Richard David Precht: "Hirten, Jäger, Kritiker - eine Utopie für die digitale Gesellschaft"

Digitalisierung wirklich verstanden? Über Richard David Prechts Bestseller „Jäger, Hirten, Kritiker“

Als Philosoph wird er gern gehandelt, der Bestsellerautor Richard David Precht. Charmant ist er, gebildet, aufmerksam, eloquent, ein wahrer Frauenschwarm, der in seinem Düsseldorfer Stammcafé oft die Blicke auf sich zieht. Ja, man kennt ihn aus zahllosen Talkshows, in denen er – ganz gleich zu welchem Thema – immer eine gute Figur macht. Und gute Marketingberater muss er haben, denn wenn er an einem neuen Buch arbeitet, wird weiträumig verbreitet, um welches Thema es geht. So tourt der gute Herr Precht inzwischen seit etwa drei Jahren zum Thema „Digitalisierung“ durch die TV-Studios.

Klar, dass es dazu ein Buch von ihm geben würde, klar, dass es ein Besteller würde. Klar aber auch, dass man als Digisaurier diesen überschaubaren Band mit seinen gut 290 Seiten lesen muss. Wobei: Angemessen ist eigentlich nur die Lektüre der e-Ausgabe auf einem e-Reader. Machen wir es wie Reich-Ranickki, nämlich kurz: Der Werbezusatz mit der Utopie lügt, und Precht hat die technischen Seiten der Digitalisierung nicht wirklich verstanden.

Der Philosoph bei einem seiner öffentlichen Auftritte
Der Philosoph bei einem seiner öffentlichen Auftritte
Dabei nutzt er einen spannenden Trick, die Auswirkungen dessen, was er unter Digitalisierung versteht, blumenreich zu schildern: Einmal als düstre Dystopie, einmal als graue Retrotopie und schließlich als schillernde Utopie. So etwas tun Autoren, die sich nicht festlegen wollen. Wie auch, wenn einer wie Precht bei den von ihm genannten Beispielen für real existierende oder möglicherweise kommende Digitalisierung einfach in die gemischte Tüte greift. Autonome Autos sind ihm genauso Digitalisierung wie Fitness-Uhren, KI ist alles, was irgendwie Algorithmen nutzt, und die sind ja sowieso böse.

Da war kürzlich eine Talkshow des brillanten Journalisten Gert Scobel auf 3sat um ein Vielfaches näher am Thema – auch, weil die Runde eine Auswahl der bestmöglichen ExpertInnen deutscher Sprache bot. Die Damen und Herren stellten klar: Algorithmen werden programmiert, und zwar von Menschen; auch wenn KI-Systeme selbstständig Programme schreiben können, dazu, völlig neue Algorithmen zu entwickeln, sind sie nicht.

Hauptthese: Digitalisierung nur mit bedingungslosem Grundeinkommen

Geschenkt. Denn eigentlich dient das Precht’sche Geschreibe rund um Algorithmen, KI, Roboter, Big Data und so weiter nur dazu, seine Hauptthese zur gesellschaftlichen Zukunft in den Zeiten der Digitalisierung anzubieten und mit Argumenten zu untermauern. Also: Digitalisierung macht Massenarbeitslosigkeit. Gegen die Verarmung funktioniert nur das bedingungslose Grundeinkommen. Das versetzt die Menschen dann zudem in die Lage, entsprechend ihrer Fähigkeiten quasi für umme aktiv zu werden. So ungefähr sieht dann die Utopie aus, dass nämlich die natürliche Kreativität der Menschen entfesselt wird, die sich nicht mehr um ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Steil auch die These, dass in Zukunft nur noch IT-Spezialisten sowie Lehrer und Pfleger gebraucht würden, die er allerdings im Verlauf des Buches variiert und abschwächt.

Das Böse wird in allen Szenarien von einem Monster verkörpert, dass Precht GAFA nennt: Google, Apple, Facebook und Amazon. Da kann sich Microsoft ja freuen, nicht als M hintendran zu stehen. Was genau die vier dunklen Mächte mit den Menschen anstellen, wird nicht geschildert. Irgendwie hat alles was mit Manipulation und Werbung zu tun. Ohne es je zu formulieren spricht der Philosoph den Konsumenten die Fähigkeit ab, Manipulationsversuche zu erkennen und/oder Reklame einfach zu ignorieren. Wobei – da sind sich andere ExpertInnen einig – ein Hauch mehr Medienkompetenz, womöglich ab dem Kindergarten eingebleut, die Menschen schon mit entsprechenden Schutzschilden ausrüsten könnte. Denn, gezwungen wird bislang noch niemand, irgendeinen Kram zu kaufen. Und nur, weil mir die Anzeige zu einem Produkt auf allen sozialen Kanälen und auf Amazon um die Ohren gehauen wird, werde ich das Zeug noch lange nicht bestellen, was immer es sein mag.

Gute Analyse des Zustands der Gesellschaft

Am dichtesten dran an dem, was wache Leute gerade beobachten, ist Precht bei dem „Retrotopie“ genannten Szenario, also der Zukunftsvision, bei der alle gesellschaftsformenden Kräfte einfach so weitermachen wie bisher – insbesondere die Politiker. Hier malt er ein überzeugendes Bild davon, wie den gewählten Volksvertretern sukzessive die Macht entgleitet und auf die global agierenden Digitalkräfte übergeht, die ihre antidemokratischen Vorstellungen davon, wie eine bessere Welt aussehen könnte, nun ungestört durchsetzen. Ungestört auch „vom Volk“, das mit massivem Konsum und verblödenden Unterhaltungsströmen ruhiggestellt wird.

Lohnt es sich, dieses Buch zu lesen? Eindeutig ja. Denn trotz aller Schwächen rund um die technische Seite der Digitalisierung stimmt die zugrundeliegende Analyse der Gesellschaft im jetzigen Stadium. Ob aber das bedingungslose Grundeinkommen wirklich den Weg in eine digitale und gleichzeitig humane Zukunft ebnet, muss dringend weiter diskutiert werden.

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