Kitsch as Kitsch can im Midjourney-Showcase (Screenshot)

Kunst per KI – Kitsch as Kitsch can?

Seien wir ehrlich: Midjourney 5 ist als bildererzeugende KI richtig, richtig gut. Das heißt: Kann der:die User:in seine:ihre Vorstellung von einem Bild präzise genug formulieren, malt Midjourney meist exakt das, was sich der:die Künstler:in vorgestellt hat. Gut, man muss schon manchen Hasen jagen, um am Ende einen zu kriegen. Aber: Nicht nur die KI lernt, die Anwender:innen tun es auch.

Der Eingang zur Midjourney-Wunderwelt (Screenshot)
Der Eingang zur Midjourney-Wunderwelt (Screenshot)

Ein guter, alter Freund war dank Corona dieser Tage ans Haus gefesselt und hat dieses Midjourney für sich entdeckt. Täglich postete er Dutzende Kreationen auf Facebook und Instagram. Und heischte nach Aufmerksamkeit und Bewunderung. Erstere konnte ihm der Verfasser dieses Beitrags zollen, Letzteres eher nicht. Denn Ingo (Name von der Redaktion geändert) produzierte beinahe durchgehend Kitsch.

Nun ist Kitsch ein Kautschukbegriff, denn was genau Kitsch ist und was nicht, darüber gibt es viele, viele Meinungen. In der bildenden Kunst wird das Wort vor allem auf sentimentale, banale, triviale und süßliche Darstellungen angewendet. Bereits bekannten Malern der Renaissance wurde Kitsch vorgeworfen, wobei die Zeitgenoss:innen das noch nicht so nannten. Uns kommen wirklich manche Bildchen mit idealisiertem Jesus und niedlichen Putten kitschig vor.

Als in den Wohnzimmern noch kitschige Gemälde hingen...
Als in den Wohnzimmern noch kitschige Gemälde hingen…
In der Jetztzeit stachen besonders die Fünfziger- und Sechzigerjahre in dieser Hinsicht hervor. Wer hat nie bei irgendwelchen Verwandten scheinbare Ölgemälde mit rassigen „Zigeunerinnen“ in der guten Stube gesehen? Oder Bilder von idyllischen Landschaften voller Lämmer, von knorrigen Bergbauern oder kühnen Seeleuten? Die Siebzigerjahre mit ihrem alles überrollenden Willen zum Modernen machten dieser „Kunst“ den Garaus und ersetzten sie durch teils grauenhaftes Design in starken Farben.

Kitsch entsteht im Kopf: aus der Sehnsucht nach einer heilen, friedlichen und schönen Welt. Oder nach Fantasiewelten voller mutiger Krieger und auch Kriegerinnen. Die beiden Genres „Science Fiction“ und „Fantasy“ haben die Bildersehnsucht ganzer Generationen seit ungefähr 50 Jahren geprägt. Und damit kommen wir zum Punkt. Auf Midjourney präsentieren gefühlte 80 Prozent der Werke genau diese Bildwelten. Hinzu kommen bis zur Absurdität vervollkommnete Porträts von real existierenden Menschen und vor allem von so niemals existierenden Frauen.

Frühes Beispiel für KI-Kitsch mit Midjourney (Abb.: midjourney.com)
Frühes Beispiel für KI-Kitsch mit Midjourney (Abb.: midjourney.com)

Warum? Weil die Künstler:innen ja ihre Vorstellungen vom gewünschten Midjourney-Bild in Worte fassen müssen. Als anfangs – besonders bei der OpenAI-App DALL-E – noch überwiegend Menschen zu Werke gingen, die im Berufsleben etwas mit Design zu tun hatten, sind nun Jedermann und Jederfrau am Drücker. Die erste Generation der Bild-KI-User:innen neigte mehr zum Witz: Donald Trump als Horrorclown oder Eisbär auf dem Fahrrad in der Wüste. Heute sollen Betrachter beeindruckt werden.

Im Discord-Channel diskutieren die User:innen (Screenshot)
Im Discord-Channel diskutieren die User:innen (Screenshot)

Der Verfasser dieses Beitrags fotografiert seit seinem sechsten Lebensjahr und ist seit einigen Jahren Mitglied der NoFilter-Community. Meist macht er die Aufnahmen mit dem Smartphone (aktuell ein Google Pixel 6 Pro) und postet sie auf Facebook und Instagram. Die meisten Fotos entstehen bei Spaziergängen oder Ausflügen und werden so wie sie sind veröffentlicht. Manchmal wird der Ausschnitt verändert oder der Horizont begradigt – mehr nicht. Dabei entstehen Fotos von der Welt wie sie ist, und die sind selten beeindruckend.

Viel Kitsch im Midjourney-Showcase (Screenshot)
Viel Kitsch im Midjourney-Showcase (Screenshot)

Bei 99 Prozent aller im Midjourney-Showcase gezeigten Bilder ist das anders: Sie sollen die Betrachtenden beeindrucken. Was aber beeindruckt? Darstellungen von Motiven auf die Art und Weise wie sich die Anguckenden sie wünschen – sie könnten das auch. Der Showcase ist also ein Spiegel der kollektiven Bildwünsche.

Vor ein paar Tagen hat Ingo eine Funktion für sich entdeckt, die wirklich verblüffende Ergebnisse liefert. Man kann den Midjourney-Bot nämlich anweisen, fotorealistische Bilder der beschriebenen Situation so zu erzeugen, dass sie aussehen wie mit einer ganz bestimmten Kamera geknipst. Selbst alte Analog-DSLRs werden imitiert, und natürlich kann man angeben, welches Objektiv zum Einsatz kommen sollen und welche Werte für die Blende und die Belichtungszeit anzuwenden sind. Selbst die Art, Stärke und Position der Lichtquellen lässt sich einstellen.

Ingo hat viele Stunden damit verbracht, auf diese Weise eine Bilderstrecke herzustellen, die das fiktive Konzert einer fiktiven Rockband vor einem fiktiven Publikum an einer fiktiven Location darstellt. Davon war ich ernsthaft begeistert und würde diese „Fotos“ definitiv nicht als Kitsch klassifizieren.

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