Das Fotoalbum - Erinnerungsmaschine früherer Zeiten

Das Internet vergisst nichts … und das ist auch gut so

Anscheinend klingt der Satz „Das Internet vergisst nichts“ für viele Menschen bedrohlich. Sie verbinden diese Aussage vor allem damit, dass unangenehme Dinge, die man getan oder gesagt hat, nicht einfach wieder verschwinden. Bei Licht betrachtet war das früher – gerade ab einer gewissen Stufe an Prominenz – auch nicht anders. Schließlich wurden Sentenzen berühmter und/oder mächtiger Köpfe immer schon notiert. Später bahnten Fotografen und Filmer die Taten und Sprüche der Promis auf Zelluloid, und von TV-Auftritten gab es ja auch schon immer MAZ-Bänder. Der Hauptunterschied besteht wohl darin, dass Erinnerungen im Internet nicht in irgendeinem Giftschrank lagern, sondern quasi in einer öffentlichen Bibliothek. Und im privaten Bereich ist das endlose Gedächtnis des Internets insgesamt ein Segen.

Dieser Tage fiel mir eine Kiste mit den Fotoalben der Familie in die Hände. Darin sechs alte Folianten mit Schwarzweißaufnahmen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Darauf die Eltern und Geschwister, Tanten und Onkel, Nachbarn und Freunde der Familie. Jedes Bild ein Stück lebendige Vergangenheit. Aber vom Verlust bedroht, denn – und dies aus Erfahrung gesprochen – Fotoalben gehen schon mal verloren. Vor Jahren habe ich die rund 400 Dias, die mein 1967 gestorbene Vater Zeit seines Lebens geschossen hat, digitalisiert. Und so gerettet. Das Material aus den Jahren zwischen 1956 und 1966 war leider nicht sehr lichtecht – die ersten Bilder waren schon verblasst. Nur mit ganz viel Software-Hilfe ließen sie sich retten.

Bewahren um zu verstehen und zu gestalten

Und heute? Jeder knipst ständig. Mit dem Smartphone oder mit der Hemdentaschenkamera. Abgelegt wird immer alles auf dem lokalen Rechner, aber inzwischen fast durchweg auch im Internet – auf Flickr oder einer anderen Fotoplattform sowie in Facebook und Twitter. Was aber dem Internet anvertraut wurde, hält (theoretisch) ewig. Fotos gehen nicht kaputt und altern nicht. Sie werden in einem Maße redundant gespeichert, dass sie vermutlich erhalten blieben, wenn 50 Prozent aller Rechenzentren gleichzeitig den Geist aufgeben. So werden sie bewahrt.

Das gilt natürlich auch für Texte – zum Beispiel echte Blogs, also Tagebücher. Für Videos, seien es einfach ungeschnittene Schnappschüsse oder ausgefeilte Minispielfilme. Ja, und auch für Musik. Alles bleibt und kann noch in vielen, vielen Jahren angeschaut werden. Das ist in Zeiten grassierender Geschichtsvergessenheit, in denen für viele Menschen die Weltgeschichte erst mit der Stunde ihrer Geburt begonnen hat, von enormer Bedeutung. Denn: Die Vergangenheit bewahren heißt die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu gestalten.

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