Brainfuck-Erfinder Urban Müller hält einen Vortrag (Quelle: Reddit)

Brainfuck – die vermutlich verrückteste Programmiersprache aller Zeiten

Wenn du als Digisaurier, der sich bereits seit über 40 Jahren mit Programmiersprachen befasst, dieses Buch liest, wird dich ein Code wie der in diesem Screenshot (siehe unten) nervös machen. Gestoßen bin ich auf solche, ähem, Programmzeilen im neuesten Roman der genialen Schriftstellerin Sibylle Berg, der „GRM“ heißt und die Unterzeile „Brainfuck“ anstelle des sonst üblichen „Roman“ oder „Erzählung“ trägt. Manchmal, nachdem ein Textabschnitt geendet hat, finden sich plötzlich diese merkwürdigen Zeilen. Erst das Befragen der Wikipedia nach dem Begriff löste das Fragezeichen im Kopf des Betrachters.

Das kann einen Digisaurier nervös machen: Ein Stück Brainfuck-Code
Nun ist Frau Berg nicht nur eine fantastische Autorin und ein sehr schlauer Mensch, sondern schon seit Längerem an allem interessiert, was die digitale Welt und ihre Entwicklung betrifft. Sie lebt in der Schweiz, und – Überraschung – Urban Müller, der Erfinder von Brainfuck ist Schweizer, der exakt zu diesem Thema regelmäßig Vorträge hält. Sein Konstrukt zählt zu den sogenannten „esoterischen Programmiersprachen„, von denen es heißt, sie seien grundsätzlich nicht für die Programmentwicklung gedacht, ja, eigentlich nicht einmal geeignet. So ist auch Brainfuck kein Werkzeug, sondern ein funktionierendes Beispiel dafür, wie Kodieren gehen könnte bzw. kann. Und obwohl Sprachumfang und Syntax absolut ungewöhnlich sind, um das Mindeste zu sagen, handelt es sich um eine touring-vollständige Sprache, also eine universelle Programmiersprache, mit der alle Probleme, die von der theoretisch beschriebenen Turing-Maschine gelöst werden können, formulier- und berechenbar sind.

GRM, die wahnwitzige Dystopie der Sibylle Berg
GRM, die wahnwitzige Dystopie der Sibylle Berg
Der Roman „GRM“ ist – dies als Warnung an potenzielle Leser*innen – die düstere Dystopie eines Großbritannien nach dem Brexit, in dem die KI-Systeme die Macht übernommen haben. Die Überwachung der Bürger ist allumfassend. Man hat ein Social-Scoring-System à la China eingeführt, von dessen Bewertung die Auszahlung des (eigentlich) bedingungslosen Grundeinkommens abhängt. Die Schere zwischen denen da oben und denen ganz unten ist weiter aufgeklappt als man es sich vorstellen kann; die Reichen und Mächtigen machen, was sie wollen und leben diverse Perversionen unbegrenzt aus. In dieser Welt versuchen sich vier Jugendliche durchzuschlagen, die gemeinsam aus einem Armen-Ghetto nach London geflohen sind.

In den Text eingebettet sind nicht nur die bewussten Brainfuck-Codeschnipsel, sondern auch kurze, zynische Bemerkungen eines Geheimdienst-Operators, der das Treiben der Jugendlichen kommentiert, weil er an der Quelle sitzt und alles über sie weiß. Tatsächlich hat sich Urban Müller seine Programmiersprache ausgedacht, um schnell und einfach KI-Algorithmen definieren zu können. Weil er aber auch das ist, was man einen Hacker nennen könnte, war sein Ehrgeiz zudem, den kleinstmöglichen Compiler für Brainfuck zu bauen. Funktionierende – es gibt einen real arbeitenden Brainfuck-Interpreter im Netz – Programme sind teilweise nicht einmal 100 KB groß, und bei einem Wettbewerb kamen die tollsten Ergebnisse aus der Gemeinde.

Ja, könnte gut sein, das Brainfuck die verrückteste Programmiersprache aller Zeiten ist. Und es steht nicht zu befürchten, dass Otto Computerfreak sie je wird erlernen müssen. Wer sich aber auch nur ein kleines bisschen für das Kodieren, für die Künstliche Intelligenz und die Zukunft der digitalen Welt interessiert, ist gut beraten, sich Brainfuck einmal anzuschauen – und natürlich den Roman von Sibylle Berg zu lesen.

Hier das Video eines Vortrags von Urban Müller zu Brainfuck:

Brainfuck-Creator Urban Müller about Brainfuck at TamediaTX 2017
byu/_kritz_ inbrainfuck

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert