About You Award 2019

Was zur Hölle… sind eigentlich diese Influencer?

[Glosse zum aktuellen Social-Media-Zustand]Ja, genau, der nicht mehr ganz taufrische Begriff ähnelt nicht nur dem lateinischen Lehnwort für Erkältung, er meint eigentlich genau dasselbe wie „Influenza„. Außerdem sprechen Insider das englische Wort grundsätzlich mit einem „A“ am Ende aus. Das hat alles einen Sinn, denn es geht um Ansteckung. Nicht umsonst heißt es heute, ein Video „geht viral„. Wobei dieser zweite Fachbegriff auf das Wort „Virus“ zurückgeht. Und da schließt sich der Kreis: Influencer sind Personen, die anderen mit ihrem Lifestyle anstecken. Der Lebensstil von Influencern aber besteht vor allem aus allem, was sie konsumieren – sowie einer bunten Mischung aus allerlei Schmierölpsychologie und altmodischem Gesellschaftsbild. Weil Influencer ein Beruf ist, müssen diese vorwiegend jungen Menschen damit ihr Geld verdienen. Weil aber kein Follower auch nur einen Cent ausgibt, um sich die Videos und Fotos von Influencern angucken zu dürfen, muss die Kohle per Schleichwerbung reinkommen.

Dagi Bee und ihr Ex-Freund Leonit
Dagi Bee und ihr Ex-Freund Leonit
Das Prinzip ist so einfach wie perfide. Bibi, Dagi Bee, Lisa und Lena, Sami Slimani, Shirin David und wie die Sternchen des Social-Media-Kosmos‘ alle heißen dokumentieren das, was die Rezipienten für ihr Leben halten sollen, auf den bildbetonten Kanälen YouTube und Instagram. Dabei zeigen und benutzen sie alle möglichen Produkte. Manchmal sprechen sie sogar Empfehlungen für diese oder jene Marke aus. Aber meistens werden die Botschaften subkutan verteilt. Beispiel gefällig? Nehmen wir eine fiktive Influencerin namens Alisha A. Die hat (natürlich) einen Freund, der manchmal auch in ihren Videos auftaucht. Zum Beispiel bei einem Kurzurlaub in einem angesagten Hotel. Selbstverständlich sehen die Zuschauer viele, viele Bilder aus dem Zimmer, dem Pool, vom Buffet und von der Bar – immer so aufgenommen, dass es kein Geheimnis bleibt, wo Alisha und ihr Freund diese wundervolle Zeit verbracht haben.

Die kleinste Münze, mit der sich Influencer bezahlen lassen, ist Kostenlosigkeit. Als allerdings ein nicht ganz so ansteckender Influencer aus Bielefeld kürzlich versuchte, eine Düsseldorfer Bar zu dissen, weil man ihn dort nicht kostenlos hineinließ, zog er sich einen mittelschweren Shitstorm und den Verlust einiger Tausend Follower zu. Und das ist das Schlimmste, was einem Influencer passieren kann, dass ihm nämlich die Fans von der Fahne gehen. Die Währung heißt – und das ist in diesen Zeiten schon eine echte Binse – Aufmerksamkeit. Je mehr Menschen dem Tun und Treiben einer*s Influencer*in folgen, desto wertvoller wird sie*er als Marke. Und umso höhere Provisionen lassen sich erzielen.

Youtuber-Krieg am Alexanderplatz
Youtuber-Krieg am Alexanderplatz
Wir alle wissen, dass zwischen dem virtuellen Raum der sozialen Medien und er wirklich echt realen Welt eine kaum überwindbare Mauer steht. Beide Sphären berühren sich in der Regel nie oder wenn, dann bei Autogrammstunden, während derer sich Fans ihren Idolen hautnah nähern können. Manche Youtuber haben das noch nicht verstanden, und so rief einer, dessen Namen man sich nicht merken muss, seine Anhänger auf, am Berliner Alexanderplatz aufzukreuzen, weil er sich dort in echt mit einem anderen Youtuber, dessen Namen man sich nicht merken muss, battlen wollte. Ein Einzelfall, der aber Aufschluss über die verschiedenen Geschmacksrichtungen bei den Influencern gibt. Neben den Beautyqueens und den Schönlingen bestimmen Komiker*innen (die so nicht genannt werden möchten), Rapper, Gamer und Fußballspieler den Markt. Entsprechend setzen sich die jeweiligen Zielgruppen zusammen, die sich praktisch nicht überschneiden.

