Kaum haben wir halbwegs kapiert, wie Kryptowährungen funktionieren, kommt der nächste Blockchain-Hype um die Ecke. Die Rede ist von dem, was gemeinhin mit NFT abgekürzt wird – sogenannte Non-Fugible Token. Nachdem das Thema durch die Krypto-Community gejagt wurde, häufen sich jetzt auch in „normalen“ Medien Berichte darüber, dass jemand ein digitales Stück als NFT für Tausen, Hunderttausende, ja, Millionen Dollar erworben oder ersteigert hat. Twitter-Chef Jack Dorsey versilberte das Original des allerersten von ihm abgesetzten Tweets für sage-und-schreibe 2,9 Millionen US-Dollar. Elon-Musk-Gattin Grimes verkaufte eine gemeinsam mit ihrem Bruder Mac Boucher produzierte Edition bestehend aus zehn digitalen Gemälden, Animationen und Video-Clips mit dem Titel „War Nymphs“ für 6 Mio. Die junge Frau, die als Kind Mona-Lisa-artig lächelnd vor einem brennenden Haus fotografiert wurde, erlöste 340.000 Euro für dieses Originalbild. Und der Hype geht weiter…
Die Idee hinter dem Handel mit NFT ist, dass der Besitz an einer digitalen Einheit (Dokument, Bild, Video etc.) nach dem Blockchain-Prinzip einer Person oder Organisation fest und unveränderlich zugeordnet wird. Dieses Stück GEHÖRT also jemandem, auch wenn es weiter durchs Netz geistert und möglicherweise beliebig oft kopiert werden kann – der/die Besitzer*in steht fest. Und zwar festgeschrieben als Token in einer Blockchain. Wem es gehört, der kann es verkaufen. Der Verkauf wird dadurch dokumentiert, dass der/die neue Eigentümer*in im Non-Fugible Token verzeichnet wird.
Nun ist allein schon das englische Wort „Token“ nicht ganz leicht zu übersetzen. Die Wörterbücher bieten „Zeichen“ an; gemeint ist aber eher ein Jeton, ein Chip, eine Wertmarke, also etwas, das man als Wert einsetzen kann – zum Beispiel, um in Las Vegas einen einarmigen Banditen zu füttern oder um im Supermarkt einen Einkaufswagen auszuleihen. Letzteres ist ein feines Beispiel für das Prinzip der „Smart Contracts“. Indem ich einen Token in den Schlitz des Karrens stecke, schließe ich eine Vertrag darüber, diesen Einkaufswagen benutzen zu dürfen, so lange mein Chip drinsteckt. Die Token für dieses Verfahren sind „fugible“, also austauschbar; es kommt nur darauf an, dass ich einen passenden Chip habe, aber nicht, genau welchen. Ähnlich funktionieren ja Münzen und Scheine im Geldverkehr: Jedes Zwei-Euro-Stück ist immer zwei Euro wert, ganz egal welche individuelle Münze ich verwenden.
„Non-fugible“ bedeutet also: nicht austauschbar. Ein non-fugible Einkaufswagenchip würde also nur in einen ganz bestimmten Karren passen. Er würde in keinen anderen passen und wäre auch zu sonst nichts nütze. Was hinter einem NFT steht, ist also einzigartig; ein Unikat, dass genau einer Person oder Organisation gehört. Der/die Eigentümerin kann mit der so bezeichneten digitalen Unit tun und lassen, was er/sie will. Zum Beispiel verkaufen. Wie in jeder Form von Handel bedeutet der Verkauf, dass die Ware nach dem Abschluss der Transaktion der/dem neuen Eigentümer*in gehört. So einfach ist das.
Und so absurd. Warum, in drei Digitalteufelsnamen, sollte jemand das Eigentumsrecht an einem Tweet besitzen wollen? Womit wir bei sehr, sehr seltenen Oldtimer-Autos sind. Einen, sagen wir, Ferrari 250 GTO Berlinetta von 1963, aktuell gut 62 Millionen Euro wert, kauft der/die Milliardär*in ja nicht, um damit zum Brötchenholen zu fahren, sondern, um dieses Automobil zu besitzen, um sagen können, „Ich bin der/die Besitzer*in“. Der Wunsch beim Kauf ist also nicht, das Ding zu nutzen, sondern eben zu besitzen. So funktioniert das in der Welt der Superreichen. Die zweite Variante: Ich kaufe beispielsweise das Gemälde einer noch nicht so bekannten Malerin in der Hoffnung, es irgendwann mit gehörigem Aufschlag wieder abzustoßen – das ist das Prinzip der Spekulation.
