In kaum einer Minute produziert: ein erstes TikTok-Video (Screenshot)

Was zur Hölle … TikTok jetzt auch für Senioren?

Die sogenannten „sozialen Medien“ haben gerade bei Digisauriern keinen besonders guten Ruf – Facebook, vielleicht, eventuell noch Twitter und Instagram, aber von TikTok lassen Senior:innen meist die Finger … sollte man meinen. Tatsächlich aber machen User:innen im Alter von 50+ immerhin 11 Prozent der registrierten TikTok-Gemeinde aus. Seit Kurzem umwirbt TikTok diese Zielgruppe, und eine ganze Reihe von Tutorials, die sich besonders an den älteren Teil der Menschheit wenden, sind nun im Angebot. Grund genug, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und was Senior:innen mit TikTok anfangen können (und wie das alles funktioniert).

Vera Birkenbihl: Ihre Vorlesungen gibt's auch auf TikTok (Sceenshot)
Vera Birkenbihl: Ihre Vorlesungen gibt’s auch auf TikTok (Sceenshot)
Beginnen wir mit den Bedenken. Schon seit dem Beginn des Booms in den Tagen, als TikTok mit der „Karaoke“-Plattform musica.ly fusionierte, gibt es teils heftige Kritik. Ein Anlass ist die Tatsache, dass TikTok vom chinesischen Unternehmen ByteDance betrieben wird, dem eine gewisse Offenheit gegenüber dem Regime der Volksrepublik nachgesagt wird. Der Verdacht bestand und besteht teilweise immer noch, dass TikTok persönliche Daten von Nutzer:innen im Sinne der chinesischen Behörden auswertet. ByteDance ist dem vor zwei, drei Jahren dadurch entgegengetreten, dass man Teile des Unternehmens nach Kalifornien verlagert und zunehmend auf Server in nicht-autokratischen Staaten setzt.

Zweitens gibt es erhebliche Bedenken gegen viele, viele Inhalte in diesem sozialen Netzwerk. Zwar verbieten die Community-Regeln die Darstellung von Gewalt (und natürlich Nacktheit etc.) und im Prinzip auch die Verbreitung von Fake News. Überwacht wird die Einhaltung der Regeln aber immer nur dann, wenn es zu gehäuften Meldungen kommt und/oder die freien Medien der westlichen Welt einen Skandal wittern.

Ed Sheeran, einer der beliebtesten Primis auf TikTok (Screenshot)
Ed Sheeran, einer der beliebtesten Primis auf TikTok (Screenshot)

Ganz grundsätzlich aber sorgen sich viele Menschen weltweit um den massiven Einfluss, den TikTok-Videos gerade auf Kinder und junge Leute haben. Der geht nachweisbar so weit, dass Jungen und Mädchen unter 15 auf Befragen der Meinung sind, TikTok-Videos gäben die Welt so wider wie sie ist. Angesichts der Fülle an latent menschen- und vor allem frauenfeindlichen sowie natürlich Anti-LGBTQ+-Inhalten sind derartige Sorgen sicher berechtigt.

Klassisch: Kleine Späßchen auf TikTok (Screenshot)
Klassisch: Kleine Späßchen auf TikTok (Screenshot)
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die überwiegende Mehrheit der TikTok-Clips besteht aus kleinen, mit Musik unterlegten, Witzchen, lippensynchron mitgesungenen Musikschnipseln, Kochanregungen, Beauty-Tipps und PR-Kram von Promis aller Art. Traditionell nutzen gerade bekannte Popmusiker:innen TikTok als Promo-Plattform. C-Promis, sogenannte „Realty-Stars“ und Leute, die man aus dem Fernsehen kennt, machen es ihnen inzwischen auf breiter Front nach. Unternehmen im Consumer-Bereich sind erst in der letzten Zeit auf die Möglichkeiten von TikTok gestoßen.

TikTok ist eine Anwendung fürs Smartphone, die es für iOS und Android gibt. Wer nur sich nur ein bisschen umsehen will, kann das auch in der Webapp auf dem PC oder Tablet tun. Um eigene Inhalte zu posten, muss man natürlich registriert sein und ein Profil einrichten. Dann kann man sowohl in den Smartphone-Apps, als auch in der Webapp Clips hochladen. Weil TikTok aber primäre für die mobiele Nutzung gedacht ist, gibt es einen Unterschied: Die meisten Werkzeuge zum Produzieren eines Videos stehen nur in den Apps für iOS und Android zur Verfügung.

