Die Uncoolen und die Coolen

Borland und Ashton Tate – das ist eine Geschichte, wie es sie seit Äonen gibt: uncoole Firmen kaufen coole Firmen. Plötzlich dominieren Nadelstreifen und Krawatten in pastelligen Rottönen, wo einst flippige Freaks mit Wasserpistolen über die Gänge hüpften. Doch ein einziges einmal war es anders. Da hat eine coole Firma einen ziemlich uncoolen Konkurrenten gekauft. Und ist daran zerbrochen.

Borland war unfassbar cool

Borland war unfassbar cool in späten 80ern und frühen 90ern des vergangenen Jahrhunderts. Bei Pressekonferenzen sprachen Entwickler statt Marketing-Menschen, hemdsärmelig, die Sakkos mit fetten Schulterpolstern über die Lehne geworfen, Füße auf dem Pult.

Borland hatte Quattro Pro, Paradox und die besten Compiler überhaupt. Hach, die Compiler. Turbo Pascal und – mein Favorit – Turbo C, später Borland C++.

Borland C++ Compiler 1993

Warum Borland so cool war? Abgesehen vom flapsigen Auftritt der Entwickler hatten sie wirklich schöne Räume in Starnberg. Und sie hatten gute Produkte. Turbo C war der erste Compiler mit einer guten, eingebauten Hilfefunktion. Borland hat Produkte vom Nutzer her gedacht. Das gefiel mir.

Die gänzlich uncoole Akquisition

Doch dann kam Ashton Tate. Ein Urgestein des Datenbank-Paläozoikums. dBase hieß ihre Datenbank. Die gab es schon als dBase III, als ich 1988 angefangen habe.

Jungs, die mit dBase umgehen konnten, hatten zehn von zehn Punkten auf der Nerd-Skala. Aber Asthon Tate selbst war eine Nadelstreifen-Firma. Unternehmens-Software von Unternehmern für Unternehmer. Nichts gegen Unternehmer in Nadelstreifen: Firmen zu führen ist ne ernste Sache. Da passen dunkle Anzüge. Aber Borland passte zu Ashton Tate etwa so gut wie ein schnoddriger VW-Bus zum DAX-Konzern-Manager.

Meine Erinnerungen sind wohl verwässert – aber ich meine, Borland hätte nach der Übernahme eine schnelle Wandlung durchgemacht. Mit dem Merger ging alle Coolness verloren. Von einem Tag auf den anderen. Die Entwickler hemdsärmelten wieder an ihren Computern herum und sprachen nicht mehr vor der Presse.

martin-richie-philippe
Richard Joerges und Martin Goldmann bei einer Borland-Party in der Münchener Babalu-Bar. Im Hintergrund links Philippe Kahn.

Plötzlich hatte Borland zwei Datenbanken im Programm: Nadelstreifen-dBase und Hippie-Paradox. Möglichst bald sollte dBase für Windows erscheinen. Doch da hatte sich das Unternehmen verhoben, dBase für Windows verzögerte sich endlos. In der PC DIREKT vom Oktober 95 gab ich den einst so coolen Borlands ein wenig Spott mit auf den Weg:

Ein Aufatmen geht durch die EDV-Szene. Nach einer rund zweijährigen Ankündigungs- und Betaphase kommt Windows 95 endlich auf den Markt. Damit hat es fast den Verzögerungsrekord von Borlands dBase für Windows erreicht.

(Test Windows 95, PC DIREKT 10/1995)

Aber Borland hatte noch ein viel größeres Problem: Microsoft. Dort fand man den Merger mit Ashton Tate gar nicht witzig. Die eigene Datenbank Access war gerade erst aus den Windeln. Also holte sich Microsoft Foxpro dazu. Ausgleich. Microsoft gegen Borland 2 zu 2.

dBase für Windows kam irgendwann, Paradox musste gehen. Zu Corel. Corel war früher ne coole Grafikfirma. Dann hat sie Word Perfect gekauft. Oder war es anders herum? Corel hat Paradox mit Word Perfect in ein Bundle gesteckt und gemeinsam versenkt.

