Für viele immer noch Neuland - das Internet

Das böse, böse Internet und sein komischer Jargon

[Ein Kommentar] Angeblich wurde am 29. Oktober 1969 das Internet erfunden. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Denn in Wahrheit gelang es an diesem Tag lediglich, zwei Zeichen über Telefonleitungen von einem Rechner auf einen anderen Rechner mit anderem Betriebssystem zu übertragen. Immerhin. Bis dann das für uns alle verfügbar wurde, was wir heute das Internet nennen, mussten noch ein paar Sachen erfunden werden – z.B. TCP/IP und HTML. Aber diese Historie interessiert Otto und Lieschen Normalsurfer wenig, und die technischen Details schon gar nicht. Leider aber auch viel zu viele bundesdeutsche Politikerinnen und Politiker, für die selbst im Oktober 2019 das Internet noch Neuland ist … obwohl sie es selbst intensiv nutzen.

Darknet anno 1605: Guy Fawkes und der Gunpowder Plot
Darknet anno 1605: Guy Fawkes und der Gunpowder Plot
Nun ist es bekanntlich nie gut etwas zu nutzen, was man nicht versteht. Es macht hilflos. Wer nicht weiß, wozu der Keilriemen am Motor des Pkw gut ist, wird nie auf die Idee kommen, einen gerissenen Riemen provisorisch durch eine Strumpfhose zu ersetzen. Wer nicht weiß, was Memes sind, wird sinn- und ziellos auf den Hass im Netz schimpfen, ohne einordnen zu können, was wirklich gefährlich, was lediglich provokant und was letztlich nur spielerisch ist. Nicht nur „die Politik“ steht bisweilen vor dem bösen, bösen Internet wie der sprichtwörtliche Ochs vorm Berg, auch die Masse der User zuckt beispielsweise verschreckt zusammen, wenn vom Darknet die Rede ist.

Oh je, Constanze Kurz vom CCC ist im Darknet unterwegs!
Oh je, Constanze Kurz vom CCC ist im Darknet unterwegs!
Dabei handelt es sich nicht um ein dunkles Netz, sondern ein System aus Peer-to-Peer-Overlay-Netzen, die mit man dem üblichen Leib-und-Magen-Browser nicht ansteuern und deren Inhalte man sich also so einfach nicht anschauen kann. Die Sache läuft anonym und verschlüsselt und erfüllt eigentlich den alten Traum von der Freiheit des Internets als Kommunikationsplattform jenseits von Zensur und Überwachung. Weil aber weder das Gros der Medienvertreter*innen und Politiker*innen auch nur annähernd kapieren, welche gute Seiten dieses Prinzip hat, wird „das Darknet“ einfach mal als Tummelplatz für Kriminelle und Terroristen denunziert. Die wunderbare Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) hat einmal gesagt:

Dass aber verschlüsselte Netzwerke genauso von Journalisten, von Menschenrechtsorganisationen, von Whistleblowern oder von Menschen, die sich aus anderen Gründen schützen müssen, verwendet wird, spielt in der populistischen Diskussion […] keine Rolle. [Quelle: netzpolitik.org]

Iiih, ein böses Imageboard - nur erreichbar per Tor...
Iiih, ein böses Imageboard – nur erreichbar per Tor…
Und so hantieren politische Vertreter nach Belieben mit Begriffen, deren Bedeutung sie nicht kennen. Oder müssen passen, wenn man ihnen auf den Zahn fühlt. Man frage mal den örtlichen MdB, was genau ein Meme ist. Oder was man unter einem Let’s-Play-Video versteht. Sicher weiß er/sie, was es mit Incels auf sich hat, wo der Unterschied zwischen 4chan und 8chan liegt und welche Imageboards sonst so angesagt sind. Kurz: Die Menschen, die über die Digitalisierung und ihre Folgen zu entscheiden haben und gern Sonntagsreden darüber halten, verstehen den Jargon des Internets meistens nicht.

Und das wird mehr und mehr zu einem politischen Problem in der Bundesrepublik Deutschland.

[Bildnachweis – Foto Constanze Kurz: Wikipedia / Tobias Klenze / CC-BY-SA 4.0]

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