Von Neuland nach Digitalien: Der vierte Tag im Zeichen des Mangels

Im Zeichen des Mangels? Nein – es geht nicht um den Mangel an Kondition bei uns, an diesem Tag mit den 1000 Höhenmetern. Es geht um einen Mangel, über den ich – als wir so von Schloss Saaleck (sozusagen vom Mittelalter) wegfuhren – nachdachte.

Kindle in Burg (1 von 1)
„Wie sind die früher nur klar gekommen?“, fragen wir uns beim besichtigen von Burgen und Schlössern. Und das fragen sich unsere Kinder, wenn sie versuchen sich eine Welt ohne Internet & Computer vorzustellen…

Ein Mangel, den wir dann auch an diesem Tourtag erleben sollten: keine Netzverbindung, Geräte und Services die wir plötzlich nicht nutzen konnten. Kurz: der ganz normale analoge Wahnsinn unserer Kindheit. Und im Laufe dieses Tages hatte ich (wegen Luftmangels) nicht viel Gelegenheit zu reden und Martin auch nicht. Aber zum nachdenken reichte es. Und dabei kam mir ein Gedanke: ich glaube, dass der Erfolg des Computers – also der Siegeszug von Neuland nach Digitalien – in dieser Breite der Gesellschaft nur möglich war, weil wir in unserer Jugend und Kindheit einen Mangel spürten, den wir nicht beschreiben konnten. Aber den die Computer lösen sollten….

Als wir morgens im Turmzimmer vom Schloßhotel saßen und frühstückten und auch schon am Abend vorher bei dem (übrigens vorzüglichen) Steak, das uns Ewald Hupp zubereitet hatte, fiel unser Blick immer wieder auf die Bilder mit mittelalterlichen Szenen. Ein sicheres warmes Zimmer – damals oft ein Glücksfall. Eine Reise wie wir sie gerade machen, quer durch Felder, Auen und Wälder machten – zumindest ein extremes, wenn nicht gar lebensgefährliches Abenteuer. Wie waren die nur klargekommen, in dieser unsicheren Mittelalter-Welt? Ohne Heizung, Strom und Auto.

Und bei der Abfahrt mit den Rädern vom Schloß (wer will kann einen Teil virtuell mit dem oben stehenden Video mitmachen) kamen allerhand Kindheitserinnerungen in mir hoch – schließlich habe ich einen guten Teil meiner Kindheit und Jugend da verbracht in Hammelburg: Ich dachte an Dinge die ich gemacht hatte, mit den Mitteln die ich damals hatte. Ahnend, dass die Mittel keineswegs perfekt, schon gar nicht flexibel und erst recht nicht kreativen Freiraum bietend waren.

Hörspiele mit 2 Kassettenrecordern in der Badewanne

Zimmer Nummer drei (1 von 1)
Das Hotelzimmer dieser Nacht kannte ich aus meiner Kindheit – und vor allem das Badezimmer…

Es gibt unzählige Beispiele: die Schülerzeitung – um nur eines zu nennen. Sollte das Ganze ein bisschen nach echter Zeitung aussehen, brauchte man Letraset Rubbelbuchstaben für die Überschriften – den Fließtext machte man eh mit der Schreibmaschine. Aber Headlines brauchen fette Lettern. Eben via Letraset.  Die Buchstaben zum aufrubbeln waren teuer, unflexibel und wehe es fehlte einem ein „e“ – man musste vorher nachzählen was man hatte.  Sonst wurde das nix mit der gestylten Headline… Hätten wir damals Computer gehabt…

Badezimmer Burg (1 von 1)
Ein Platz um Hörspiele zu produzieren – heute der PC, damals genau dieses Badezimmer…

Oder eben meine Hörspiele. Ich hatte das schon ganz vergessen, aber als ich ins Badezimmer meines wunderbar alten Schlosshotel-Zimmers kam, fiel mir ein, dass das auch damals unser Badezimmer für die Familie war. Und unter dem Bogen wo jetzt die Toilette ist, war eine Badewanne. Und genau in diesem Raum habe ich Hörspiele vertont. Und zwar den Anfang der damals sehr populären Comicserie „Planet der Affen“. Warum im Bad? Wegen der Story. Das Raumschiff der Astronauten stürzt auf einem unbekannten Planeten ab. Sirenen, Feuer im Schiff, Explosionen – das alles sollte zu hören sein. Aber das Schiff stürzte auch ins Wasser. Also brauchte ich auch noch Wassergeräusche. Obwohl ich eh schon zwei Kassettenrecorder brauchte (einen hatte ich mir übrigens von der Familie des Kellermeisters von Saaleck ausgeliehen) und keinen dritten mehr kriegen konnte musste ich mir anders helfen.  Den ersten nutzte ich also, um das dramatische Feuerprasseln und die Explosionsgeräusche von Geräuschkassetten die man kaufen konnte einzuspielen, während ich mit dem zweiten Recorder aufnahm und dabei die Texte aus den Comicblasen mit dramatischer Stimme vorlas. Und während Recorder eins die Geräusche produzierte nutzte ich (neben dem vorlesen) eben  die Badewanne und das darin befindliche Wasser, für die bedrohlichen Wellen, in denen die Raumkapsel hilflos schaukelte. Hätte ich damals einen Computer gehabt…

Radiostation mit CB-Funk

Saaleck hatte, wie man gut erkennen kann im Video mit Impressionen, wie jede ordentliche Burg einen richtigen Turm. Nach dort oben zog es mich oft mit einem CB-Funk Gerät. Das war damals ein Wahnsinnstrend – ähnlich wie später die Computer – wo es darum ging, möglichst weit zu senden. Und dann von den Stationen die man erreicht hat, eine Postkarte (also sowas aus Papier) zurück zu bekommen, um zu beweisen wie enorm weit man an guten Tagen funktechnisch gekommen war.

