich zu Weihnachten 1984 erschien – unter die Top 5 der deutschsprachigen Computerzeitschriften schießen würde, damit hatten weder Dr. Becker, noch ich und schon gar nicht Frau Clees gerechnet. Jedenfalls fürhte dieser Erfolg dazu, dass die Redaktion einen eigenen Großraum erhielt, in dem ich einen festen Arbeitsplatz bekam, und die Erscheinungsweise auf zweimonatlich gesteigert wurde. Denn anfangs gab es für mich nur ein Beistelltischchen im zugabteilengen Arbeitscontainer der beiden Grafiker. Dort verzapfte ich die zuvor mit dem Herausgeber besprochenen Artikel – an einem C64 natürlich. An den war ein Epson FX-80 angeschlossen, auf dem die Texte in der von den Layoutern vorgeschriebenen Breiten gedruckt wurden. Ceci und Matthias nahmen dann die Papierstreifen und zerteilten sie mit Skalpellen in klebegerechte Stücke, die dann zum Verfilmen auf Pappen mit Rasterlinien montiert wurden. Kam von einem der beiden ein „Upps, versenkt…”, wusste ich, dass ein Schnitt danebengegangen war und ich die betreffende Fahne noch einmal durch den Epson jagen musste.

Aber worüber berichtete diese erste richtige „Data Welt” überhaupt. Natürlich war das Blatt aus Sicht von Dr. Becker immer noch in erster Linie ein Marketinginstrument für Data Becker, sodass die eigenen Bücher und Produkte die Hauptrolle zu spielen hatten. Gut dass Data Becker keine Hardware herstellte, sondern nur im Laden anbot. Das gab mir Raum für kritische Produkttests und nebenbei die Möglichkeit, so ziemlich alles, was rund um die kleinen Rechner angeboten wurde, kennenzulernen. Und schon mit der dritten Ausgabe waren wir so etabliert, dass wir Testgeräte auch von Firmen bekamen, die nicht mit Data Becker verpartnert waren. Da in der alten Data Welt schon immer Tipps & Tricks und Listings zum Abtippen angeboten worden waren, setzten wir diese Tradition natürlich fort. Welch Glück, dass unsere Büronachbarn zu Beginn die drei Entwicklergenies jener Tage waren: das Team Brückmann, Gerits, Englisch – schon damals von C64-Anwender weltweit vergöttert und Autoren von Büchern, die sich zu Hunderttausenden verkauften.

Die drei Computerfachleute hätten unterschiedlicher nicht sein können. Klaus Gerits sah man nie anders als im blauen Anzug; im Winter gern auch mal dreiteilig. Seine Begründung für die formelle Kleidung war einleuchtend: Früher als Servicetechniker habe er ständig im schmuddeligen Blaumann rumlaufen müssen. Nachdem er nun quasi einen Bürojob habe, habe er sich geschworen, nur noch im feinen Zwirn zur Arbeit zu gehen. Rolf Brückmann war quasi das Gegenmodell. Der leicht dickköpfige und bisweilen aufbrausende Oldenburger war leicht als Anhänger der ökologischen Bewegung zu erkennen mit seiner wilden Matte und dem Bart sowie Strickjacke und gelegentlichen Wandersandalen an den bestrumpften Füßen. Dritter im Bund war Lothar Englisch, den jeder als Insasse einer Buchhaltung vermutet hätte, der sein – ja, dieses Wort passt – Programmiergenie nicht erkannte. Vielleicht muss allein über diese drei Typen einmal ein eigenes Buch geschrieben werden, denn sie haben derart viele Entwicklungen rund um die persönlichen Computer angestoßen und begleitet, dass man sie sicher unter den 100 wichtigsten Leuten dieser Bewegung einzuordnen hat.
Und natürlich versiegte deren Brunnen an Ideen, Lösungen, Tipps, Progrämmchen und Tricks nie. Im ersten Jahr steuerten sie gut ein Drittel der Inhalte für jede DW-Ausgabe bei. Ein weiteres Drittel stammte von den anderen wichtigen Data-Becker-Buch- und Softwareautoren: Wolfgang Schellenberger, Michael Tischer, Dirk Paulißen, Rainer Severin, Michael Angerhausen, Norbert Szczepanowski und dann auch Jörg Schieb, der in jenen Monaten als Azubi bei Data Becker anfing. So bastelten gut anderthalb Dutzend „Freaks” und Experten unermüdlich Buch auf Buch, Programm auf Programm und – wenn ich ganz lieb „Bitte” sagte, denn Honorar zahlten wir nicht – Artikel für die „Data Welt”. Waren es anfangs noch Zwangsanzeigen, die Lieferanten zu buchen hatten, um im Laden gelistet zu bleiben, wurde unser Blatt in wenigen Monaten auch interessant für all die vielen Unternehmen verschiedener Herkunft und Größe, die etwas im Homecomputerbuchmarkt anzubieten hatten. Bis dahin hatte Alicia Clees im Nebenberuf die Anzeigen gemanaged. Jetzt wurde uns Frank Bolten aus dem Vertrieb als Anzeigenleiter zugeteilt.

(Zuerst erschienen in der Rainer’schen Post, dem Allzweck-Blog von Rainer Bartel)

5 Gedanken zu „Komma acht, Komma eins – oder: Eine kleine Historie der frühen Computerjahre (2)“

  1. Toller Artikel! Du musst unbedingt noch was über Deine Reihe „einsteigen ohne auszusteigen“ schreiben! Danke für die Erinnerungen!

    1. Ja, gut, äh, ich sag mal… Die Reihe „Komma acht, Komma eins“ stammt aus meinen Tasten; und aus deren Vorgänger stammten die „Einsteigen ohne auszusteigen“ nicht – das waren dem Christian seine Tasten.

  2. Jep – aber Rainer hat zu meinem Geburtstag (ich glaube es war mein 30iger) mit seinen Kids ein tolles Parodie-Video dazu gemacht. „Reinbeißen ohne auszuspucken“. Wir haben sehr gelacht. Und EoA wird hier bei Gelegenheit garantiert noch eine Rolle spielen ;-)

    1. Oha, ja – dieses Video! Sag bloß, das gibt’s noch. Vielleicht sogar schon digitalisiert… Dann MUSS ich es haben! ;–))

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