Apricot Portable von 1984

Apricot Portable – der Bugatti unter den frühen Computern

Dr. Achim Becker, der deutsche Pionier der kleinen Computer und Sohn von Wilhelm „Auto“ Becker, zog damals in den frühen Achtzigerjahren gern Parallelen zwischen Computern und Automobilen. Lag ja angesichts des Vaters und der engen räumlichen Verbindung zum legendären Gebrauchtwagenparadies „Auto Becker“ an der Düsseldorfer Merowingerstraße auch nahe. Wobei er im Wesentlichen Moore’s Law anwandte. Gern brachte der „Doc“ – wie ihn die Mitarbeiter nannten – den Spruch, dass, wäre die Entwicklung bei den Kfz so schnell verlaufen wie bei den Computern, ein Rolls Royce 100 Mark kosten und mit Sprit für eine Mark 5.000 Kilometer weit käme. Dass aber seine Analogien vor allem auf das Aussterben von Marken zutreffen würde, dass ahnte der Gründer von Data Becker nicht. Tatsächlich vollzog sich aber zwischen etwa 1980 und 1990 eine Entwicklung rund um Unternehmen und Marken wie beim Auto zwischen 1930 und 1970. So wie ein seinerzeit unspektakulärer Panhard heute ein gesuchter Pkw ist, so fanden manche Liebhaber nach einem funktionsfähigen Tandy TRS. Und möglicherweise ist der Apricot Portable der Bugatti unter den frühen Computern.

Warum wurde nix aus MSX?

MSX-Hit_Bit_HB-75P
Wie der Name schon sagt: Mehr Bit als Hit aus dem Hause Sony
Wie bei den Motorkutschen stellt sich bei den ausgestorbenen Marken und Systemen immer auch die Frage, warum sie’s nicht gepackt haben? Zum Beispiel MSX, das von Microsoft im Auftrag eines Konsortiums aus diversen Unterhaltungselektronikgiganten gestrickte System für Homecomputer. Denn ein paar Jahre lang waren Kisten von Philips und Thomson, Sony und Yamaha in Benelux und Frankreich marktführend, wurden also öfter verkauft als der C64. Schlecht waren die Dinger im Vergleich nicht, zudem ziemlich preiswert und von vornherein auf, ähem, Multimedia gebürstet. In Japan gab MSX-Maschinchen von allen führenden IT-Herstellern zwischen Canon und Sanyo. Nur in den USA, da kam MSX nie in die Strümpfe. Und weil hinter MSX nicht der Wahnsinn eines Erfinders oder eines Unternehmenslenkers wie Jack Tramiel stand, hatten die MSXler einen kurzen Atem.

Sinclair (Cambridge) Z88
Die portabelste Erfindung des genialisch-verrückten Sir Clive Sinclair: Z88
Geradezu beängstigend werden die Parallelen zwischen Computern und Autos angesichts der kurzen Geschichte der Computerchen aus dem Vereinigten Königreich. Am Anfang stand der Name Sinclair, das Ende bereitete Amstrad. Und so wie es Triumph, Austin, MG, Wolseley und Riley schon lange nicht mehr gibt, so sind eben auch Apricot, Acorn, Amstrad, Cambridge Computers und Sinclair als Marken gestorben. Dabei begann auf der Insel alles mit einem wahren Genie: Der später zum Sir erhobene Clive Sinclair gründete schon 1961 eine Firma, die sich um das kümmerte, was damals elektronisch war. Da war er einundzwanzig Jahre jung. Dann machte er Taschenrechner und um 1981 herum entwickelte er – gegen jeden Expertenrat – eine Computerbausatz, der am Ende ein ZX80 werden sollte. In Deutschland kam das Teil 1982 auf den Markt und war – fertig montiert – bei VOBIS für 99 Mark zu haben. Das Maschinchen konnte Basic, nutzte Fernseher als Bildschirm und Musikkassetten als Datenspeicher. Mein erster Computer war ein ZX81, gekauft bei VOBIS…

