In der Setzerei

Komma acht, Komma eins – oder: Eine kleine Historie der frühen Computerjahre (3)

Und auch die Stoppelei nahm bald ein Ende. Zunächst hatte sich Dr. Achim Becker erweichen lassen, wenigstens das Titelbild vierfarbig drucken zu lassen. Dann durften wir so viele Farbbogen einbauen wie wir farbige Anzeigen hatte. Anstelle öder Textwüsten mit gelegentlichen Schwarzweiß-Illustrationen oder -Fotos konnten wir nun optisch schon fast mit der Konkurrenz mithalten. Und als wir dann im Herbst 1985 auf monatliche Erscheinungsweise umstellten, wurde mein Job als Chefredakteur nicht nur zum Vollzeitjob, sondern brachte mir Begegnungen mit allen wichtigen Figuren der noch jungen Kleincomputerei ein. Und das natürlich auf der CeBIT, die ab März 1986 als eigenständige Messe stattfand, aber auch auf vielen anderen Messen und Kongressen in Europa und den USA. Wobei: Bis 1987 behielt sich der Herausgeber das Recht vor, die Events in Übersee zu besuchen und von dort eigenhändig zu berichten. Erst zur COMDEX 1987 in Las Vegas genehmigte er mir die Reise in die USA. Dr. Achim Beckers Held in vielerlei Beziehung war natürlich Jack Tramiel, Commodore-Gründer, Visionär der Homecomputerei, späterer Übernehmer von Atari und Unternehmer durch und durch. Der hatte den Spruch geprägt „Business is like war“, und das Verhältnis von Dr. Achim Becker zum Markt war von diesem Satz eindeutig inspiriert.

Er teilte die Welt der Homecomputerei klar in Partner und Gegner ein. Selten konnte ein Gegner zum Partner werden. Umgekehrt ging das schon. Aber letztlich hing es von den agierenden Personen ab und der Sympathie, die Becker für diese hegte. Er vergötterte Tramiel, und nach einem Besuch in dessen Privatanwesen am Lake Tahoe, kurz nach dem Launch des Atari ST, zwang er uns, ein zigseitiges Interview mit dem alten Kämpfer ins Heft zu nehmen. Was uns als ehrgeizige Blattmacher nervte, muss heute als einzigartiges Zeitdokument betrachtet werden. Mich persönlich hat Tramiel weniger beeindruckt als sein Chefentwickler, der geniale Shiraz Shivji. Der Freund schneller Autos aus Tansania war Mitglied des Entwicklerteams des C64 gewesen und dann Hauptverantwortlicher für die atemberaubend schnelle Realisierung des Atari ST. Jedes Mal wenn Shivji in Düsseldorf war, lieh er sich durch Vermittlung von Achim Becker einen schnellen Wagen bei Auto Becker aus, um den dann gemeinsam mit Dr. Becker als Passagier auf den deutschen Autobahnen mal so richtig auszufahren. Nach allem was ich weiß, war das sein einziges Laster.

Einen denkwürdigen Nachmittag mit Chuck Peddle, dem Entwickler des MOZ 6502, erlebte ich auf der Messe „Systems“ in München – vermutlich im Herbst 1986. Ich begegnete einem witzigen, nicht uneitlen Ingenieur mit einem Riesenschatz an Anekdoten aus der Szene, die er gern erzählte. Wir saßen in einem winzigen Abteil beim Festplattenhersteller Tandon, für die Chuck damals tätig war. Während ich mit ihm plauderte, machte Dr. Becker Geschäfte mit dem Firmengründer Jugi Tandon persönlich. Wie ich zwischendurch oder später dann noch Figuren wie Sir Clive Sinclair, William Gates III., Steve Jobs, Mitch Kapor und Marco Börries kennenlernte, wird in weiteren Folgen dieser kleinen Geschichtensammlung nachzulesen sein.