Auch bei den Krankheiten, mit denen die Influencer*innen ihr Volk anstecken sollen, gibt es dramatisch Unterschiede. Die sehr jungen Frauen, die erfolgreich auf der Social-Media-Tastatur klimpern, vermitteln durchweg ein Frauenbild, von dem die Älteren unter uns gedacht haben, es sei so um 1980 herum ausgestorben. Es geht um das, was die entsprechenden Industrien in ihrem Drang mehr zu verkaufen als Ideal geformt haben: Schlanke, kindliche Mädchen unter 30 mit erheblich gepflegten Frisuren und Haaren, die immer die angesagtesten Outfits tragen und bei Schuhen und Accessoires ganz vorn dran sind. Und wie es sich für Anhängerinnen gehört, eifern die Followerinnen ihren Heldinnen nach und kaufen denselben Kram wie die.

Drei Rapper, die nach eigenen Aussagen alle Influencer rasieren
Drei Rapper, die nach eigenen Aussagen alle Influencer rasieren
Verrück genug funktioniert das mit den Rappern exakt auf dieselbe Weise, nur werden da eben Jungmänner mit hohem Testosteronspiegel adressiert, die sich durch die Nachahmung von Influencern mehr Chancen bei den Damen ausrechnen. Wie allgemein im Rap geht es oft vor allem um Reichtum, denn wer reich ist, kriegt alle Frauen. Reich wird man aber nur durch Rücksichtsarmut – du musst kämpfen, wenn du mehr willst als die anderen. So bestehen die Fotos und Videos der Rap-Influencer fast durchweg aus Kampf, Streit und Krieg gegen andere. Und weil es sich oft um Clips zu Songs handelt, können Sprechsänger ganz schön viel verdienen.

Thomas Müller - der Fußballstar als Influencer
Thomas Müller – der Fußballstar als Influencer
Noch recht neu und bisweilen übersehen ist der Fußballstar als Influencer. Bei denen funktioniert das Spiel andersherum: Erst sind sie durchs Kicken bekannt geworden, dann setzen sie den Bekanntheitsgrad in Instagram-Accounts als Influencer in klingendes Geld um. Da hätte man auch früher drauf kommen können, denn die populärsten Akteure des getretenen Balls sind ja in jeder Hinsicht mit den Insassen ihrer Zielgruppen identisch – also vom Alter und von den Vorlieben her. Sie spielen dieselben Games auf ihren Playstationen, sie hören dieselbe Mucke über ihre Beats-Kopfhörer, sie lachen über dieselben Witze, sie haben Freundinnen oder gar Ehefrauen, sie fahren die Karren, die sich alle Jungs wünschen, und sie tragen eben Klamotten in dem Stil wie ihre Jünger. Während die Wirkung von TV-Spots mit Fußballprofis als Protagonisten immer weniger (sogar noch weniger als bei Print-Anzeigen oder gar Reklameplakaten) wirken, stecken Müller, Neuer, Özil, Götze & Co. per Social Media immer erfolgreicher an.

Und was ist mit den Menschen jenseits der 30-Jahre-Schallmauer? Die verstehen das alles nicht oder falsch. Die gucken ja sogar noch lineares Fernsehen! Finden sich als pünktlich zu einer vorgegebenen Uhrzeit vor dem Flachbildschirm ein, um sich eine bestimmte Sendung anzuschauen. Unfassbar! Die lesen stellenweise tatsächlich Zeitungen oder Bücher und legen CDs oder Schallplatten ein oder auf, wenn sie Musik hören wollen. Und, man mag es kaum glauben, die haben fast alle keinen Instagram-Account! Mal ehrlich: Dabei wäre es so einfach, beispielsweise die wachsende Schar der Silver Surfer per Influencer*innen mit Konsumideen anzustecken. Sky du Mont fällt einem da ein, Christina Neubauer auch, natürlich aber Florian Silbereisen – ja, mei, was ist denn mit Helene Fischer, die immer noch schweißfrei auf Bühnen in Hallen und live ihre Follower anstecken muss…

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