Sir Clive, den ich später persönlich kennenlernte, war Engländer, neigte also dem Skurrilen zu. Besonders skurril war immer sein unternehmerisches Tun. Vielleicht gäbe es Sinclair-Computer heute noch, wenn er sich mit einem Unternehmer vom Schlage eines Jack Tramiel zusammengetan hätte. So aber rannte Sir Clive sturköpfig von einer Pleite in die andere und durfte irgendwann nicht mal mehr den eigenen Namen auf seine Erfindungen schreiben. So geschehen bei einem der portabelsten Computer der Geschichte, dem Z88. Auf der Messe „Which Computer?“ im Februar 1987 in Birmingham stellte er dieses Wunderding persönlich vor, und ich kaufte ihm an Ort und Stelle ein Exemplar ab, das ich heute noch besitze. Der Z88 war so groß wie ein Din-A4-Blatt, wog etwa so viel wie heute ein iPad und lief auf ganz normalen AA-Batterien – und zwar wochenlang. Innen werkelte ein Z80A, gesteuert von einem Betriebssystem namens OZ, das im Wesentlichen aus Anwendungen (Text, Kalkulation, Kalender, Datenbank) bestand, sowie dem damals verbreiteten BBC Basic. Oben war ein Blau-auf-Grün-Display mit acht Zeilen angebracht. Da die Gummitastatur – eine Leidenschaft von Sir Clive – lautlos war, eignete sich das Brett bestens, um während Veranstaltungen Notizen zu machen oder sogar Artikel zu schreiben. Die ließen sich dann ziemlich einfach und zuverlässig über die serielle Schnittstelle auf den heimischen PC übertragen.

Bei Apricot lagen die Dinge anders, denn auch wenn dieser Laden ebenfalls in den Sechzigern gegründet worden war, so hatten dort Entscheider zu sagen, die den Markt pragmatisch betrachteten und sehr früh auf den IBM-PC-Zug aufsprangen, sich also dem MS-DOS-Standard beugten (ohne übrigens auf CP/M86 als Option zu verzichten). Aber ein bisschen avantgardistisch wollte man dann in Birmingham dann doch bleiben und erschuf 1984 den Apricot Portable. Der war randvoll mit Innovationen wie einem per Infrarot mit dem Rechner verbundenen Keyboard, einem Trackball sowie Spracherkennung(!). Schick war das Teil und sündhaft teuer. Ich hätte es haben wollen…

Acorn Archimedes, der erste mit RISC
Acorn Archimedes, die sauschnelle Kiste mit den vielen Fähigkeiten
Und dann auch noch Acorn, die Pioniere der RISC-Technologie, die eigene Prozessoren entwickelten in Zeiten als Intel den Markt viel mehr beherrschte als heute. Die Jungs taten sich mit der BBC zusammen und verdienten mit den einige Zeit lang höchst populären BBC-Micro-Computern das Geld für ihre Träume. Bis heute beruhen ALLE ARM-Prozessoren in den diversen mobilen Geräten auf den ursprünglichen Entwürfen der Acorn-Entwickler. Aber damals dachte man immer auch gleich in Kisten, und so entstand der Archimedes. Viel, viel, viel schneller als Atari ST und Commodore Amiga mit dem Motorola 68000 und vollgepackt mit futuristischen Bausteinen, aber gelähmt durch eine Betriebssystem, das den typisch britischen Namen Arthur trug.

Es ging ja spätestens ab 1985 um Standards in der Computerei, und alles, was nicht Standard war und/oder auf zu geringe Stückzahlen kam, war zum Tode verurteilt. So auch der wunderbare Acorn Archimedes, der später eine (nie auf den Markt gekommene) Schwester namens Phoebe bekam, einen Computergöttin wie vom anderen Stern, die 1998 den notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen der Company zum Opfer fiel.

Oh lala, ein Goupil Golf
Oh lala, ein Goupil Golf – tragbare PC-Lösung aus französischer Schmiede
Der Friedhofsgärtner meines Vertrauens hat französische Verwandte und nutzt deshalb vermutlich einen französischen Elektrokarren aus dem Haus Goupil. Als ich den lautlosen Wagen zum ersten Mal sah, fiel mir der gleichnamige Computerhersteller wieder ein. Die beiden Unternehmen haben übrigens nichts miteinander zu tun, und SMT-Goupil verstarb im Jahr 1991 am Konkurs. Zuvor hatte Gründer Claude Perdrillat früh auf Motorola-Prozessoren für merkwürdige Homecomputer und später auf PC-Kompatible gesetzt und damit nicht unerhebliche Staatsaufträge eingeheimst. Für den Export waren die Goupil-Kisten aber durchweg zu teuer. Leider auch der Goupil Golf, eine ganz eigenständige Bauform mit abnehmbarem LCD und edel-schwarzem Gehäuse. Drinnen pulsierte ein 80286, und auch sonst waren die Äußerlichkeiten das Plus der Kiste, die in Deutschland beinahe unerschwinglich war.