Nicht nur den Technikgenies und den Computerpromis muss in diesem Zusammenhang ein Loblied gesungen werden, sondern auch einem gewissen Herrn Leckebusch, Inhaber der Druckerei Graf & Pflügge. Dies bodenständige Familientraditionsunternehmen hatte seinen Sitz in einem pittoresken Hinterhof an der Oberbilker Alle, gleich neben der ebenso bodenständigen Kneipe namens „In dä Kull“. Eingerahmt von Efeu und Rosen kuschelte sich ein zweigeschossiges Backsteingebäude ans Hofende. Über eine Außentreppe kam man in die Setzerei. Ob das Unternehmen je eine eigene Druckerei betrieben hat oder nur den Satz selbst erledigt und woanders hat drucken lassen, weiß ich nicht. In den Jahren unserer Zusammenarbeit war es jedenfalls so, dass Graf & Pflügge die Satzarbeiten für die Data Welt und später die PC Praxis machte. Herr Leckebusch war zudem als Agent tätig, der dann für den Druck die günstigste Druckerei aussuchte – zuletzt war dies Mohndruck, das Bertelsmann-Druckhaus. Wie schon erwähnt: Anfangs sah das, was wir „Satz“ nannten, so aus, dass Nadeldruckerstreifen auf Layoutpappe montiert und bei G&P eingereicht wurden. Platz für Abbildungen war frei zu lassen und zu notieren, wo welche Illustration hin sollte.

Die ganze Sache zu computerisieren, war das Gebot jener Zeit. Und da kam uns allen die Firma Linotype mit ihren fabelhaften digitalen Satzgeräten gerade recht. Während altgediente Setzer die Nase rümpften, waren nicht ganz so altgediente Grafik-Designer völlig begeistert: Endlich nicht mehr abhängig von den meist übellaunigen Kollegen an den lauten, stinkenden Kisten! Endlich ganz allein die verrücktesten Satzideen umsetzen. Endlich frei! Allein: So eine Lino zu bedienen, war auch nicht einfacher als einem Setzer die eigenen Wünsche zu vermitteln. Zwar ließ sich mit ein paar Befehlen ein Layout einrichten, aber alle Vorstellungen über den Satz der Seite mussten mit Hilfe von äußerst komplexen Befehlen in den Text eingefügt werden.

Von WYSIWYG war natürlich keine Rede – eher im Gegenteil: Das Konglomerat aus Text und Befehlen einer Seite konnte nur durch Anfertigen eines Abzugs überprüft werden. Und das konnte schwer ins Geld gehen, wenn man nach dem Trial-&-Error-Prinzip vorging. Also keimte auf beiden Seiten – Data Becker UND Graf & Pflügge – die Idee auf, den „Satz“ bei der Texteingabe in der Redaktion vorzubereiten, das Ergebnis dort auch per Ausdruck zu prüfen und die Daten dann an die Lino von Herrn Leckebusch zu übermitteln. Und so erfanden wir gemeinsam das, was später Desktop Publishing hieß. Nein, natürlich haben die Herren Gerits, Englisch, Brückmann und Leckebusch DTP nicht erfunden, wohl aber eine Lösung entwickelt, die mit simplen 8-Bit-Computerchen der Marke Commodore auskamen. Vergleichbares kam zu halbwegs erschwinglichen Preisen erst später in der PC-Welt und in der Mac-Welt auf die Märkte; man denke an den Pagemaker, den Ventura Publisher und vor allem die Laserdrucker von Hewlett-Packard bzw. Apple.