Nicht nur Quatsch: Auch Nützliche Infos finden sich auf TikTok (Screenshot)
Nicht nur Quatsch: Auch Nützliche Infos finden sich auf TikTok (Screenshot)
Ursprünglich war die Länge auf 15 Sekunden begrenzt. Lange galt eine Minute als Maximum, die dann auf drei und später fünf Minuten verlängert wurden. Seit Februar 2022 gilt (theoretisch) eine 10-Minuten-Grenze; theoretisch, weil solch lange Clips noch lange nicht immer akzeptiert werden, der Rollout ist im Gange und scheint noch eine Weile zu brauchen. Aber: Die Statistik zeigt, dass öffentliche Clips von mehr als einer Minute Länge kaum angeschaut werden. Wer auf TikTok Influencer:in werden will, muss inzwischen schon Followerzahlen jenseits der 100.000-Marke sammeln. Die Prinzipien dieses Berufs gelten auf TikTok genau wie auf YouTube oder Instagram. Das heißt: Zukünftige „Stars“ müssen sich auf Themen und/oder Zielgruppen konzentrieren, sich ein klares Profil basteln und regelmäßig attraktive Clips posten.

Parteien und ihre Propaganda auf TikTok (Screenshot)
Parteien und ihre Propaganda auf TikTok (Screenshot)
Tatsächlich gibt es aktuell nur eine einzige Influencerin im Seniorenbereich, von der nicht einmal sicher ist, ob es sie gibt und/oder ob sie überhaupt weißt, dass sie auf TikTok präsentiert wird. Angepriesen wird sie als die „offiziell älteste Nutzerin“. Dieses Beispiel zeigt bestens, wie wenig man sich auf dieser Plattform überhaupt auf irgendeine Wahrheit verlassen kann. Hinzu kommen mehr und mehr Deep Fakes, also Videos, in denen Personen und/oder Situationen gezeigt werden, die es so und im gezeigten Zusammenhang nicht gibt. Deshalb gilt TikTok selbst unter eingefleischten Fans nur als Unterhaltungsmedium ohne jeden Informationsnährwert.

Trotz allem ist TikTok ein interessantes Medium, weil es so schrecklich einfach ist, kurze, knackige Videos mit Musikbegleitung zu erzeugen. Und die muss man ja nicht unbedingt öffentlich zugänglich machen. So wird TikTok ein feiner Kanal, auf dem Oma und Opa ihren Enkeln zeigen können, was sie gerade so machen. Also diesen Enkeln, denen Facebook als etwas für superalte Leute gilt, denen Twitter nicht lustig genug ist und die glauben, Instagram würde nur von Promis befüllt.

Die einfachste Form eines solchen privat-persönlichen TikTok-Videos ist das Selfie. Das kennen auch wir alle, auch als Beitrag für Facebook oder Instagram oder als Beigabe einer WhatsApp-Nachricht. Die zweite Variante ist ein solches Selfie mit einer Grimasse und passender Musik. Jedes Video kann mit einem von etlichen Millionen Songschnipsel hinterlegt werden. Schon beinahe künstlerisch wird es mit den zig Filtern, wie man sie auch sonst vom Handyfotografieren her kennt. Natürlich kann Text hinzugefügt werden, auch Emojis und Sticker. In der App selbst kann ein Video auch aus mehreren Clips zusammengeschnitten werden. Möglich ist es aber auch, ein auf dem Notebook oder Tablet produziertes Video nach TikTok hochzuladen.

Das alles ist sehr einfach und macht auch eine Menge Spaß. Jenseits der Selfies kann der:die Senior:in aber auch ihr Smartphone als Videokamera nutzen und beispielsweise den Besuch eines Rockkonzerts oder einen Spaziergang mit de Hunden dokumentieren. Wie gesagt: Solche Videos kann man auch nicht-öffentlich und nur zugänglich für eine Auswahl von TikTok-„Freunden“ hochladen. Da werden die Enkel aber staunen, dass Oma und Opa sich in ihrem Lieblingsnetzwerk bewegen wie die Fische im Wasser.

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