Nun – nach einiger Zeit kam ich auf den Gedanken, das CB-Funk auch super wäre, um damit eine Radiostation zu betreiben. Also schleppte ich Gerät und Musik-Equipment (wir reden von Plattenspieler, Platten und Verstärker) und klebte die Sendetaste fest und gab den Radiomann. (Ich muss vermutlich nicht erwähnen, dass ich nach kurzer Zeit gewaltsam von dem Turm entfernt wurde und eine heftige Mahnung bekam – womit mein Piratenradio eingestellt war). Ach – hätte es damals nur Podcasts schon gegeben. Was hätte ich alles machen können…

Surface im Schloß (1 von 1)
Sowas wie ein Surface oder ein Amiga im Schloss – das hätte alle meine Mangelerscheinungen behoben…

Das meine ich mit Mangel, Und es gäbe noch zahlreiche andere Beispiele. Platten auflegen, Musik machen, Zeichentrickfilme produzieren.

Wie gesagt: ich hätte das Problem, was ich brauchte, ja nicht mal beschreiben können. Oder gar die Lösung. Aber als einige Jahre später Computer in meinem Leben auftauchen und anfingen solche Dinge – wenn auch nur schlecht – möglich zu machen oder zumindest die Hersteller versprachen, dass das wohl mal gehen könnte, da ging es nicht mehr um Mathematik (wo ich eh immer schlecht war). Da ging es um unerfüllte und plötzlich doch erfüllbare Kindheitsträume. Der Amiga traf mich darum zum Beispiel genau ins Herz. Und ich glaube das ging – mit unterschiedlichen Rechnern – ganz vielen so. Und darum war der Computer in unserer Generation ein Renner – weil er tat, was wir uns immer schon wünschten. Dinge, deren tieferen Sinn unsere Eltern nie verstanden: DTP, Musik machen, Comics produzieren, Animationen wie in Zeichentrickfilme – achja: und irgendwann Buchhaltung, Textverarbeitung, Big Data und NSA-Abhörtechnik. Aber das ahnten wir in der Anfangszeit ja nicht. Wir hatten schlicht nur leuchtende Augen und sahen, was nun ging. Wie schon an anderer Stelle erwähnt: Egal ob es jemand brauchte oder nützlich fand – wir konnten es tun. Das reicht. Das war unsere digitale Welt. Und die wollten wir überall haben. Jederzeit. Dafür legten wir uns ins Zeug,

Die Radtour und die Suche nach dem Funkmast

Und dann kam die Route von Hammelburg nach Oberkalbach in der Rhön. Nicht nur die Höhenmeter, die buckeligen Pisten und unsere mangelhafte Kondition ärgerten uns.

Nein – der Frust war perfekt als uns die hügelige Landschaft unser Stück Kindheitstraum wegnahm. Wir konnten nicht bloggen oder posten. Wir suchten – obwohl wir hungrig und durstig waren – vor allem nach sichtbaren Funkmasten, um wieder Kontakt zu bekommen, mit dieser digitalen Welt, die längst mehr für uns ist, als ein virtuelle Welt die man hie und da betritt. Eine Welt die wir so mühsam auch später im Job versucht hatten aufzubauen, zu promoten und voranzubringen. Und plötzlich war sie weg. Es  ging nichts. Meistens nicht. Und wenn doch, dann waren das echte Glücksmomente. Wie das kurze Video hier zeigt:

Naja – und natürlich war die Strecke schon auch fordernd – und hat die wenigen Glücksmomente fröhlich abgeräumt. So entstand der Frust.

Auch von der echten Strecke haben wir noch ein paar Impressionen für euch – nur der Vollständigkeit halber und weil sich einige das gewünscht haben. Aber genauso ruckelig, nervig und buckelig wie diese Routen, war plötzlich unsere „digitale“ Straße auf dem Weg von Neuland nach Digitalien geworden. Und das brachte die Stimmung ordentlich in den Keller.

Aber natürlich interessiert mich auch eure Meinung zu dieser These: ist das ein völlig blödsinniger Gedanke, dass Computer in Wirklichkeit die späte Erfüllung unserer Träume und Freiheiten waren? Und ist das der Grund, dass wir uns so darauf gestürzt haben? Oder seht ihr das ganz anders? Wir sind gespannt auf eure Kommentare. Clemens Weisshaar, ein unglaublich kreativer und kluger junger Mann, den ich auf der CeBIT interviewte, sagte mir dort einen bemerkenswerten Satz:

„Ihr seid die Generation Traum. Wir sind die Generation Fullflment. Wir können einfach machen, was ihr euch erträumt habt.“

Clemens Weisshaar, digitaler Unternehmer und Freigeist

Das ist das, was ich meine. Nur aus der Sicht der Generation nach den Digisauriern.

So – und jetzt muss ich diesen Artikel zu Ende bringen. Weil – der Strom vom Surface geht langsam alle… Es gibt sie auch in Digitalien noch, diese Mangelerscheinungen. Aber es ist nicht mehr so schlimm wie es war, als ich zwölf gewesen bin ;-)

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