Das Hauptproblem bestand in der Datenübertragung. Ernsthafte Möglichkeiten, große Datenmengen übers Telefonnetz zu schicken, gab es nicht. Noch hieß das Thema „DFÜ“, war vorwiegend illegal und über die Akkustik der Telefone gekoppelt. Da zwischen den Räumen der Redaktion im Hause Data Becker an der Merowingerstraße und dem romantischen Backsteinhäuschen der Setzerei kaum fünf Gehminuten lagen, sprach alles dafür, die Satzdaten auf Floppies zu speichern, rüberzubringen und dort zu verarbeiten. Ja, Floppies – so nannte man die weichen Scheiben mit einem Durchmesser von fünfeinviertel Zoll, auf denen man Bytes sichern konnte. Beim 64er war das Diskettenlaufwerk der Nachfolger der Datasette, in einem Commodore 8296 waren gleich zwei solcher Laufwerke fest eingebaut. Auch der Monitor war fester Bestandteil des Geräts. Und zwei dieser topmodernen Kisten mit 6502-Prozessor und sage-und-schreibe 128 KB Hauptspeicher kamen nun in die Redaktion. Bedient wurden die von unseren Redaktionsassistentinnen – eine davon festangestellt.

Diese Kolleginnen waren dafür verantwortlich, die speziellen – in Relation zur Lino ziemlich stark vereinfachten – Satzbefehle in die Texte der Redakteure und Autoren einzufügen. Teilweise mussten aber auch ausgedruckte Artikel erst abgetippt werden; je nachdem, mit welchem Computer sie geschrieben waren. Im Jahr 1985, also noch vor der Popularisierung des PC, waren neben dem C64 noch viele andere Homecomputer unterwegs. Außerdem kamen die ersten Atari ST und mein Macintosh zum Verfassen von Beiträgen zum Einsatz. War eine solche Floppy Disk voll, wurde sie zu Herrn Leckebusch gebracht. Dort stand ein passendes Laufwerk, das per serieller Schnittstelle mit der Linotype verbunden war. Das Genialische an der Sache war, dass es unsere Hardware-Gurus geschafft hatten, die nicht dokumentierte Schnittstelle der Satzmaschine anzusteuern. Auf der Softwareseite kam ein Programm zum Tragen, dass per Tabelle die einfachen Satzbefehle in die Codes der Lino übersetzte. Das alles war von A bis Z selbstgestrickt und funktionierte beinahe auf Anhieb und über mehrere Jahre hinweg.

Wenn angesichts solcher Dinge ein offensichtlich spätgeborener Autor der Rheinischen Post davon schreibt, „richtig innovativ“ sei man „in Bilk“ nie gewesen, dann spricht das nur für den mangelhaften Kenntnisstand von Herrn Thissen, der für den entsprechenden Artikel verantwortlich zeichnet. Zumal dieses selbsterfundene Desktop Publishing bei weitem nicht die einzige Innvoation war, die in den Räumen an der Merowingerstraße in jenen Jahren ausgebrütet wurde. Man denke nur an den legendären Textomat, ein Schreibprogarmm für den C64 (und später weietre Kleincomputer), das absolut mit dem damals die CP/M-Welt beherrschenden WordStar mithalten konnte.

Dass wir aber solche Dinge bei der Produktion unserer Computerzeitschriften überhaupt ausprobieren, optimieren und ernsthaft nutzen konnten, haben wir Herrn Leckebusch von Graf & Pflügge zu verdanken, der unsere Techniker nicht nur gewähren ließ, sondern immer genau wusste, worum es ging, weil er immer neugierig genug war und gezielt nachfragte. Dass dieser – aus unserer Sicht als junge Hüpfer – ältere Herr mit der schleppenden, rauen Sprache uns auch anderweitig sehr auf die Sprünge half, darf nicht unerwähnt bleiben. Leckebusch stammte aus den Tiefen des Druckgewerbes und war über Jahrzehnte für die Produktion von Versandhauskatalogen verantwortlich. Dabei hatte er dermaßen viel Know-how über jede Art Drucksachen angesammelt, dass wir eigentlich bei jeder Ausgabe etwas von ihm lernten – und wenn es nur Merksätze wie „Gelb ist die Farbe des Verderbens“ waren.

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