Liebe Leserin, lieber Leser, ja, wir wissen: Nicht alle Singles sind einsam. Wer aber gerade keinen Partner bzw. keine Partnerin hat und einsam ist, kann ja heutzutage im Internet ganz schnell was Neues finden. Das ist jedenfalls das Versprechen der sogenannten „Dating-Plattformen“ und auch der ständig medial behandelten Tinder-App. Die ist so simpel gestrickt, dass Menschen, die seit über 40 Jahren viel, viel Gehirnschmalz in die Partnervermittlung per Computer stecken, sehr, sehr traurig sind.
Denn tatsächlich konnten Mann und Frau schon Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts mit Hilfe von Elektronenhirnen die passende andere Hälfte finden. Die legendäre Jugendzeitschrift Twen legte anno 1967 ihrem Heft einen umfangreichen Fragebogen bei, mit dem man sich selbst und den/die Wunschpartner*in ausführlichst beschreiben konnte. Den schickte man ein und bekam nach Entrichten einer ziemlich saftigen Gebühr und Monate später eine Liste passender Kandidat*innen. Die Idee dahinter war dieselbe, mit der Partnervermittlungsinstitute zuvor schon Jahrzehnte lang das Auswählen von und Zusammenbringen mit möglichen Ehepartner*innen ihr Geld verdienten: Suchende sollten zusammenpassen. Und wer nur mal eben was für ein Abenteuer suchte, der ging halt in die Disco.
Wenn ich mich recht erinnerte umfasste der Twen-Fragebogen deutlich mehr als 100 Fragen. Heute reichen laut Tinder ein Foto, der Name, das Alter und der Wohnort. Aber auch die ersten Internet-Dienste zur Zusammenführung von Paaren – allen voran die fast vergessene Plattform Friendscout24 (heute: Lovescout24) – bot mehr Kriterien. Wobei dort das Prinzip ganz ohne Computer oder Vermittler funktionierte. Denn anhand einer Reihe von Merkmalen schränkte man dort den Kreis derjenigen ein, mit denen man in Kontakt treten wollte. Und dann forderte man die passenden Personen eben zum Chat auf. So geht das heute noch bei den Diensten, bei denen sich angeblich alle elf Minuten ein Single verliebt.
Tatsächlich liegt die Quote der Verbindungen, die per Parship, Elitepartner, eDarling oder Lovescout24 und auch Tinder entstehen, laut verschiedener Quellen mittlerweile bei über 70 Prozent. Im Klartext: Rund 70 Prozent derjenigen, die einen dieser Service nutzen, finden dort auch ein Gegenstück. Wobei natürlich nicht in allen Fällen Dauerhaftes zustande kommt. Was ja auch in bestimmten Alters- und Zielgruppen nicht unbedingt erwünscht ist. Aber das war auch bei den Plattformen Ende der Neunzigerjahre so, wo besonders (gern auch verheiratete oder gebundene) Männer eher Affären oder One-Night-Stands anpeilten.
Bei Tinder ist dieser Unterschied nun völlig verwischt. Denn ob der Chat-Partner auf etwas Ernstes aus ist, stellt sich oft erst nach einem ersten Treffen heraus. Beliebt ist dieses Tinder inzwischen quer durch alle Altersschichten – weil es so unverschämt simpel ist. Wer mitspielen will, registriert sich über seinen Facebook-Account, gibt dort das Geburtsdatum und den Wohnort frei und fügt dem Ganzen ein möglichst vorteilhaftes Foto bei. Und schon kann die Suche losgehen. Die App präsentiert nun Fotos von Menschen, die vom Alter und Wohnort her passen könnten. Wischt man das Foto nach links ist der/die Kandidat*in raus. Wischt man nach rechts, zeigt man an, dass einem gefiel, was man sah. Das erfährt die so gelikete Person und kann nun per Chat mit dem Rechtswischer in Kontakt treten.
Dort kann schon der erste empfangene Satz das Aus bedeuten, aber manchmal kommen die beiden Hübschen tatsächlich ins Gespräch und stellen möglicherweise fest, dass ihnen bei der jeweils anderen Person mehr gefällt als nur das Foto. So chattet man ein Weilchen, und irgendwann kommt es zur Gretchenfrage: Wollen wir uns mal treffen? Was dann geschieht, entzieht sich unserer Beobachtung. Allerdings ist die Zahl der Erfolgsmeldungen erstaunlich hoch – und nicht nur in der Kategorie Sex. Das alles ist zunächst kostenlos. Aber irgendwie muss ja auch Tinder Geld verdienen und fordert seine registrierten Mitglieder unentwegt auf, doch bitte auf einen Gold-Account upzugraden, dann wäre alles noch besser.
Nein, ein Muss ist Tinder für partnersuchende Menschen ganz sicher nicht – die „richtigen“ Vermittlungsplattformen bieten gerade reiferen Leute deutlich mehr, gerade was die Übereinstimmung (man sagt heute der/die/das „Match“) angeht. Zumal es viele Mitspieler*innen mit der Ehrlichkeit in Bezug auf Foto und Alter nicht ganz so genau nehmen. Und ob es wirkliche eine Liebe auf den ersten Wisch gibt, darf bezweifelt werden.