Der Osborne 1 - Urvater aller Tragbaren, und beinahe unbrauchbar...
Der Osborne 1 – Urvater aller Tragbaren, und beinahe unbrauchbar…
Bleibt noch ein Hersteller, um den es jammerschade ist: Osborne, die Firma des zum US-Amerikaner konvertierten Briten Adam Osborne, einem Multitalent, der ebenfalls aus dem britischen Thinktank in Birmingham stammte und diverse Dinge rund um Computer erfand. Dabei gründete er Firmen, die pleitegingen, weitere Firmen, die er verkaufte, und Firmen, die gleich gar nicht erst starteten. In ewiger Erinnerung wird er aber wegen seines Riesenbabys bleiben, dem mehr als legendären Osborne 1 – der allerallererste tragbare Computer von 1981. Bei der 11 Kilo schweren Kiste handelte es sich um eine CP/M-Maschine mit Z80-Prozessor, einem winzigen Röhrenbildschirm zwischen einem oder zwei 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerken. Die Tastatur war im Deckel untergebracht, der beim Transport auf Bildschirm und Laufwerk gesetzt wurde. Ein Henkel zum Tragen bildete den Ständer zum Schrägstellen der Kiste. Wer wie ich je das Vergnügen hatte, an einem Osborne 1 zu arbeiten, weiß: Das war unmöglich. Es sei denn, man war fähig im Blindflug Texte einzuhaken oder Zahlenkolonnen einzutippen. Denn die schärfste Brille nutzte nichts beim Bemühen, die winzigen Zeichen auf der Röhre zu lesen. Und trotzdem…

So wie manches Museum nur eine begrenzte Auswahl an Autos verstorbener Marken präsentieren kann, so kann auch dieser Beitrag nur einen ganz engen Tunnelblick auf die nicht mehr existierenden Hersteller von Kleincomputern bieten – hier mit dem Schwerpunkt auf die Europäer, besonders die Briten, die so viele tolle, verrückte, skurrile, avantgardistische und futuristische Ideen in die Branchen brachten und so viele Dinge anstießen, die dann von US-Firmen in die Massenproduktion gebracht wurden. Vielleicht ist das am Wichtigsten am Thema, dass es nicht nur Jobs und Tramiel waren, die Schwung in die Computerbranche brachten, sondern eben auch Typen wie Sir Clive und Adam Osborne.

2 Gedanken zu „Apricot Portable – der Bugatti unter den frühen Computern“

  1. Absolut faszinierend! Ich komme auch aus der schönsten Stadt am Rhein und habe einen sehr deckungsgleichen Werdegang, was Computer angeht. Ich hab mit dem Elektronikbaukasten 2090 von Busch angefangen, der einen Microprozessor mit sagenhaften 256 Byte hatte – und heute immer noch irgendwo im meinem Keller liegt :-) Später hatte ich dann einen ZX81, den C64, einen Apple II usw.

    Ein besonderes Computer war allerdings mein Apricot PC, den ich günstig als Konkursware kaufen konnte. Das Teil war sensationell portabel mit seinem externen 10″ (?) Monitor, der einklippbaren Tastatur und dem eingebauten Tragegriff am eigentlichen PC. Die Tastatur war selbst für heutige Verhältnisse der Hammer: Durch das in der Tastatur verbaute LCD-Display mit 2x 40 Zeichen konnten die Funktionstasten „beschriftet“ werden. Oder man hat auf dem LCD wie mit einem Taschenrechner gerechnet und konnte das Ergebnis zur Textverarbeitung schicken.

    Leider liefen trotz MS-DOS nur wenige Programme auf der Kiste, wobei die 3,5″ Diskettenlaufwerke auch nicht gerade halfen, einfach Daten mit PCs auszutauschen, weil diese immer noch 5,25″ Floppy als Standard hatten.

    Trotzdem hat mich die Kiste begeistert … und deshalb führt auch sie einen Dornröschenschlaf im Keller …

    Ein toller Blog! Danke für die vielen Erinnerungen!

    1. Der Erinnerungen gibt es nun wirklich gar viele – aber wir gucken auch mit diesen Erinnerungen und Erfahrungen im Blick gerne mal auf aktuelles. Also: wir freuen uns über immer mal wieder vorbeischauende Stammleser ;-)

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