Dieser Ansatz funktioniert nach dem Prinzip der Marktwirtschaft, nach dem sich der Preis aus dem Zusammenhang von Angebot und Nachfrage ergibt. Bei sehr, sehr seltenen Dingen ist das Angebot sehr, sehr knapp. Besteht keine Nachfrage, sind sie aber wertlos. Erst wenn es andere Menschen oder Organisationen gibt, die eine solche seltene Sachen besitzen (oder gar nutzen) wollen, entsteht eine Nachfrage, die Ding mit einem Wert versieht. In Bereichen, in denen sich Sammler*innen tummeln, sind Angebot und Nachfrage sehr begrenzt, aber der Besitzwunsch in der Regel extrem hoch. Mit der NFT-Methode lassen sich jetzt also die Merkwürdigkeiten, die wir im Kunsthandel und generell im Handel mit Sammlerstücken beobachten, auf digitale Einheiten, vorwiegend auf digitale Kunstwerke anwenden.
Dass im vergangenen Jahr erstmals NFT zu digitalem Content zu Phantasiesummen erworben wurden, hat aber auch digital gestimmte Künstler*innen auf den Plan gerufen. Deren Überlegung: ich schaffe ein Werk und versehe es mit einem in die Blockchain geschriebenen NFT. Dieses Token biete ich dann zum Verkauf an. Gut gedacht, aber voll daneben, denn nun ist zwar ein Angebot da, aber nicht unbedingt eine Nachfrage. Die Nachfrage nach einem NFT speist sich nämlich nicht aus dem Wert der digitalen Einheit an sich (wenn sie überhaupt einen hat), sondern aus den Umständen, vor allem aus der Seltenheit. Wer weiß, ob die Edition von Frau Grimes und ihrem Bruder zum 6-Mio-NFT geworden wäre, wenn sie eben nicht Gemahlin des Elon Musk wäre. Und ob der erste Tweet von John Brown verkauft worden wäre, ist zu bezweifeln.
Insofern ist die Geschichte von Zoe Roth, das „Desaster Gilr“ mit dem maliziösen Lächeln, möglicherweise der Beginn einer Ära, denn weder Zoe, noch ihr Vater, noch der Anwalt, der den Vertrag formulierte, waren auf die hohe Summe gefasst, die bei der Versteigerung des Fotos zustande kam. Außerdem wird an diesem Fall der Unterschied zwischen dem Besitz- und dem Nutzungsrecht deutlich, denn das durch ein NFT markierte Originalfoto ist nicht kopiergeschützt, es kann also – im Rahmen der Bildrechte und Lizenzen – genutzt werden. Gehören tut es aber dem/der Käufer*in, die nun mit diesem NFT in der Blockchain verbunden ist. Immerhin gibt es mit foundation.app inzwischen ein Auktionshaus, das NFT-Kunst erfolgreich handelt.
Und die Entwicklung ist rasant. Vor allem bei den sogenannten „Collectibles“, also Sammlerstücken, vor allem aus dem Bereich der US-Profisportarten, aber auch im Gaming, wo Charaktere per NFT mit Besitzrechten versehen und so handelbar werden. Mit der Kryptowährung Ethereum steht eine Blockchain zur Verfügung, die bereits über ein entsprechendes NFT-Protokoll verfügt, das die Absicherung von NFT gewährleistet. Auch die Flow-Chain eignet sich zur NFT-Verwaltung. Außerdem sind aktuell mindestens drei Blockchains speziell für NFT in Vorbereitung. In spätestens drei, vier Jahren wird sich zeigen, ob das Ganze bloß wieder ein Hype war oder ob ein neues Handelsverfahren für digitale Seltenheiten entstanden ist.
NFT nett erklärt in einem englischsprachigen Video:
Sehr informativ. Habe mir vor paar Wochen auch ein paar NFTs zulegt, aber relativ schnell darauf wieder verkauft. Ist mir irgendwie alles ein bisschen zu wenig Konsistenz und nicht wirklich reizend für eine langfristige Investition..