Und Borland? Borland hatte sich an Ashton Tate verschluckt, Microsoft hatte leichtes Spiel mit einem Gegner der sich selbst besiegt hat. Schade um Borland. War ne coole Firma. Damals.

3 Gedanken zu „Die Uncoolen und die Coolen“

  1. Wenn man eines aus dieser Geschichte und im Rückblick sehen kann: es hat soweit ich mich erinnere noch nie geklappt wenn zwei Unternehmenskulturen irgendwie zusammen kamen. Ich erinnere mich an den Zeitpunkt der „Online“ Medienhäuser. Das war als Telefonica die TV Produktionsfirma Endemol für unfassbar viel Geld kaufte. Ein paar Jahre später wurde der Kauf rück abgewickelt. Vermutlich wären die Milliarden für den Deal in gute Programm-Macher und Ko-Produktionen besser angelegt gewesen. Aber so ein Kauf eines Ladens der offenbar so ganz anders ist und das „Portfolio“ ergänzt scheint halt auf den ersten Blick irgendwie der einfachere Weg zu sein.

  2. Die Übernahme von Ashton-Tate war kulturell sicher problematisch. Aber ausschlaggebender waren die Borland-Probleme. Während es für Nerds kein Problem war, wenn die Programme mal so ihre Macken hatten oder mit Riesenverspätung kamen, machte es für Unternehmen, die auf die Software-Qualität angewiesen waren, durchaus einen Unterschied. So kaufte man zwar die Kundenbasis von dBase, konnte jedoch nicht die erforderliche Glaubwürdigkeit transportieren. Das wurde mit der abstrusen Entwicklungsgeschichte von dBase Windows nur noch schlimmer. Aber da gab es bereits zu wenig finanzielle Ressourcen. Man hatte sich verhoben in der Konkurrenz zu Microsoft, im Ehrgeiz auf allen Feldern die besseren Programme anzubieten. (Erinnerung: Ich hatte auch mal ne Beta von Sprint, der besten Textverarbeitung seinerzeit, aber die hat es nie in den Markt geschafft). Hier in Deutschland war es übrigens umgedreht, hier übernahmen die Frankfurter Ashton-Tates die Münchner Borländer. Weswegen Irene noch heute bei Microsoft ist (Liebe Grüße).

  3. Ich gestehe: Ich war ein dBase-Freak.
    Aber igendwie ging es nach dBase III nicht so richtig weiter, und dann kam plötzlich CLIPPER, ein dBase-Compiler von Nantucket (das waren ehemalige Ashton-Tate-Mitarbeiter, die mit dem Werdegang von dBase auch unzufrieden waren). CLIPPER war eine Offenbarung! Damit konnte man eigenständige Anwendungen schreiben – also, was man damals „Anwendungen“ nannte: nix mit Maus und grafischer Oberfläche (beides war noch im pränatalen Stadium), aber mit Ansätzen von Objektorientiertheit, vor allem mit programmierbaren Eingabemasken, inklusive Comboboxen, Listenfelder, Checkboxen und Funktionstastengedöns. CLIPPER war richtig cool, mit herzerwärmenden Versionsnamen, wie „Sommer87″…
    Nantucket wurde dann von Computer Associates aufgekauft: deren Versuch, CLIPPER ins grafische Benutzeroberflächendasein zu hieven, ist nie richtig geglückt – wahrscheinlich weil dafür so uncoole Versionsnamen, wie „5.01“ bis „5.03“ gewählt wurden. Man konnte zwischenzeitlich von Drittanbietern „Mausfunktionen“ implementieren, was ich natürlich getan habe: erst zitterte der Mauszeiger für mich unfassbar über den Bildschirm, dann saß ich zitternd und fassungslos vor den regelmäßig erscheinenden Bluescreens.
    Mit diversen sogenannten Portierungsprogrammen habe ich in den 90ern des letzten Jahrtausends immer wieder versucht, meine selbstgeschriebenen CLIPPER-Funktionen und -Routinen nach Windows zu retten – vergeblich. Auch XBase machte aus mir keinen XMan.
    Bis 1999 habe ich CLIPPER die Treue gehalten – dann habe ich weinend und fluchend Microsoft Access das Ja-Wort gegeben…

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